Entlassung eines JVA-Beamten wegen Gefährdung eines Inhaftierten

Justizvollzugsbeamte, die einen des sexuellen Missbrauchs von Kindern verdächtigen Untersuchungshäftling auf dem Gefängnisflur absichtlich einem gefährlichen „Walk of Shame“ durch die Mitgefangenen aussetzen, sind für ihre Arbeit charakterlich ungeeignet.

Das VG Mainz hat die sofortige Entlassung eines Justizvollzugsbeamten auf Probe bestätigt, nachdem dieser einen in Untersuchungshaft befindlichen mutmaßlichen Kinderschänder bewusst einem „Walk of Shame“ zwischen anderen Strafgefangenen und damit Bedrohungen und möglichen körperlichen Angriffen durch Mitgefangene ausgesetzt hat.

Gespräch zwischen Sozialarbeiterin und Untersuchungshäftling

In dem entschiedenen Fall hatte eine Sozialarbeiterin innerhalb einer JVA in einem TV-Raum ein längeres Gespräch mit einem Gefangenen geführt, der sich wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Untersuchungshaft befand. Der spätere Antragsteller war zu diesem Zeitpunkt als Vollzugsbeamter auf Probe in der JVA angestellt. Er wusste von diesem Gespräch und es war ihm bekannt, dass der Untersuchungshäftling im Anschluss an das Gespräch den vor dem TV-Raum befindlichen gesamten Gefängnisflur bis zum anderen Ende durchschreiten musste, um zu seiner Zelle zu gelangen.

Sozialarbeiterin musste den Untersuchungshäftling begleiten

In diesem Fall wäre es üblich gewesen, die Strafgefangenen des betreffenden Flures so lange in ihren Zellen zu belassen, bis der Untersuchungsgefangene zurück in seine Zelle verbracht worden wäre. Ungeachtet dessen schloss der Antragsteller 25 Gefangene des betreffenden Flures zur offenen Freizeit zu einem Zeitpunkt heraus, als das Gespräch zwischen der Sozialarbeiterin und dem Untersuchungshäftling noch andauerte. Deshalb musste der Untersuchungshäftling nach Beendigung des Gesprächs an den in Freizeit befindlichen 25 Strafgefangenen vorbeilaufen. Als die Sozialarbeiterin die Situation bemerkte, begleitete sie den Untersuchungshäftling persönlich bis zu seiner Zelle.

Vollzugsbeamter hatte die kritische Situation mit voller Absicht herbeigeführt

Am folgenden Tag sprach die Sozialarbeiterin nach ihren Angaben - denen das Gericht folgte - den diensthabenden Beamten auf Probe auf den Vorgang an. Dieser gab zur Antwort:

„Das war ich. Das war mit Absicht. The Walk of Shame“.

Dienstherr reagierte mit sofortiger Entlassung

Nachdem die Sozialarbeiterin den Vorgang gemeldet hatte, ordnete das Land Rheinland-Pfalz die Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis auf Probe mit sofortiger Wirkung an. Hiergegen legte der Betroffene Widerspruch ein und beantragte in einem gerichtlichen Eilverfahren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entlassungsentscheidung. Hiermit hatte der Antragsteller - nach Heilung eines Formfehlers in der ursprünglichen Entlassungsverfügung - im Ergebnis keinen Erfolg.

Späteres Bestreiten nützte nichts mehr

Der Antragsteller bestritt vor Gericht zwar, mit Absicht gehandelt und den von der Sozialarbeiterin behaupteten Kommentar abgegeben zu haben. Da dieses Bestreiten jedoch erstmals im gerichtlichen Verfahren und nicht schon vorher bei seiner Anhörung erfolgte, glaubte das Gericht dem Antragsteller nicht. Zudem war kein Grund dafür ersichtlich, dass die Sozialarbeiterin den Antragsteller zu Unrecht hätte belasten wollen.

Gefängnisflur bewusst für Strafgefangene freigegeben

Nach Einschätzung des VG hatte der Antragsteller die übrigen Gefangenen noch während des Gesprächs des Untersuchungshäftlings mit der Sozialarbeiterin bewusst zur Freizeit „herausgeschlossen“, um dem mutmaßlichen Kinderschänder, der wegen dieses Verdachts in der Knasthierarchie auf der untersten Stufe der Wertschätzungsskala gestanden habe, einen „Walk of Shame“ durch die anderen Gefangenen hindurch zu bereiten und eine damit verbundene mögliche Eskalation der Situation bewusst in Kauf genommen.

Mutmaßlichen Sexualstraftäter absichtlich in Gefahr gebracht

Dieses Verhalten des Antragstellers hat nach Auffassung des VG für den Untersuchungshäftling, nicht nur die Gefahr persönlicher Anwürfe und Beleidigungen, sondern auch die nicht von der Hand zu weisende Gefahr körperlicher Angriffe und daraus folgender körperlicher Verletzungen durch andere Strafgefangene heraufbeschworen. Diese Gefahrenlage habe der Antragsteller für den Untersuchungshäftling absichtlich herbeigeführt

Für die Arbeit des Justizvollzugsbeamten endgültig disqualifiziert

Nach Bewertung des VG hatte der Antragsteller damit seine Neutralität und Garantenpflicht als Justizvollzugsbeamter gegenüber dem Gefangenen dermaßen verletzt, dass er sich für die ihm anvertrauten Tätigkeit endgültig disqualifiziert habe. Eine weitere Erprobung im Sinne einer 2. Chance sei angesichts der Schwere des Fehlverhaltens nicht in Betracht gekommen. Dies gelte umso mehr, als ein bereits vor diesem Vorfall vorbereiteter Entwurf einer Beurteilung des Antragstellers im Gesamturteil auf „noch nicht geeignet“ gelautet habe.

Die Entlassung war unausweichlich

Nach Auffassung des VG hatte der Dienstherr bei seiner Entscheidung auch kein Ermessen. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr.2 BeamtStG i.V.m. § 31 Landesbeamtengesetz Rheinland-Pfalz könne ein Beamter auf Probe aus dem Beamtenverhältnis entlassen werden, wenn er sich während der Probezeit nicht bewährt. Stehe die Ungeeignetheit eines Beamten auf Probe mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit fest, so gebiete es die Fürsorgepflicht die Entlassung des Beamten auf Probe sofort auszusprechen.

Sofortiger Vollzug der Entlassung war rechtmäßig

Vor diesem Hintergrund bewertete das VG die Entlassung des Beamten auf Probe aus dem Beamtenverhältnis im Rahmen der summarischen Prüfung im Eilverfahren als mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtens. Die beantragte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Entlassungsverfügung kam hiernach nicht in Betracht.

Fazit: Auch mutmaßliche Sexualstraftäter haben in der Haft ein Recht auf Schutz ihrer Persönlichkeit und ihrer körperlichen Unversehrtheit sowie auf Vollzugsbedienstete, die diese Rechte beachten.

(VG Mainz, Beschluss v. 21.7.2021, 4 L 513/21).

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