EU-Wahl -bunte Vögel unter den Wählern und Gewählten

Europa wie es wählt und lacht: Kaum zu glauben, was bei einer Europawahl so alles anfällt. Manch einer ist überzeugt, dass er zweimal wählen darf. Andere ziehen mit dem ausdrücklichen Ziel in die Europawahl, die europäische Kuh zu melken, so gut es nur geht. Seltsamer Weise ist die Aufregung über Ersteres größer als über das Zweite.

Im sonntäglichen TV-Abend-Talk bei Günther Jauch ist es passiert: Der talkerfahrene und immer smarte Chefredakteur der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ Giovanni di Lorenzo hat in kaum fassbarer Blauäugigkeit und mit erkennbarem Stolz verkündet, er habe als guter Europäer seine Wahlpflicht gleich doppelt erfüllt.

Zuerst habe er als italienischer Staatsbürger im italienischen Konsulat gewählt und dann noch einmal als Deutscher in einer Hamburger Grundschule. Kaum gesagt und kaum hatte er dem Mitdiskutanten Wolfgang Schäuble ins ungläubige Auge geschaut, sah man schon am Gesichtsausdruck des Deutsch-Italieners, dass er sich ob seiner Dusseligkeit am liebsten auf die Zunge beißen würde. Aber zu spät, es war raus: Giovanni die Lorenzo hat zweimal gewählt und sich damit strafbar gemacht.

„DIE ZEIT“ hat vor Doppelwählern gewarnt

Ironie der Situation: Di Lorenzo hat in seinem eigenem Blatt vor der Wahl auf die Gefahr der Doppelwahl durch Personen mit zwei Staatsangehörigkeiten hinweisen lassen. § 107a StGB bestimmt: „Wer unbefugt wählt ... wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren ... bestraft“.

„One man, one vote“

Eindeutig unbefugt war die 2. Wahl di Lorenzo`s in der Grundschule, denn gemäß § 6 Abs. 4 EUWG darf jeder Europäer nur einmal zur Wahl schreiten. Der alte demokratische Grundsatz „One man, one vote“ gilt auch hier und ist auch bildungsfernen Schichten geläufig – aber offensichtlich nicht dem Chef einer deutschen Wochenzeitung.

Wer den Schaden hat…

In der sonntäglichen Talkrunde beruhigte Wolfgang Schäuble den ob seiner eigenen Unbedarftheit etwas aus der Fassung geraten di Lorenzo gönnerhaft, ins Gefängnis müsse er dafür wohl nicht. Bestraft ist di Lorenzo, im ersten Beruf Journalist und im Zweitberuf ziemlich bester Freund von Altkanzler Helmut Schmidt aber bereits durch den Spott und die Häme, die sich im Netz und in anderen Medien über seine Geschwätzigkeit inzwischen ausgebreitet haben. Wie heißt es doch: Wer den Schaden hat…

Talkmaster Jauch staunt: So wichtig?

Fassungslos zeigte sich von shitstorm-artigen Rücktrittsforderungen und  dem Ruf nach  Gefängnis für den Doppelwähler sein Gastgeber: "Haben wir die Maßstäbe für Schuld oder Unschuld, für Vorsatz oder Fahrlässigkeit, für Wichtiges oder vergleichsweise Nichtiges völlig verloren?" fragt er nach. Und wirklich:

In Europa sind noch andere Witzbolde unterwegs

Die Melkkuh Europa richtig ausnehmen wie dies ein südeuropäischer Kleinstaat tun würde, das will erklärtermaßen Martin Sonneborn, von Hause aus Satiriker und Chef der Partei „Die Partei“.  Einen Sitz im EU-Parlament hat sie trotz oder wegen dieses Ziels tatsächlich ergattert. Im Interview mit der FAZ hat Sonneborn auf die Frage nach seinen Zielen erklärt, „Mein Ziel ist der Rücktritt. Nach einem Monat. Und ich werde mich vier Wochen lang intensiv darauf vorbereiten“.

Auf der Internetseite der Partei wird ausgeführt, dass in jedem Monat ein anderes Parteimitglied den Abgeordnetensitz der Partei übernehmen nach einem Monat zurücktreten wird. Das bedeute jeden Monat über 8.000 EU zuzüglich Spesen. Daneben gebe es Freiflüge, BahnCard und Kilometergeld.

Fraktion der Irren und Verrückten

Eine Bekloppten-Fraktion will Sonneborn auf die Beine stellen. Vielleicht will er dafür auch den Spaß-Italiener Beppe Grillo gewinnen, der mit seiner Spaßpartei in Italien 21 % geholt hat Natürlich will der ehemalige „Titanic“-Chefredakteur Sonneborn eine Botschaft unter's Volk bringen. Mit seinen Aktionen möchte er die europäische Verwaltungsbürokratie und den nach seiner Auffassung wahnsinnigen Kostenapparat sichtbar machen und zugleich karikieren.

Möglich war der Einzug seiner Partei ins EU-Parlament mit 0,6 % der Stimmen nur durch das BVerfG, das die 3 % Hürde für das EU-Parlament gekippt hat. Damit hat das Gericht die Tür geöffnet für kleine und kleinste Gruppierungen, die – wie „Die Partei“ – auf skurrile Weise ihr eigenes Süppchen kochen und damit durchaus zu einer Ausfransung des Parlaments nicht nur an den Rändern führen können, wie die enorme Stärke anderer Spaßparteien zeigt.

Schrille Farben für die Legislative

Wenn man bedenkt, dass das EU-Parlament innerhalb der EU die – wenn auch im Vergleich zu innerstaatlichen Parlamenten eingeschränkte - rechtsetzende Gewalt hat, so stellt sich die Frage, ob solche irrationalen Gruppierungen Europa wirklich gut tun und ob die neuen Farben die Legislative nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Auch die Frage des Rechtsmissbrauchs stellt sich angesichts der Rotationspläne der Sonnenbornpartei durchaus.

Wenn di Lorenzo sich mit seiner Doppelwahl schon strafbar gemacht hat, so muss die Frage erlaubt sein, ob der Missbrauch einer parlamentarischen Stellung und die Inanspruchnahme von EU-Geldern unter gleichzeitiger Verhöhnung ihrer Institutionen tatsächlich auf Dauer ohne Sanktionen möglich sein soll.

Nicht immer kommt es auf jede Stimme an

Vielleicht sollte man als Deutscher das Ganze aber auch nicht so bierernst sehen. Ein Schuss Humor tut manchmal auch gut, solange er nicht ausufert. Wenn ein altgedienter Satiriker wie Sonneborn mit seinen Aktionen Schwachstellen der EU offen legt, so spricht daraus vielleicht ein gesünderer Humor als wenn ein - durchaus verdienter - Chefredakteur ernsthaft glaubt, ihm stünden ob seiner phänomenalen Bedeutung gleich zwei Stimmen bei der Wahl zu. Oder bei denen, die darob gleich nach Rücktritt oder Haft rufen.

Die Realsatire, die sich hinter einer solchen inneren Haltung verbirgt, hat etwas extrem Hintergründiges, auch wenn - oder gerade weil - die daraus sprechende Chuzpe den Akteuren wohl gar nicht bewusst wird.

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