Cybermobbingfall „Drachenlord“ findet kein Ende

So skurril das Gerichtsverfahren um einen im Internet als „Drachenlord“ bekannten Webvideoproduzenten und Livestreamer anmutet, so tragisch ist es gleichzeitig für den Angeklagten. Die StA hat gegen die aus ihrer Sicht zu milde Verurteilung in zweiter Instanz Revision beim BayObLG eingelegt.

Das LG Nürnberg hat die erstinstanzlich gegen den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung aufgehoben und den 32-Jährigen nun in zweiter Instanz wegen gefährlicher Körperverletzung und weiterer Straftaten zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die StA hatte eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten gefordert.

Strafverfahren um wechselseitiges Cybermobbing

Gegenstand des Strafverfahrens sind geradezu aberwitzige Vorgänge um den Internetauftritt des "Drachenlords" und damit einhergehende Streitigkeiten mit anderen Internetnutzern - zunächst online und später immer häufiger auch in der Realität.

"Drachenlord" eröffnete eigenen YouTube Kanal

Der Ort des Geschehens liegt ca. 30 Autominuten von Nürnberg entfernt im bayerischen Altschauerberg. Im Jahr 2011 eröffnete der dort in seinem eigenen Haus lebende Angeklagte einen YouTube Kanal mit den Namen „Drachenlord 1510“. Dort veröffentlichte er Videos vor allem über sich selbst. Inhalt: Der Angeklagte bei Computerspielen, beim Headbangen zu Heavy-Metal-Music und in Alltagsszenen.

Blog zum Streiten generiert hohe Werbeeinnahmen

Später driftete der YouTuber in Darstellung und Ton immer häufiger von den gewohnten Inhalten ab, wobei er sexuelle Themen oder den Holocaust streifte. Die Zahl der Follower stieg kontinuierlich und in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit an. Dabei ging es Vielen lediglich darum, den übergewichtigen Mann zu beschimpfen, zu beleidigen und mit ihm zu streiten. Der "Drachenlord" selbst heizte die Streitigkeiten immer weiter an -  wohl nicht zuletzt deshalb, weil er von seinen unablässig steigenden Werbeeinnahmen gut leben konnte.

Preisgabe des Wohnorts verändert die Lage dramatisch

Im Jahr 2014 machte der Blogger den Fehler, seinen Wohnort preiszugeben. In der Folge fielen ganze Heerscharen von Followern in das kleine und verschlafene Altschauerberg ein. Der Konflikt mit den Followern verlagerte sich damit in die reale Welt. Vor dem Wohnhaus kam es zu immer häufigeren heftigen verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen. Mitunter beschädigte der "Drachenlord" auch die Fahrzeuge seiner Kontrahenten. Kurz: Er liefert ihnen genau das, was sie als Entertainment wünschten.

Cybermobbing im gesamten Wohnort

Die User im Netz mobbten den "Drachenlord" zusätzlich, indem sie immer wieder Krankenwagen, die Feuerwehr und andere nicht gewünschte Dienstleistungen zu seinem Haus schickten. An Wochenenden kamen die örtlichen Polizeibehörden und auch die Einwohner des Ortes nicht zur Ruhe. Die Gemeinde Emskirchen, zu der Altschauerberg gehört, sah sich u.a. gezwungen, eine Allgemeinverfügung zu erlassen, mit der größere Menschenansammlungen in dem Ortsteil Altschauerberg bei Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 1.000 Euro verboten wurden. In der Folge wurden über 300 Platzverweise ausgesprochen.

Pfeffersprayangriff brachte sieben Monate auf Bewährung

Der "Drachenlord" landete immer häufiger vor Gericht. Im Jahr 2018 rüttelte eine Heerschar von Besuchern am Gartenzaun seines baufälligen Wohnhauses und bewarfen es mit Eiern und Steinen. Darauf besprühte er einige der Angreifer mit Pfefferspray. Wegen dieses Vorfalls wurde Anklage gegen ihn erhoben. Das Urteil lautete sieben Monate Haft auf Bewährung. Kommentatoren des Verfahrens stellten daraufhin die nicht ganz unberechtigte Frage, ob in diesem Verfahren der Täter oder das Opfer bestraft wurde.

Haftstrafe wegen schwerer Körperverletzung ohne Bewährung

Unter anderem wegen der Verletzung einer Person mit einem heftigen Schlag seiner Taschenlampe stand der "Drachenlord" wenig später wieder vor Gericht. Wegen dieses Vorfalls verurteilte ihn das AG wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von zwei Monaten ohne Bewährung. Die Amtsrichterin betonte in ihrer Urteilsbegründung, der Angeklagte sei Täter und Opfer zugleich. Er habe mit bewussten Provokationen versucht, den Bekanntheitsgrad seines YouTube-Kanals stetig zu steigern. Auf Hater reagiere er bewusst aggressiv: Insbesondere der Schlag mit der Taschenlampe sei nicht mehr als Verteidigungshandlung zu werten.

Opfer erschien vor Gericht stark alkoholisiert

Zum Berufungsverfahren vor dem LG Nürnberg waren eine ganze Reihe von Followern erschienen, darunter auch der Hauptzeuge, den der Angeklagte mit einer Taschenlampe angegriffen und verletzt haben soll. Diese warteten bereits seit Mitternacht vor dem Gerichtsgebäude, um sich einen Platz im Verhandlungssaal zu sichern. Die Wartezeit überbrückten sie mit intensivem Alkoholkonsum. Der Zeuge musste von der Polizei vorübergehend festgenommen werden: Eine Messung ergab einen Blutalkoholgehalt in Höhe von 1,76 Promille.

LG Nürnberg urteilte milder

Im Berufungsverfahren hat das LG Nürnberg ein psychiatrisches Gutachten eingeholt. Auf der Grundlage dieses Gutachtens hat das LG dem Angeklagten eine verminderte Schuldfähigkeit attestiert und nach einer zwölfstündigen Verhandlung das erstinstanzliche Urteil im Strafmaß aufgehoben und den Angeklagten u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat das letzte Wort

Mit dem zweitinstanzlichen Urteil ist das Verfahren noch nicht beendet. Die StA hat Revision beim BayObLG eingelegt. Diesem obliegt nun die endgültige Entscheidung in dem Verfahren. Der "Drachenlord" selbst ist inzwischen aus seinem Wohnhaus ausgezogen und wohnt nun an einem unbekannten Ort. Seitdem ist wieder Ruhe in Altschauerberg.