Die EU plant die Eindämmung von Einschüchterungsklagen

Die EU-Kommission will mit einer neuen Richtlinie rechtsmissbräuchliche Klagen einschränken, die ausschließlich den Zweck haben, Journalisten, investigative Medien oder Menschenrechtsaktivisten einzuschüchtern und deren Berichterstattung zu behindern.

Einschüchterungsklagen heißen in der EU-Kommission SlappStrategic lawsuit against public participation“. Es handelt sich um strategische Klagen, mit denen investigative Medien oder Journalisten zum Schweigen gebracht werden sollen.

47 gerichtliche Klageverfahren gegen Investigativ-Journalistin aus Malta

Ein tragisches Beispiel und auch Anlass für die EU-Initiative ist die im Jahr 2017 ermordete maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia, deren investigative Korruptionsberichterstattung bestimmte Kreise erheblich störte und die zum Zeitpunkt ihres Todes mit 47 gerichtlichen Verfahren überzogen war, die mutmaßlich den ausschließlichen Zweck hatten, die Journalistin u.a. durch die Gefahr der drohenden enormen Verfahrenskosten einzuschüchtern.

Einschüchterungsklagen EU-weit auf dem Vormarsch

Nach dem aktuellen Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU ist die Strategie der Einschüchterung von investigativen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten insbesondere in einigen Mitgliedstaaten der EU – der Bericht nennt u. a. Polen und Kroatien – auf dem Vormarsch. Das Problem ist aber nicht nur auf diese Staaten beschränkt. EU-weit werden Journalisten immer häufiger gerichtliche Klagen gegen unliebsame Berichterstattung angedroht.

Klageverfahren mit wirtschaftlichem Vernichtungspotenzial

Beispiele existieren inzwischen aus fast jedem EU-Land. In Österreich haben der finanzkräftige, weltweit tätige Immobilienmogul René Benko (Galeria Karstadt/Kaufhof) und der Gastronom Martin Ho das wirtschaftlich unbedeutende investigativ tätige Medium „ZackZack“ auf insgesamt 3 Millionen Euro Schadensersatz wegen dessen Berichterstattung verklagt, eine Klage die geeignet ist, das kleine Unternehmen wirtschaftlich zu vernichten.

EU-Richtlinienentwurf gegen Einschüchterungsklagen vorgestellt

Die Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jourova, verantwortlich für Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU, hat am 27.4.2022 einen Richtlinienentwurf zur Eindämmung solcher Einschüchterungsklagen vorgestellt. Sie betonte, der Entwurf diene dem Schutz derjenigen, die „Risiken eingehen und sich zu Angelegenheiten im öffentlichen Interesse äußern, zum Beispiel, wenn sie über Anschuldigungen zu Geldwäsche und Korruption, Umwelt- oder Klimabelangen… berichten, die uns alle angehen.“

Neue Optionen für die Gerichte zur Reaktion auf Einschüchterungsklagen

Die EU-Kommissarin ist sich des Problems bewusst, dass nach den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit niemand daran gehindert werden darf, im Fall einer Rechtsverletzung gerichtlich gegen den Verletzer vorzugehen. Gerichte sollen aber künftig in die Lage versetzt werden,

  • bei offenkundig unbegründeten und rechtsmissbräuchlichen Klagen und bei absurd hohen Schadensersatzforderungen diese vorzeitig abweisen zu können.
  • Außerdem soll von rechtsmissbräuchlichen Klagen Betroffenen das Recht auf Ersatz materieller Schäden und
  • auf Entschädigung für immaterielle Schäden eingeräumt werden.
  • Die Opfer sollen bereits im Klageverfahren kostenlosen Rechtsbeistand erhalten können.
  • Der Kläger einer rechtsmissbräuchlichen Klage soll auch zur Übernahme sämtlicher Anwalts- und Gerichtskosten verpflichtet werden können.
  • Darüber hinaus sollen Gerichte Strafen mit Abschreckungswirkung gegen die Kläger verhängen können.

EU-Kommission ist nur für grenzüberschreitende Fälle zuständig

Sollte die Richtlinie von der Kommission beschlossen werden, so müsste diese von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Die Empfehlung der Kommission geht dahin, bei der Umsetzung in nationales Recht nicht nur grenzüberschreitende Fälle zu berücksichtigen – nur solche grenzüberschreitenden Fälle fallen unter die Regelungsbefugnis der EU –, sondern den Schutz auch auf rein nationale Fälle zu erstrecken.

Beschränkung auf zivilrechtliche Verfahren greift zu kurz

Investigative Medien, Menschenrechtler, die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ und NGO’s begrüßen die Initiative der EU-Kommission, kritisieren allerdings, dass der Vorschlag lediglich auf zivilrechtliche Verfahren abzielt. In einigen EU-Staaten sei das Medienrecht zumindest teilweise in den Strafgesetzbüchern geregelt. Strafverfahren würden von der geplanten Richtlinie aber nicht erfasst. Hier bestehe noch Nachbesserungsbedarf.

Nicht nur Investigativjournalisten hoffen auf eine schnelle Umsetzung

Trotz dieser Kritikpunkte halten die betroffenen Organisationen und Journalisten die Initiative der EU-Kommission für einen ersten wichtigen Schritt zu einem besseren Schutz des freien Journalismus innerhalb der EU. Sie drängen deshalb zur Eile und hoffen auf eine möglichst kurzfristige Umsetzung der geplanten Richtlinie in der EU und in den Mitgliedstaaten, damit investigative Berichterstatter künftig nicht mehr mit Hilfe willkürlicher und absurder gerichtlicher Verfahren zum Schweigen gebracht werden können.