Der Fall Sacco und Vanzetti – Justizmord aus Fremdenfeindlichkeit

Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti wurden als italienische Einwanderer in den USA im Jahr 1927 wegen angeblichen Raubmordes zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt - eine Todesstrafe, die nach Ansicht der meisten Historiker aus nationalistischer und fremdenfeindlicher Gesinnung verhängt wurde.

Der Fall Sacco und Vanzetti ist damit ein Lehrstück für unsere heutige, von vergleichbaren  gesellschaftlichen Gefühlslagen geprägte Zeit.

Ob in der Türkei oder in europäischen Staaten wie Ungarn und Polen, aber auch in den westlichen Demokratien wie Frankreich und Deutschland wachsen die gesellschaftlichen Ressentiments gegen alles Fremde und nicht zum eigenen Volk Zugehörige.

Einfluss gesellschaftlicher Stimmungen auf die Justiz

Der Fall von Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti zeigt exemplarisch, zu welchen Auswüchsen solche gesellschaftlichen Stimmungslagen führen und welch fatalen Einfluss solche Stimmungslagen auch auf die Justiz nehmen können.

Plötzlich waren die Einwanderer eine Gefahr

Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte in den USA eine wirtschaftliche Depression, während in Russland die kommunistische Revolution stattfand.  

Die Angst vor den Bolschewiken ging in den USA um. Die bisher geduldete hohe Zahl an Einwanderern wurde plötzlich als Gefahr wahrgenommen. Die Presseberichte, in denen gegen Ausländer Stimmung gemacht wurden, häuften sich.

Raubüberfall den Anarchisten zugeschrieben

Im Gefolge dieser allgemeinen Stimmung, machte sich die Justiz daran, in der Rechtsprechungspraxis Exempel zu statuieren.

Der Raubüberfall auf einen Lohnbuchhalter und einen Sicherheitsbeamten am Weihnachtsabend 1919 in Massachusetts, der mit dem Tod der beiden endete, wurde ganz schnell den Einwanderern zugeschrieben. Die Anarchiebewegung, an der sich insbesondere italienische Einwanderer gerne beteiligten, gehörte nach öffentlicher Meinung in das Fach Kommunismus und war damit der geborene Feind.

Staatsanwalt machte politisch Stimmung gegen die Angeklagten

Die Schuldigen für den Raubüberfall waren schnell ausgemacht. Die Anarchisten Sacco und Vanzetti wurden in einem Fahrzeug verhaftet, in dem jede Menge anarchistischer Flugblätter gefunden wurden.Im anschließenden Prozess interessierten den Staatsanwalt und den  Richter weniger die Tat als die politischen Einstellungen der beiden Angeklagten. Staatsanwalt Katzmann stellte in der Verhandlung besonders heraus, dass die beiden Angeklagten eine Woche, bevor deren Einberufung zu den Truppen erfolgen sollten, dem Land – so wie er es bewertete - den Rücken gekehrt hatten. Die Befragung der Angeklagten gipfelte in der Frage: „Haben Sie dieses unser Land im Mai 1917 geliebt?" Katzmann merkte dann zynisch an: „Um Ihre Liebe zu den Vereinigten Staaten zu beweisen, rannten sie, als man Ihre Dienste benötigte, nach Mexiko davon“.

Todesurteil sechs Jahre nach dem Schuldspruch

Der erste Teil des Prozesses endete mit einem Schuldspruch der Geschworenen im Jahre 1921. Hierauf folgten mehrere Revisionsanträge und Eingaben, die sich über Jahre hinzogen, so dass das Todesurteil erst sechs Jahre später gesprochen wurde. Am 27. August 1927 wurde das Todesurteil vollstreckt. In einem kurz zuvor durch den Verurteilten Vanzetti an den Sohn von Sacco gerichteten Brief schrieb dieser: „Ich hoffe noch immer, und wir werden bis zum letzten Augenblick um unser Recht kämpfen, zu leben und wieder frei zu werden, aber alle Mächte des Staates, des Geldes und der Reaktion sehen uns als Todfeinde an, weil wir Liberale und Anarchisten sind“.

Weltweite Empörung über die Prozessführung

In der Weltöffentlichkeit fand der Prozess große Beachtung. Kurt Tucholsky setzte sich in Deutschland für eine umgehende Begnadigung ein. Die USA installierten vor der Hinrichtung einen Untersuchungsausschuss, der aber justizfreundlich besetzt war und keine schwerwiegenden Verfahrensfehler erkennen konnte. Der Staatsanwalt Fred Katzmann feierte das als wichtigen Erfolg für seine Karriere, in Wirklichkeit war es aber das Gegenteil, wie sich später herausstellte. Nicht einmal seine eigene Behörde dankte ihm die Prozessführung, die eine Atmosphäre von Angst und Schrecken erzeugt hatte. Auch der Vorsitzende Richter verschwand nach dem Prozess mehr oder weniger in der Versenkung.

Rehabilitation nach 50 Jahren

In der Kunst und auch in Filmen erfuhr der Fall in der Folgezeit eine umfangreiche Aufarbeitung. Zur Schuld von Sacco und Vanzetti kursierten die verschiedensten Varianten.

Letztlich hatte die Art der Prozessführung eine objektive Aufklärung des Falles verhindert.

Im Jahr 1977 rehabilitierte der demokratische Politiker und Gouverneur von Massachusetts die beiden Hingerichteten mit den Worten:

„Die Atmosphäre ihres Verfahrens und ihre Revisionen waren durchdrungen von Vorurteilen gegen Ausländer und Feindlichkeit gegenüber unorthodoxen politischen Ansichten“.

Der Politiker äußerte Zweifel an der seinerzeitigen Bereitschaft und Fähigkeit der Justiz zur Gewährung eines fairen Verfahrens und erklärte den Todestag zu einem Gedenktag für Toleranz und Gerechtigkeit.

Lehren für heute

Die Behandlung des Falles durch die damalige, stark von der öffentlichen Meinung beeinflusste US-Justiz zeigt die verheerenden Folgen, die der Einfluss einer aufgeheizten öffentlichen Stimmung auf die Justiz haben und wie in der Folge deren Unabhängigkeit hierdurch untergraben werden kann. Die wichtigste Lehre für die Jetztzeit muss lauten, dass die heute in ganz Europa erkennbaren Bestrebungen rechtsnationaler Strömungen, die Angst vor allem Fremden zu schüren und die allgemeine politische Stimmung in ähnlich fataler Weise wie seinerzeit in den USA gegen jede Form von Toleranz aufzuheizen mit allen – demokratisch zulässigen - Mitteln bekämpft werden müssen.

Extremer Gesinnung sollte es nie mehr gelingen, der Justiz ihren Stempel aufzudrücken und damit die heute vorherrschende demokratisch-freiheitliche Farbe des Rechts nachhaltig zu verfinstern.

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