Die Pkw-Maut ist mit Pauken und Trompeten gescheitert

Österreich hat das "Aus" für die Maut erstritten:  Die nach großem Wahlkampfgetöse von der CSU erzwungene und mit erheblichem Aufwand an Manpower erarbeitete Regelung zur Einführung der Pkw-Maut ist vor dem EuGH grandios gescheitert. Die Verstöße gegen EU-Recht waren deutlich und die  Schlappe der Bundesregierung könnte für den Steuerzahler teuer werden. Österreich unterlang nur in einem Rügepunkt.

Die Einführung der Pkw-Maut war für die CSU lange ein unverzichtbares Prestigeobjekt. Im Sommer 2014 präsentierte der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt ein Konzept für die Infrastrukturabgabe. Im März 2015 winkte der Bundestag die Pläne nach heftiger und kontroverser Debatte durch. Der finanzielle und personelle Aufwand zur Einführung der PKW Maut war erheblich, denn die Zweifel an der Vereinbarkeit mit europäischem Recht waren von Anfang an groß und bedurften umfangreicher Rechtsgutachten.

Unser Nachbar Österreich hat Deutschland verklagt

Geklagt vor dem EuGH hatte die Republik Österreich unterstützt durch das Königreich der Niederlande als Streithelfer. Beklagte war die Bundesrepublik Deutschland unterstützt durch das Königreich Dänemark als Streithelfer. Gegenstand der Klage war die von der Republik Österreich begehrte Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem

  • Infrastrukturabgabengesetz (InfrAG) vom 8.6.2015 in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes vom 18.5.2017 (mit dem eine Infrastrukturabgabe für Pkw eingeführt wurde)
  • und mit dem Gesetz zur Änderung des zweiten Verkehrssteueränderungsgesetzes vom 6.6.2017 (mit welchem als Kompensation die gleichzeitige Steuerentlastung für deutsche Kfz-Halter geregelt wurde)

gegen EU-Recht verstößt.

Grundsätzlich sind Mautgebühren innerhalb der EU zulässig

Rechtsgrundlagen der EuGH-Entscheidung sind die Eurovignettenrichtlinie 1999/62/EG vom 17.6.1999 in der Fassung 2011/76 EG vom 27.9.2011 sowie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Gemäß Art. 7 der Eurovignettenrichtlinie ist die Erhebung einer Maut im transeuropäischen Straßennetz grundsätzlich möglich,

  • wenn hierdurch der internationale Verkehr nicht diskriminiert wird
  • und dies nicht zur Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen führt.

Mautgebühren dürfen Verkehrsteilnehmer nicht aufgrund ihrer Staatsangehöriglkeit diskriminieren 

Gemäß Art. 7 Abs. 3 der Eurovignettenrichtlinie dürfen Maut- und Benutzungsgebühren weder mittelbar noch unmittelbar zu einer unterschiedlichen Behandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit der Verkehrsteilnehmer führen.

Art. 18 Abs. 1 AEUV statuiert ein Verbot der Diskriminierung EU-Angehöriger aus Gründen der Staatsangehörigkeit insbesondere auf den Gebieten freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr sowie Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Abhängigkeitsverhältnis von Maut und Steuerentlastung

Der EuGH hob in seinem Urteil zunächst hervor,

  • dass die Infrastrukturabgabe (=PKW Maut) und die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer am gleichen Tag, nämlich am 8.6.2015 eingeführt,
  • dann in engem zeitlichen Zusammenhang am 18.5.2017 bzw. 6.6.2017 geändert wurden und
  • damit die Steuerentlastung der Bundesbürger vom Beginn der Erhebung der Infrastrukturabgabe abhängig gemacht worden ist und
  • die Steuerentlastung für die Halter von Kraftfahrzeugen in Deutschland der Höhe nach dem Betrag der Infrastrukturabgabe entspricht, die diese Halter im Voraus zu entrichten haben.

Aus diesem Zusammenhang spricht laut EuGH die klare Absicht des deutschen Gesetzgebers, die neue Belastung durch die Infrastrukturabgabe für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen in vollem Umfange zu kompensieren.

Diskriminierung nicht deutscher Staatsangehöriger

Dieser enge Regelungszusammenhang zwischen Strukturabgabe einerseits und Steuerentlastung andererseits führt nach Wertung der Richter zu dem praktischen Ergebnis, dass Halter nicht in Deutschland zugelassene Fahrzeuge schlechter gestellt würden als die der in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge. Dies sei ein klarer Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV.

Maut behindert den freien Warenverkehr

Nach Auffassung des Gerichts wird durch das Infrastrukturgesetz auch der freie Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten behindert. Der elementare Grundsatz des Waren- und Dienstleistungsverkehrs folgt laut EuGH aus Art. 34 AEUV, wonach ein absolutes Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie aller Maßnahmen gleicher Wirkung niedergelegt sei (EuGH, Urteil v. 27.4.2017, C - 672/15).

  • Die von Deutschland vorgesehene Infrastrukturabgabe werde zwar nicht direkt auf beförderte Waren erhoben, dennoch sei sie geeignet Pkw mit einem Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t beim Grenzübertritt zu beeinträchtigen und habe damit direkte Auswirkungen auf den freien Warenaustausch.
  • Außerdem würden auf diese Weise transportiert Waren aufgrund der kombinierten Anwendung der streitigen nationalen Maßnahmen ungünstiger behandelt als die mit in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen gelieferten Waren.

Damit stelle die Infrastrukturabgabe eine gegen Art. 34 AEUV verstoßende Beschränkung des freien Warenverkehrs statt

Unzulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs

Schließlich bejahte der EuGH mit ähnlichen Argumenten eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs wie sie in Art. 56 AEUV vorgesehen sei. Die Dienstleistungsfreiheit gelte gleichermaßen für die Dienstleistenden, die sich zum Empfänger der Dienstleistungen begeben (aktive Dienstleistungsfreiheit) wie für die Freiheit der Leistungsempfänger, die sich zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen einen anderen Mitgliedstaat begeben (passive Dienstleistungsfreiheit, EuGH, Urteil v. 11.9.2007, C-76/05).

Die Infrastrukturabgabe sei auch hier geeignet, den Zugang von aus einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland stammenden Leistungserbringern und Leistungsempfängern zum deutschen Markt zu behindern.

Benachteiligung ausländischer Verkehrsunternehmer

Gemäß Art. 92 AEUV darf ein Mitgliedstaat i.d.R. die Vorschriften für Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten nicht ungünstiger gestalten als diejenigen für inländische Verkehrsunternehmer. Auch hier bringt die Neuregelung nach der Wertung des EuGH eine unzulässige Benachteiligung ausländischer Verkehrsunternehmer, da die bestehende Lage für ausländische Verkehrsunternehmen, die mit Fahrzeugen von bis zu 3,5 t das Gebiet der Bundesrepublik befahren, im Vergleich zu deutschen Verkehrsunternehmen in einem ungünstigen Sinne verändert werde (EuGH Urteil vom 19.5.1992, C195/90).

Österreich unterliegt in einem Rügepunkt

Keine Diskriminierung bedeutet nach der Wertung des EuGH (entgegen der Rüge der Republik Österreich) die konkrete Ausgestaltung der Vollzugsregelungen der Infrastrukturabgabe. Die in § 11 Abs. 7 InfrAG vorgesehene Möglichkeit, wonach die Behörden bei einem Pflichtverstoß gegen die Vignettenpflicht von Zuwiderhandelnden, die ein in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland zugelassenes Fahrzeug benutzen, eine Sicherheitsleistung erheben können, bedeutet nach Wertung des Gerichts keine Diskriminierung der im Gesetz genannten Personengruppe.

Durch diese Regelung solle erkennbar lediglich sichergestellt werden, dass die Verhängung eines Bußgeldes bei Verstößen auch gegen nicht-deutsche Staatsangehörige durchgesetzt werden kann. Dies sei nach ständiger Rechtsprechung des EuGH zulässig (EuGH, Urteil v. 19.3.2002, C224/00).

Ergebnis: PKW-Maut enthält vierfachen Rechtsverstoß

Der EuGH kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass die Infrastrukturabgabe für Pkw verbunden mit einer vollen steuerlichen Kompensation für in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge gegen die Verpflichtungen aus Art. 18, 34, 56 und 92 AEUV verstößt. Das Gericht gab der Klage der Republik Österreich daher überwiegend statt und legte drei Viertel der Kosten des Verfahrens der Bundesrepublik Deutschland auf.

Desaster für deutsche Steuerzahler?

Das Urteil des EuGH ist nicht nur eine rechtliche Blamage für die Koalition, die Entscheidung könnte auch erhebliche Folgen für den deutschen Steuerzahler haben. Das Bundesverkehrsministerium hat zur Umsetzung der Maut bereits gültige Verträge, unter anderem mit CTS Eventim geschlossen, dessen Aktienkurs nach dem Urteil deutlich nachgegeben hat. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat die Verträge nach dem Urteil des EuGH sofort gekündigt. Laut Informationen der Tagesschau enthalten die Verträge Schutzbestimmungen zugunsten der Vertragspartner, für den Fall, dass die Maut aus rechtlichen Gründen nicht eingeführt werden kann. Das Auftragsvolumen für die Mindestvertragslaufzeit von zwölf Jahren soll laut Informationen der Tagesschau bei ca. 2 Milliarden Euro liegen. Die Opposition fordert deshalb schon jetzt vom Verkehrsministerium die Offenlegung der Verträge.

(EuGH, Urteil v. 18.6.2019, C-591/17).


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Hintergrund:

Das Ergebnis ist um so ärgerlicher, da sich viele namhafte deutsche Europarechtler gegen die Rechtmäßigkeit de Regelung positioniert hatten, die hier so offenkundig umdribbelt werden sollte.