Ehrenamtliche sind Chorsänger unfallversichert

Die ehrenamtliche Sängerin eines Frauenchors ist im Rahmen eines öffentlichen Adventsingens in kirchlichen Räumen unfallversichert. Ehrenamtler des DRK genießen Versicherungsschutz bei der Fahrt zu einem Nachbarverein.

In zwei Grundsatzentscheidungen hat das BSG das ehrenamtliche, bürgerschaftliche Engagement im Rahmen der Unfallversicherung gestärkt. Die für Vereine und Religionsgemeinschaften zuständige Verwaltungs-Berufsgenossenschaft ist danach für den unfallversicherungsrechtlichen Schutz bürgerschaftlich engagierter Personen im Bereich der Kirchen verantwortlich. In einem weiteren Fall hat das BSG den Unfallversicherungsschutz für Ehrenamtler des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) bejaht.

1. Fall: Adventsingen in den Räumlichkeiten der Kirche

Der Frauenchor einer evangelischen Kirchengemeinde wollte am 3.12.2016 in den kirchlichen Räumlichkeiten ein öffentliches Adventssingen anbieten. Der Auftritt war zwischen der Vorsitzenden des Frauenchors und dem Pfarrer der Kirchengemeinde abgesprochen. Im lokalen Amtsblatt wurde die Veranstaltung unter der Rubrik „Kirchliche Nachrichten“ als „Weihnachtskonzert“ öffentlich angekündigt.

Keine Aufwandsentschädigungen für Chormitglieder

Sämtliche Mitglieder des Frauenchores waren auf ehrenamtlicher Basis tätig. Mit der Tätigkeit waren keinerlei Einnahmen oder Aufwendungsersatz verbunden. Dies galt auch für das geplante Adventssingen.

Schwerer Unfall auf dem Weg zum Adventssingen

Zu dem Adventssingen Anfang Dezember 2016 reiste ein Chormitglied unter Mitnahme zweier weiterer Chormitglieder mit dem eigenen PKW an. Infolge erheblicher Glatteisbildung geriet das Fahrzeug ins Schleudern. Der anschließende Unfall führte zu leichten Verletzungen der Mitfahrerinnen sowie zu erheblichen Verletzungen der Fahrerin. Infolge einer durch den Unfall verursachten hypoxischen Hirnschädigung leidet sie seither unter einer Lähmung sämtlicher Extremitäten.

Verwaltungs-Berufsgenossenschaft lehnte Versicherungsschutz ab

Die Unfallkasse sowie die für Vereine und Religionsgemeinschaften zuständige Verwaltungsberufsgenossenschaft lehnten Versicherungsschutz für die Folgen des Unfallereignisses ab. Die von der Fahrzeugführerin eingereichte Klage auf Anerkennung des Unfallereignisses als Arbeitsunfall wies das LSG - anders als das erstinstanzlich zuständige SG - ab.

Steht Freude am Singen dem Unfallschutz entgegen?

Das LSG begründete die Klageabweisung damit, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung als Arbeitsunfall nicht gegeben seien. Gemäß § 2 SGB VII würden als Versicherte nur solche Personen erfasst, die ehrenamtlich für eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisation oder im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung für eine öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft tätig seien. Dieser altruistisch geprägten Handlungstendenz stehe im konkreten Fall die eigenwirtschaftlich geprägte Handlungstendenz der Klägerin entgegen. Sie habe nach eigener Aussage das Singen in dem Chor aus „Freude am Gesang und der Gemeinschaft“ und damit „in ihrem eigenwirtschaftlichen Interesse“ ausgeübt. Damit scheide ein Anspruch auf Versicherungsschutz aus.

Unentgeltliche Tätigkeit im Interesse einer Religionsgemeinschaft

Das von der Klägerin mit der Revision angerufene BSG bewertete die Voraussetzungen des Unfallschutzes völlig anders. Das LSG selbst habe festgestellt, dass die Klägerin freiwillig und unentgeltlich im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung, nämlich dem Weihnachtskonzert, habe auftreten wollen. Damit sei die Klägerin für die private Organisation „Frauenchor“ mit ausdrücklicher Einwilligung einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft, nämlich der evangelischen Kirche, tätig geworden.

Freude am Singen ändert nichts an der Gemeinwohlorientierung

Der Umstand, dass die Klägerin ihre Freude am Singen in den Vordergrund ihrer Motive für die Mitgliedschaft im Frauenchor betont habe, ändere nichts daran, dass das Adventssingen als eine Tätigkeit im Interesse des Gemeinwohls im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung zu bewerten sei.

Fahrt zum Adventskonzert ist unfallversichert

Die Anfahrt zur Teilnahme am beabsichtigten Adventskonzert stand nach der Bewertung des BSG auch in innerem Zusammenhang mit dem Ehrenamt als Chormitglied, so dass nach Auffassung des BSG der eingetretene Verkehrsunfall zu den als Arbeitsunfall versicherten Gefahren gehört.

Mittelbare Tätigkeit für eine Religionsgemeinschaft reicht aus

Ergänzend wies das BSG darauf hin, dass der Versicherungsschutz als Arbeitsunfall seit dem „Gesetz zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich engagierter und weiterer Personen“ vom 9.12.2004 nicht mehr von einem unmittelbar ehrenamtlichen Tätigwerden für eine Religionsgemeinschaft abhängig ist, sondern gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 10b SGB VII auch eine nur mittelbar ehrenamtliche Tätigkeit im Rahmen einer privatrechtlichen Organisation (Frauenchor) für die Religionsgemeinschaft die gesetzlichen Voraussetzungen für den Versicherungsschutz erfüllt.

BSG bestätigt Eintrittspflicht der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft

Im Ergebnis ist nach der Entscheidung des BSG daher die Berufsgenossenschaft nach § 2 Abs. 1 Nr. 10b SGB VII für den Versicherungsschutz zuständig, während die Eintrittspflicht der Unfallkasse Sachsen-Anhalt nach deren Satzung als subsidiär zurücktritt.

(BSG, Urteil v. 8.12.2021, B 2 U 19/20 R)

2. Fall: Klage eines Vereinsvorsitzenden des DRK auf Versicherungsschutz

Gleichzeitig mit seiner Entscheidung zur Chorsängerin hat das BSG den Versicherungsschutz für Ehrenamtler und bürgerschaftlich engagierte Personen gestärkt, die für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) tätig sind. In diesem Verfahren hatte ein ehrenamtlicher Vorsitzender eines Ortsvereins des DRK auf Versicherungsschutz für die Fahrt zu einem Freundschaftsbesuch und Teilnahme an einer Versammlung bei einem benachbarten DRK-Ortsverein geklagt. Auf dieser mit einem Mannschaftsbus durchgeführten Fahrt zum Nachbarverein kam es ebenfalls zu einem schweren Verkehrsunfall. Mehrere Insassen wurden verletzt, für eine Insassin endete die Fahrt tödlich.

Auch Ehrenamtler des Roten Kreuzes sind unfallversichert

Das BSG bestätigte auch hier die Eintrittspflicht des Trägers der Unfallversicherung. In diesem Fall begründete das BSG den Versicherungsschutz mit SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 12. Auch diese Vorschrift bezwecke einen umfassenden Schutz der unentgeltlichen und ehrenamtlichen Tätigkeit im öffentlichen Interesse und zum Wohle der Allgemeinheit. Die Teilnahme von Mitgliedern des DRK-Ortsvereins an der Generalversammlung des benachbarten Ortsvereins diene der Stärkung einer möglichen Zusammenarbeit beider Ortsvereine im Ernstfall, ermögliche durch Gedankenaustausch eine kritische Sicht auf die eigenen Abläufe und diene insgesamt der Koordination der ehrenamtlichen Tätigkeit. Die Anfahrt dorthin unterfalle daher dem gesetzlichen Unfallschutz.

(BSG, Urteil v. 8.12.2022, B 2 U 14/20 R)