Die Erfindung des Rechts - als Justitia erwachte

Das Streben nach Gerechtigkeit ist wohl so alt wie die Menschheit, aber wann und wo wurde erstmals Recht gesprochen und wer hat die Gerichte erfunden? Welche Farben hatte das Recht in den Anfängen seiner Entstehung?

In der Urgeschichte der Menschen finden sich kaum Hinweise auf Recht sprechende Aktivitäten. Ob es beim Steinzeitmenschen oder beim Neandertaler bereits Rudimente einer Recht sprechenden Gewalt gab, ist wenig erforscht und heute auch nicht mehr so leicht nachzuvollziehen.

Indianer kennt kein Recht

Der Völkerkundler Matthew Huxley hat versucht, eine Antwort bei den Amahuncas – einem im Süden Peru`s lebenden Indianerstamm – zu finden. Dieser Stamm lebt noch weitgehend nach steinzeitlichen Regeln, Metalle sind ihm noch nicht bekannt. Nach den Feststellungen von Huxley sind dort rechtliche Regelungswerke, die auch nur entfernt etwas mit unseren Vorstellungen von Recht zu tun haben, nicht zu finden.

Die Fremdtötung gehört dort zu den häufigsten Todesursachen.

Kleinkinder dürfen getötet werden, solange sie noch nicht sprechen können. Es existiert zwar so etwas wie die Ehe, die Ehefrau gehört jedoch nicht nur ihrem Mann, sondern auch dessen Brüdern. Außerdem ist Blutrache erlaubt. Ähnliche Regeln könnte es auch in der Steinzeit oder bei den Neandertalern gegeben haben, sicher ist das jedoch nicht und bleibt daher Spekulation.

Konkrete Spuren bei Homer

Sichere Spuren auf eine echte Gerichtsbarkeit finden sich in Homers Ilias. Homer erzählt, wie das Volk sich auf dem Markt versammelte, weil sich dort ein Streit erhoben hatte. Einer der streitenden Personen hatte offenbar einen Verwandten des anderen ermordet, die Parteien hatten sich auf ein „Wergeld“ verglichen, durch dessen Zahlung der Mörder der Rache des anderen entgehen sollte.

Der Mörder gelobte vor dem Volke, dass er das Wergeld gezahlt habe, der andere erklärte, er habe nichts bekommen: „Und beide begehrten, beim Schiedsmann einen Entscheid zu erlangen, und das Volk schrie beiden zu...“. Historiker schließen aus dieser Schilderung, dass dort ein regelrecht kontradiktorisch geführter Rechtsstreit geschildert wird, bei dem sich ein Kläger und ein Beklagter gegenüber stehen. Eine mit Rechtsmacht ausgestattete Obrigkeit hatte offensichtlich über den Streit zu entscheiden.

Der Applaus entscheidet

Homer schildert, wie zunächst der Beklagte seine Sache vortrug und dann der Kläger. Die von der Obrigkeit bestimmten Ältesten taten hiernach abwechselnd ihren Spruch, jeder nach seinem Eindruck, was das gerechte Urteil sei. Das Volk applaudierte hierzu unterschiedlich, je nachdem, wie gerecht es den jeweiligen Spruch empfand. Der Spruch desjenigen, der am meisten Beifall erhielt, wurde wirksam und anschließend durch die Obrigkeit umgesetzt. Diese Szene gilt bis heute als die Erfindung der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Rechtsfrieden als oberstes Gebot

Interessant ist die Beobachtung, dass durch die Akklamation des Publikums der Volkswille schon damals als maßgeblich für eine gerechte Entscheidung galt. Noch heute wird bei uns das Urteil „Im Namen des Volkes“ gesprochen. Damit war der Rechtsfrieden in der Bevölkerung bereits zu Zeiten Homers ein gewichtiges Element der Rechtsprechung.

 Alle Gewalt geht vom König aus

Dies war ein ebenfalls wesentlicher Kernsatz der ersten Rechtsordnungen. Schon im alten Ägypten übertrug jedoch der König das Amt des Richters auf dritte Personen (Wesire), die unabhängig Recht sprechen sollten und „nur dem Himmel verantwortlich“ waren. Das ägyptische Weltbild war dualistisch bestimmt, von der Zweiheit aus Recht und Ordnung einerseits und dem Chaos andererseits. Während in Vorderasien bereits die ersten Gesetzessammlungen herausgegeben wurden, sprachen die Ägypter ein reines Recht nach Präzedenzfällen und legten große Sammlungen von Urteilssprüchen an (ab etwa 2500 v. Chr.).

Erste Gesetzbücher 

Der biblische „Pentateuch“ enthält die Urgeschichte des Judentums, das zweite Buch Mose  „Exodus“ enthält als Rechtssammlung das „Bundesbuch“ sowie die zehn Gebote (Tora), die erste nach unserem Verständnis komplette Gesetzessammlung, die von einigen noch heute als Vorbild einer kurzen und doch allumfassenden Handlungsanweisung an das Volk gilt. Alle späteren Gesetzessammlungen sind wesentlich umfangreicher und doch in ihren Grundzügen auf dieses Uhrwerk der Gesetzessammlungen zurückzuführen.

Der Prozess des Sokrates

Einer der bekanntesten Prozesse des Altertums ist wohl der des Athener Philosophen Sokrates im Jahre 399 v. Chr. Zu dieser Zeit existierten in Athen bereits 10 Geschworenengerichte, die Kläger- oder Anklägerseite wurde grundsätzlich von Privatpersonen übernommen. Sokrates wurde von einem Dichter, dem Gerber Anytos und dem Redner Lykon angeklagt, weil er die Götter nicht anerkenne und die jungen Leute verderbe.

Voller Gerichtssaal

Sokrates verteidigte sich bekanntlich unklug, indem er stolz erklärte, dass er der Verleumdung nicht weiche und dass er vom Orakel zu Delphi als der weiseste unter den Menschen bezeichnet worden sei. Seine Weisheit sei allerdings allein dem Umstand zu verdanken, dass er erkannt habe, dass auch die Weisheit des Weisesten in Wirklichkeit nichts wert sei. Sokrates lehnte es – was übrigens heute noch genauso unklug ist -stolz ab, das Verständnis der Richter zu suchen und bezahlte diesen Stolz mit dem gegen ihn ergangenen Todesurteil. Gerichte waren damals allerdings deutlich größer als heute: 501 Richter zählte das Gericht, 220 stimmten für Freispruch, 281 Richter für das Todesurteil. Eine so hohe Richterzahl würde heute in München - wie der NSU-Prozess gezeigt hat - in keinen Gerichtssaal passen.

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