Erziehungsauflagen zur Smartphone-Nutzung vom Gericht

Mit einer außergewöhnlich kreativen Tenorierung hat das AG Bad Hersfeld einem Vater konkrete Erziehungsanweisungen zum Umgang mit Kind und Smartphone erteilt. Der Vater darf seinen beiden minderjährigen Töchtern künftig nur jeweils ein internetfähiges mobiles Smart-Gerät zur Verfügung stellen. Die Messenger-App „WhatsApp“ muss er von den Geräten entfernen.

Der Fall, den der Familienrichter zu entscheiden hatte, war gleichermaßen kurios wie ernst. Das zu Grunde liegende Thema treibt allerdings viele Eltern um.

Gericht gibt praktische Erziehungshilfe gegen „Sex-Texting“

Eine zehn- und eine fünfzehnjährige Tochter lebten beim geschiedenen Vater. Die jüngere Tochter besaß ein Smartphone, die fünfzehnjährige deren zwei. Auf den Geräten war jeweils die Messenger-App „WhatsApp“ installiert.

  • Im Mai 2016 wurde bei der Polizei Anzeige wegen Verdachts des sexuellen Belästigung erstattet.
  • Bei dem Beschuldigten handelte sich um einen ehemaligen Schulfreund des Vaters, der die 15-jährige auf ihrem Smartphone über das Programm „WhatsApp“ mehrfach sexuell belästigt haben soll (sog. Sex-Texting).

Diese Inhalte waren auch der kleineren Schwester bekannt geworden, da diese über die Chat-Kontakte ihrer größeren Schwester laufend durch eine Verrnetzung informiert wurde.

Smartphones können das Kindeswohl gefährden

Diese Umstände nahm das Familiengericht zum Anlass, dem Vater umfangreiche Erziehungsauflagen gemäß §§ 1666 BGB zu erteilen, da nach Einschätzung des Gerichts von der Nutzung des Smartphones eine erhebliche Gefahr für das Wohl beider Kinder ausging.

Nach den Feststellungen des Gerichts hatten die sexuellen Belästigungen bereits über mehr als zwölf Monate angedauert. Insbesondere die Fünfzehnjährige sei durch die Kontakte psychisch erheblich eingeschüchtert worden. Ihr Versuch, den Kontakt zu blockieren, habe der Bekannte des Vaters - dessen Verhalten von der Staastanwaltschaft gesondert behandelt und verfolgt wird - mit erheblicher krimineller Energie technisch ausgetrickst.

Vater zu lasch im Umgang mit dem Netz

Dem Vater warf das Gericht vor, die hiervon ausgehende Gefährdung seiner Töchter nicht hinreichend zu erfassen. Bis zur Gerichtsverhandlung seien die Smartphones der Töchter immer noch mit der Applikation „WhatsApp“ ausgestattet gewesen, so dass der beschuldigte Freund weiterhin ungehindert Kontakt aufnehmen konnte. Aus diesem Grunde gab das Gericht dem Vater auf, jeglichen Kontakt des Kindes mit dem beschuldigten Freund in Zukunft zu verhindern.

Gericht erklärt richtigen Umgang und Kontrolle

Da das Gericht dem Vater nicht zutraute, die technisch erforderlichen Maßnahmen aus eigener Initiative zu ergreifen gab es ihm im einzelnen folgendes auf, nämlich

  • beiden Kindern künftig maximal ein internetfähiges mobiles Smartgerät bis maximal 12,9 Zoll Bildschirmdiagonale zur Verfügung zu stellen,
  • die Messenger App „WhatsApp“ von den Smart-Geräten der Kinder zu entfernen,
  • jegliche Messenger-Apps, welche eine zwangsweise automatische Vernetzung des Nutzers mittels eigener oder fremder, im Gerät hinterlegte Mobiltelefonnummern zwingend vorsehen oder vorschreiben, von den Smartgeräten der Kinder stetig fernzuhalten,
  • mit seinen Kindern einmal im Monat ein Gespräch über den aktuellen Stand der Nutzung der Smartgeräte zu führen und gegebenenfalls auftretende Besonderheiten zu besprechen,
  • die Geräte der Kinder jeweils im März, Juni, September und Dezember eines jeden Jahres auf sämtliche dort installierten Apps zu kontrollieren. 

Messenger-Apps sind für Jugendliche enorm attraktiv

Zur Begründung seiner Entscheidung hat sich das Gericht in seinem ungewöhnlich ausführlichen Urteil intensiv mit dem Wesen und der Bedeutung von  Messenger-Apps für Kinder auseinandersetzt. Nach verschiedensten Untersuchungen sei die Kommunikation mittels dieser Dienste für Jugendliche und auch Kinder immer wichtiger geworden.

Bereits im Alter von 6 -5 Jahren nutze ein Fünftel aller Kinder ein Smartphone. Ab einem Alter von etwa 12 Jahren gehöre der Besitz zum Standard. Im Verhältnis zu anderen Kommunikationswegen wie SMS und E-mail biete die Messenger-App „WhatsApp“ gerade Kindern und Jugendlichen eine besonders einfach zu bedienende und übersichtliche Benutzeroberfläche.

Insbesondere die Multifunktionalität durch besondere Applikationen wie das gemeinsame Chatten mit Gruppen eigener Wahl oder themenbezogene  Zusammenschlüsse mache die App für Jugendliche so attraktiv. Die Anfertigung und Versendung eines Fotos gelinge einem geübten Jugendlichen mit sieben Klicks in 10-15 Sekunden.

Zwangsvernetzung bei „Whats-App“

Das Gericht befasste sich intensiv mit der Messenger-App „WhatsApp“ und kritisierte insbesondere die „WhatsApp“-AGB. Unmittelbar nach Bestätigung der AGB und Erstinstallation kopiere „WhatsApp“ sämtliche digital gespeicherten Telefonnummern auf dem Gerät des Nutzers und speichere diese auf einem eigenen Server in Kalifornien. Damit gebe der Kunde alle seine Kontakte zu Freunden, Kollegen und auch Geschäftspartnern preis. Anschließend synchronisiere „WhatsApp“ alle kopierten Telefonnummern und Kontakte mit auf dem Server bereits bekannten Telefonnummern und Kontakten. Hiernach erfolge eine automatische Verknüpfung von übereinstimmenden Kontakten, was letztlich auf eine zwangsweise Vernetzung des Users hinauslaufe.

„WhatsApp“ runter vom Smartphone

In dieser Funktionsweise sieht das Gericht eine erhebliche Gefahr für die User, die sich im konkreten Fall durch die Kontaktaufnahme durch den Freund des Vaters mit der fünfzehnjährigen Tochter verwirklicht habe.

Zwar habe der User die Möglichkeit, die Kontaktaufnahme durch ihm nicht genehme, hartnäckige Kontaktpersonen zu sperren. Aber:

  • Diese Sperre führe lediglich dazu, dass der Nutzer Nachrichten dieser Person auf seinem Handy nicht mehr sehen kann.
  • Die Sperre sei jedoch durch technisch Versierte relativ leicht zu knacken. Sie könnten sich neue Zugangswege eröffnen und dann wie vorher wieder frei Kontakt zu der betreffenden Person aufnehmen. 
  • So sei es im konkreten Fall auf Dauer nicht zu verhindern, dass der Freund des Kindesvaters allein durch Kenntnis der Mobilfunknummer der Kinder über „WhatsApp“ immer wieder mit diesen in Kontakt trete.
  • Deshalb müsse „WhatsApp“ runter von den Handys.
  • Hinsichtlich der jüngeren Tochter wies das Gericht den Vater auf die Möglichkeit einer so genannten Kindersicherung “Child Protect“ hin, die der Tochter den Zugang nur zu solchen Apps erlaubt, die der Kindesvater ausdrücklich freigibt. 

(AG Bad Hersfeld, Beschluss v.  20.7.2016, F 361/16 EASO)

Fazit: Für digital und technisch weniger versierte Eltern ist es nicht leicht, ihre Sprösslinge vor ungebetenen und nicht erwünschten Kontakten zu bewahren. Die Vorgaben des Gerichts sind im konkreten Fall ungewöhnlich detailliert, aber sicher berechtigt.

Nicht alle Jugendliche dürften es aber ohne weiteres akzeptieren, auf die Kommunikationsmöglichkeiten der allseits beliebten „WhatsApp“ zu verzichten. Hier dürfte letztlich nur ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Eltern und Kindern helfen, aus dem heraus Kinder ihren Eltern auffällige Kontaktaufnahme anzeigen, so dass diese gegebenenfalls die nötigen Schritte unternehmen können. Eine flankierende regelmäßige Kontrolle dürfte aber sicher nicht schaden.

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