
Schwere Schlappe für die deutsche Justiz: Deutschland wurde vom Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, 4.000 EUR Entschädigung an einen Strafverteidiger zu zahlen, weil die Staatsanwaltschaft ungerechtfertigt Informationen von dessen Geschäftskonto gesammelt und verbreitet hatte. Die StPO kann das nicht rechtfertigen.
Der Beschwerdeführer ist Strafverteidiger. Streitpunkt war die behördliche Anforderung und Speicherung von Informationen in Bezug auf das Geschäftskonto des deutschen Rechtsanwalts.
Ermittlungsverfahren gegen Mandanten
Im Jahr 2009 überwies die Verlobte eines Mandanten von ihrem Privatkonto ein Honorar für den Anwalt auf dessen Geschäftskonto.
- In den Jahren 2010 und 2011 führte die Staatsanwaltschaft gegen einen Personenkreis,
- zu dem auch dieser Mandant gehörte,
- ein Ermittlungsverfahren wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und Geldwäsche durch.
In diesem Zusammenhang wurde sie bei der Überprüfung mehrerer Bankkonten, darunter die des Mandanten und seiner Verlobten, auf die Überweisung an den Strafverteidiger aufmerksam. Es bestand der Verdacht, dass das überwiesene Geld durch rechtswidrige Taten erlangt worden war.
Bank leitet Transaktionsdaten über zwei Monate weiter
Im März 2011 ersuchte die Staatsanwaltschaft die Bank des Strafverteidigers um Auskunft über die Umsätze, die im Zeitraum von Januar 2011 bis zum Auskunftsersuchen über das Geschäftskonto getätigt worden waren.
Die Bank erteilte der Staatsanwaltschaft die Auskunft. Dabei wurde eine Aufstellung über 53 Transaktionen zur Ermittlungsakte genommen. In diese konnten neben den Strafverfolgungsbehörden auch alle andere am Verfahren beteiligten Anwälte Akteneinsicht nehmen und sich informieren, von wem der Beschwerdeführer welche Geldbeträge erhalten hatte. Behörden-Compliance sieht anders aus.
- Der Strafverteidiger erfuhr erst im Januar 2012 von der Überprüfung seines Kontos,
- als er für seinen Mandanten Einsicht in die Ermittlungsakte nahm.
- Er verlangte, die sein Geschäftskonto betreffenden Informationen herauszugeben beziehungsweise zu vernichten.
Dem kam die Staatsanwaltschaft nicht nach.Vor den deutschen Gerichten blieb er ohne Erfolg. Auch das Bundesverfassunggericht half nicht weiter. Deshalb machte der Beschwerdeführer vor dem EGMR eine Verletzung des Rechts auf Privatsphäre nach Art. 8 EMRK geltend.
EGMR hat Anwalt 4.000 Euro Entschädigung zugesprochen
Er fand bei den Richtern des EGMR offene Ohren:
- Einstimmig stellten sie eine Verletzung von Art. 8 EMRK fest,
- für das keine hinreichende Rechtfertigung ersichtlich sei,
- denn die deutsche StPO genüge diesen Anforderungen nicht.
und sprachen dem Anwalt eine Entschädigung in Höhe von 4.000 Euro für die Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatsphäre zu.
StPO zu lax mit Verteidigerechten und Mandantenschutz
Die Richter kritisierten, dass laut StPO ein bloßer Tatverdacht genüge, um so umfassende Maßnahmen einzuleiten. Auch sei die Auskunft über das Verteidigerkonto inhaltlich unbegrenzt erfolgt, habe also nicht nur die den fraglichen Fall von Bandenbetrug betreffenden, sondern sämtliche Kontobewegungen erfasst.
Da es auch keine verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen gegen dies Vorgehen gäbe, sei die Schwelle für eine Auskunft nach § 161 StPO zu niedrig, um den Schutz des Anwalt-Mandanten-Verhältnisses in §160a StPO zu gewährleisten.
Staatsanwaltschaft sammelte rechtsgrundlos Informationen
Die Staatsanwaltschaft habe damit ohne hinreichende rechtliche Grundlage und somit ungerechtfertigt Informationen bezüglich des Geschäftskontos des Rechtsanwaltes gesammelt, gespeichert und zugänglich gemacht und dabei auch schutzwürdige Informationen über seine Mandanten offengelegt.
Auch die deutsche Justiz hat sich nicht mit Ruhm bekleckert, indem sie einen solchen umfassenden Finanzstriptease durch mehrer Instanzen durchgewunken hatte.
(EGMR, Urteil v. 27.4.2017, 73607/13).
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