Die freche Referendarin und das Bundesverfassungsgericht

Gegenüber einem Ausbilder äußerte sich die Rechtsreferendarin dermaßen unflätig und beleidigend, dass die Rechtsanwaltskammer sie als unwürdig zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs einstufte und ihr die Zulassung zur Anwaltschaft versagte - zu Unrecht, wie das BVerfG nun entschieden hat.

Als die 35 Jahre alte Juristin ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragte, verweigerte ihr die Rechtsanwaltskammer Köln die Zulassung mit der Begründung, sie sei der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 Nr. 5 BRAO nicht würdig. Der Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen bestätigte diese ebenso seltene wie harte Entscheidung.

Persönliche Chemie zum Ausbilder stimmte nicht

Der Grund für die Verweigerung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft lag im Verhalten der Juristin während ihres Referendariats. Dort war sie im September 2010 einem Staatsanwalt zur Einzelausbildung in Strafsachen zugewiesenen. Die persönliche Chemie zwischen der Referendarin und Ihrem Ausbilder stimmte nicht. Es kam mehrfach zu persönlichen, aber auch zu fachlichen Auseinandersetzungen. Der ausbildende Staatsanwalt beurteilte ihre Leistungen im abschließenden Stationszeugnis mit der Note „befriedigend“.

Hass-Mail an den Ausbilder

Die Referendarin war mit dieser gar nicht so schlechten Bewertung nicht einverstanden und vermutete unter anderem eine Benachteiligung wegen des bei ihr vorhandenen Migrationshintergrundes. In einer E-Mail an ihren Ausbilder kommentierte sie die Bewertung unter anderem wie folgt:

  • „Sie sind ein provinzieller Staatsanwalt, der nie aus dem Kaff raus gekommen ist, in dem er versauert. Ihr Weltbild entspricht dem des typischen deutschen Staatsbürgers von 1940. Mit Ihrem Leben und Ihrer Person sind Sie so zufrieden wie das Loch vom Plumpsklo“.
  • „Als sie mich vor sich hatten, sind sie von Neid fasst erblasst. Ich konnte Ihren Hass geradezu sinnlich wahrnehmen. Am liebsten hätten sie mich vergast, aber das ist ja heute out .“

Im weiteren Text warf sie ihrem Ausbilder vor, ihr aus Rache ein wirres Zeugnis ausgestellt zu haben, was für ihn wahrscheinlich der „Höhepunkt Ihres Lebens“ und seiner „armseligen Existenz“ darstelle.

Auch eine Oberstaatsanwältin geriet in die Schusslinie

Die zuständige Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung ein. Dort bekam auch die zuständige Oberstaatsanwältin ihr Fett weg. Die angriffslustige Juristin warf der ermittelnden Oberstaatsanwältin eine nicht hinnehmbare Rechtspraxis vor. Ihre Mail endete mit den Worten

„Sollte das eine Frage der inneren Einstellung sein, gehören Sie nicht in den Justizdienst. Sollte das intellektuell bedingt sein, so besuchen Sie doch noch einmal eine Grundstudiumsvorlesung“.

Das gegen die Juristin eingeleitete Strafverfahren endete mit einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen.

Rechtsanwaltskammer lehnt Zulassung zur Anwaltschaft ab

Aus diesen Verhaltensweisen der Rechtsreferendarin schloss die für die Entscheidung über die Zulassung zur Anwaltschaft zuständige Rechtsanwaltskammer, dass die Rechtsreferendarin für die Tätigkeit als Rechtsanwalt nicht geeignet sei. Ihre Klage gegen den Ablehnungsbescheid beim nordrhein-westfälischen Anwaltsgerichtshof blieb ohne Erfolg (AGH Hamm, Urteil v. 30.10.2015, 1 AGH 25/15).

Referendarin zieht zum BVerfG

Ein Antrag auf Zulassung der Revision wurde vom BGH abgelehnt. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Referendarin die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG.

Ablehnung der Zulassung = Berufsverbot

Beim höchsten deutschen Gericht hatte die abgelehnte Juristin nun Erfolg. Das BVerfG sah das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG als verletzt an.

  • Der Beschwerdeführerin werde durch die Ablehnung die Wahl eines Berufes verwehrt, für den sie die fachlichen Voraussetzungen habe und
  • dessen Ausübung sie als Grundlage ihrer Lebensführung anstrebe.
  • Die Versagung der Zulassung stelle ein zumindest vorübergehendes Berufsverbot dar.

Unwürdigkeit ist ein zulässiger Ablehnungsgrund

Der Senat stellte aber auch klar, dass ein solches Berufsverbot gemäß § 7 Nr. 5 BRAO grundsätzlich rechtlich zulässig ist, wenn der Bewerber sich als für den Beruf des Rechtsanwalts als unwürdig erweist. Verfassungsrechtlich begegne die Vorschrift grundsätzlich keinen Bedenken.

  • Allerdings müsse die Vorschrift als Ermächtigung zu einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff eng ausgelegt werden.
  • Für den Begriff der Unwürdigkeit reiche es nicht aus, dass das Verhalten eines Bewerbers im beruflichen oder gesellschaftlichen Umfeld auf Missfallen stoße,
  • vielmehr müsse das vom Bewerber gezeigte Fehlverhalten geeignet sein, das allgemeine Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege zu beeinträchtigen (BGH Beschluss v. 10.5.2010, 117/09). 

Verfassungsrichter rügen hartnäckige Uneinsichtigkeit der Beschwerdeführerin

Dieser Auslegung wurden die Entscheidungen der Rechtsanwaltskammer und des AGH nach dem Diktum der Verfassungsrichter nicht gerecht.

  • Die Verfassungsrichter gaben der Rechtsanwaltskammer in der Bewertung des gezeigten Verhaltens der Juristin als offensichtliches, unangemessenes Fehlverhalten grundsätzlich recht.
  • Auch spreche die fehlende Unrechtseinsicht der Bewerberin nicht unbedingt für sie.
  • Die Einschätzung, dass das durch dieses Verhalten das Vertrauen in die Rechtspflege und in die Integrität des Anwaltsstandes unmittelbar gefährdet seien, teilten die Verfassungsrichter jedoch nicht. 

Notwendige Abwägung versäumt

Die Verfassungsrichter bemängelten auch die unbedingt erforderliche Abwägung eines faktischen Berufsverbotes mit den grundrechtlichen Belangen der Beschwerdeführerin.

  • Die Rechtsanwalt, habe das Gewicht und die Bedeutung der freien Berufswahl für die Beschwerdeführerin nicht angemessen gewürdigt.
  • Auch habe der Anwaltsgerichtshof es versäumt, eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf zukünftige mögliche Beeinträchtigungen der Interessen der Öffentlichkeit und der Rechtsuchenden zu stellen.
  • So müsse berücksichtigt werden, ob die konkrete Gefahr besteht, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Zulassung als Rechtsanwältin auch vor Gericht in einer Art und Weise auftreten würde, die das Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft und das Interesse einer funktionierenden Rechtspflege beeinträchtigen könnte.

Auch freche Juristen dürfen Anwalt werden

Im Ergebnis erkannten die Verfassungsrichter auf eine schwere Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin durch die ablehnende Entscheidung der Rechtsanwaltskammer. Daher erübrige sich auch eine Prüfung, ob weitere Grundrechtsverstöße in Betracht kämen. Das BVerfG hob die Entscheidungen der Rechtsanwaltskammer und des AGH auf und verurteilte das Land Nordrhein-Westfalen zur Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin. Der Zulassungsantrag der frechen Juristin dürfte damit nunmehr bessere Erfolgsaussichten haben.

(BVerfG, Beschluss v. 22.10.2017, 1 BvR 1822/16)

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Hintergrund:

Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, dass ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. 

Schlagworte zum Thema:  Zulassung, Rechtsanwalt, Grundgesetz, Justiz, Juristen, Richter