Duzen unter Parteifreunden ist keine Beleidigung

Das AG Brandenburg bewertet das „Du“ gegenüber einem Parteikollegen nicht als Beleidigung, auch wenn der Geduzte diese Anredeform nicht wünscht.

Das AG Brandenburg hat den Antrag eines Parteimitglieds auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Erhebung einer Unterlassungsklage gegen einen Parteikollegen, der ihn gegen seinen Willen duzt, mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen.

Antragsteller begehrte Unterlassung der Du-Anrede

Obwohl die beabsichtigte Klageeinreichung in Ermangelung des nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 BbgSchlG erforderlichen Schlichtungsverfahrens bereits unzulässig gewesen wäre, hat das AG sich die Mühe gemacht, auch die materiellrechtlichen Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage im Rahmen des Prozesskostenhilfegesuchs zu prüfen. Die erwünschte Prozesskostenhilfe begehrte der Antragsteller für eine gegen seinen Parteikollegen gerichtete Klage mit dem Antrag, diesem zukünftig die Anrede „Du“ zu untersagen..

AG steigt tief in den Bedeutungsgehalt der Du-Anrede ein

Nach dem Urteil des AG wäre die beabsichtigte Unterlassungsklage begründet, wenn der unerwünschte Gebrauch der Du-Form als Beleidigung mit ehrverletzendem Charakter gemäß § 185 BGB zu qualifizieren wäre. Das AG beschäftigte sich in seiner Prüfung mit der der Du-Anrede innewohnenden tieferen Wortbedeutung. Nach der Definition des Universalwörterbuchs Duden sei das „Du“ eine Anrede an Verwandte, an vertraute Personen, an Kinder, an Gott oder göttliche Wesenheiten, gelegentlich auch an Untergebene. Demgegenüber werde die Anredeform „Sie“ im allgemeinen als Höflichkeitsanrede gegenüber fremden oder bekannten Personen verwendet, zu denen kein besonderes persönliches Näheverhältnis bestehe.

Über „Du“ oder „Sie“ entscheidet der Angesprochene

Nach Auffassung des AG ist insoweit ein Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen anzuerkennen, darüber zu entscheiden, auf welche Weise er angesprochen werden will. Auch müsse ein Bürger sich nicht gefallen lassen, von Amtsträgern geduzt zu werden, wenn dies erkennbar die persönliche Würde des auf diese Weise Angesprochenen herabsetzen soll (BVerwG, Beschluss v. 4.6.1990, 7 B 31/90).

Grenzen des Selbstbestimmungsrechts

Dieses Selbstbestimmungsrecht hat nach Auffassung des AG jedoch Grenzen da, wo die Anredeform eingebettet ist in Gebräuche, die im jeweiligen Beziehungskreis des Betroffenen üblich sind (LAG Hamm, Urteil v. 29.7.1998, 14 Sa 1145/98). Dabei sei auch entscheidend, ob der objektive Sinngehalt der Anrede „Du“ im konkreten Fall von einem unbefangenen verständigen Dritten in einer Weise verstanden werden muss, dass damit die persönliche Würde des Angesprochenen verletzt werden soll. Hierbei spiele der konkrete Kommunikationszusammenhang eine entscheidende Rolle (BVerwG, Urteil v. 22.10.2008, 2 WD 1/08).

Du-Form als Ergebnis historischer und kultureller Entwicklungen

Vor diesem Hintergrund wies das AG auf das übliche Duzen unter Studenten und in bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhängen, z.B. auch in Jugendcafés oder teilweise in der Modebranche, hin. Darüber hinaus existiere ein solidarisches „Du“ in bestimmten Vereinen, bei Gewerkschaften. In Frankreich sei nach der Revolution von 1789 das „Du“ per Dekret unter republikanisch gesinnten Franzosen festgelegt worden und habe sich bis zum heutigen Tag durchgesetzt.

Parteikollegen dürfen „Du“ sagen

Nach Auffassung des AG ist der Gebrauch des „Du“ auch unter Parteikollegen eher ein Ausdruck der gemeinsamen Gesinnung und nicht Ausdruck einer bewussten Ehrverletzung. Wer in eine Gewerkschaft oder eine politische Partei eintrete müsse sich daher üblicherweise gefallen lassen, dass er von seinen Parteifreunden geduzt wird. Der Antragsteller solle auch an andere Kulturkreise denken. In Schweden spreche man nur Mitglieder des Königshauses und alte Menschen mit „Sie“ an, im englischsprachigen Raum existiere überhaupt keine Unterscheidung zwischen „Du“ und „Sie“.

PKH-Antrag erfolglos

Im Ergebnis ließ das Gericht in seiner ausführlichen Begründung nicht nur erkennen, dass die beabsichtigte Klage aussichtslos wäre, sondern der Antragsteller seine etwas starre Haltung gegenüber dem Duzen nochmals überdenken solle. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe blieb hiernach erfolglos.

(AG Brandenburg, Beschluss v. 28.12.2021, 31 C 148/21)

Hintergrund:

Gemäß § 185 StGB ist die Beleidigung eines anderen Menschen strafbar, allerdings nur auf Antrag des Beleidigten. Besteht Wiederholungsgefahr, so ist in diesen Fällen auch ein Anspruch auf Unterlassung weiterer Rechtsverletzungen gemäß §§ 1004, 823 BGB i.V.m. § 185 StGB gegeben.

Ehrverletzung muss von einigem Gewicht sein

In der Rechtsprechung wird die Beleidigung definiert als eine Äußerung, die geeignet ist, die Ehre einer Person herabzusetzen. Dies kann auch durch den Gebrauch der „Du-Form“ gegen den Willen des so Angesprochenen geschehen, wenn aus den Umständen die Absicht der Ehrabschneidung erkennbar wird und die Ehrverletzung von einigem Gewicht ist (AG Hamburg, Urteil v. 10.3.2008, 256 Cs 160/08). So können der Gebrauch eines Literaturzitats „Sie können mich mal…“ wie auch das Duzen je nach Umständen des Einzelfalls den Tatbestand der Beleidigung erfüllen oder auch nicht (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 1.6.2004, 1 Ss 46/04).

Der Dieter-Bohlen-Fall

Aufsehen in den Medien hatte vor mehreren Jahren eine Entscheidung des AG Hamburg erregt, das das Duzen eines Polizeibeamten durch den Pop-Titan Dieter Bohlen nicht als Beleidigung gewertet hat, obwohl das Duzen eines Polizeibeamten in solchen Fällen von den Gerichten in der Regel als Beleidigung gewertet wird. Bohlen war nach dem unbefugten Parken seines Fahrzeugs auf einem Bürgersteig mit einem Polizeibeamten aneinandergeraten.

Ein Popstar mit der Lizenz zum Duzen

Das AG und später auch das LG bewerteten den Gebrauch der Du-Form gegenüber dem Beamten nicht als Beleidigung. Begründung: Weil Bohlen einfach jeden duzt, auch in seinen Fernsehshows. Das Duzen gehöre zu seinen gewöhnlichen Umgangsformen und sei deshalb lediglich eine Unhöflichkeit ohne ehrverletzenden Charakter.