Ersatz der Kosten für eine Beinverlängerung

Das LSG Niedersachsen-Bremen hat einer jungen Frau, die unter ihrer geringen Körpergröße von 1,49 m psychisch litt, den Kostenersatzanspruch gegen ihre Krankenkasse für eine gewünschte Beinverlängerung verweigert.

Traumgröße 1,60 m

Die im Jahr 1999 geborene Klägerin litt schon in ihrer Jugend unter ihrer Körpergröße. Im Juli 2017 beantragte sie bei der beklagten Krankenkasse die Kostenübernahme für eine operative Beinverlängerung. Sie stützte ihren Antrag auf die schriftlich begründete Therapieempfehlung eines Medizinprofessors, der die Implantation eines Verlängerungssystems vorschlug, mit dessen Hilfe die Klägerin ihre gewünschte Traumgröße von 1,60 bis 1,65 m erreichen könnte.

Kleine Körpergröße führte zu wiederkehrenden depressiven Phasen

Darüber hinaus legte die Klägerin der Krankenkasse das psychodiagnostische Gutachten eines Psychotherapeuten bei, wonach die Klägerin infolge ihrer geringen Körpergröße in ständig wiederkehrende depressive Phasen gerate. Sie leide darunter, nach ihrer Vorstellung von der Umwelt nicht als vollwertig wahrgenommen zu werden. Durch physische Behinderung im Alltag wie zu hohe Schränke, Spiegel, Waschbecken, Stühle und auch Treppenstufen werde sie ständig an ihre geringe Körpergröße erinnert. Hierdurch entstehe ein nicht unerheblicher psychischer Leidensdruck.

Krankenversicherung spricht „Kleinsein“ den Krankheitswert ab

Der medizinische Dienst der Krankenversicherung kam im Rahmen eines sozialmedizinischen Gutachtens zu dem Ergebnis, dass Kleinsein allein keinen Krankheitswert im Sinne des Gesetzes habe und auch den psychischen Belastungen der Klägerin ein solcher Krankheitswert nicht zugemessen werden könne. Die beklagte Krankenversicherung lehnte daraufhin den Antrag auf Übernahme der Kosten für die Beinverlängerung ab.

Erhebliche Einschränkungen durch Abweichung von der Normgröße

Dem gegen den Ablehnungsbescheid eingelegten Widerspruch sowie der erhobenen Klage blieben der Erfolg versagt. Sowohl das SG als auch in 2. Instanz das LSG kamen allerdings zu dem Ergebnis, dass bei einer Körpergröße unter 1,50 m eine nicht unerhebliche Abweichung von der weiblichen Normgröße vorliegt, da nur knapp 3 % der Frauen unter dieser Grenzgröße bleiben. Auch die von der Klägerin vorgebrachten Erschwernisse bei der Berufswahl - die Klägerin war wegen ihrer Größe u.a. nicht für die von ihr gewünschte Ausbildung als Flugpilotin zugelassen worden - erkannten die Gerichte als eine nicht unerhebliche Einschränkung in der Lebensführung an.

Wann ist eine Normabweichung eine Krankheit?

Keiner dieser Nachteile der täglichen Lebensführung überschreitet nach Auffassung der Gerichte allerdings die Schwelle, die eine Krankenbehandlung erfordern würde. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf eine Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinn dieser Norm sei ein regelmäßiger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- und Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Erforderlich sei, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder er an einer Abweichung von der Norm leidet, die entstellend wirkt (BSG, Urteil v.28.2.2008, B 1 KR 19/07 R).

Körperliche Behinderung erst unter 141 cm Körpergröße

In diesem Zusammenhang wiesen die Gerichte auf die Anforderungen an die Anerkennung einer Behinderung im Zusammenhang mit einer Kleinwüchsigkeit hin. Erst bei Unterschreiten einer Körpergröße von 141 cm werde eine körperliche Behinderung anerkannt, eine Schwerbehinderung erst bei einer Körpergröße von weniger als 131 cm. In Anlehnung an diese Anforderungen habe das LSG Baden-Württemberg einer Körpergröße von 147 cm noch keinen Krankheitswert zugesprochen (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 17.11.2015, 11 KR 5308/14; ähnlich: Saarländisches LSG, Urteil v. 25.1.2017, L 2 KR 35/16).

Alltagsschwierigkeiten aufgrund der Körpergröße sind überwindbar

Die Gerichte hielten es im Fall der Klägerin auch für zumutbar, dass diese Alltagsschwierigkeiten aufgrund ihrer geringen Größe durch an eine angepasste Wohnungseinrichtung und durch technische Hilfsmittel begegnet. Der Umstand, dass die Klägerin infolge ihrer Körpergröße bestimmte Berufe nicht ausüben könne, habe keinen unmittelbaren Einfluss auf den Krankheitswert. Auch von einer körperlichen Entstellung der Klägerin infolge ihrer Körpergröße sei nicht auszugehen.

LSG bezweifelt die Sinnhaftigkeit einer Beinverlängerung

Auch die psychischen Belastungen der Klägerin infolge ihrer geringen Größe führen nach Auffassung der Gerichte zu keinem anderen Ergebnis. Die Leistungspflicht der Krankenkasse umfasse nicht die Kosten für operative Eingriffe, um auf diesem Umweg eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern. In diesen Fällen sei gegebenenfalls eine psychotherapeutische Behandlung angebracht, falls diese eine Verbesserung der psychischen Situation der Betroffenen erwarten lasse. Im Übrigen sei es nach dem gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft generell zweifelhaft, ob operative Eingriffe mit dem Ziel körperlicher Korrekturen überhaupt geeignet sind, nachhaltig psychische Leiden zu heilen oder auch nur zu lindern.

Die Ursache für die geringe Körpergröße ist für Krankheitswert nicht entscheidend

Schließlich ließ sich das LSG auch nicht von dem erst zweitinstanzlich vorgebrachten Hinweis der Klägerin auf ein sogenanntes „Noonan-Syndrom“ als Ursache für ihre geringe Körpergröße umstimmen. Die Beurteilung des Krankheitswertes einer körperlichen Abweichung vom Normalmaß hänge nicht davon ab, auf welche Ursache die Abweichung von der Norm zurückzuführen ist. Es komme allein darauf an, dass die erreichte Körpergröße der Klägerin als solche nicht krankheitswertig sei.

Die von der Klägerin eingelegte Berufung gegen den ablehnenden Gerichtsbescheid des SG Bremen hat das LSG daher zurückgewiesen.

(LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 5.7.2022, L 16 KR 183/21)

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