Corona-Streit: Zwischen Ehrverletzung und Meinungskampf

Die kritische Interpretation eines Kommentars, der die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen infrage stellt, ist grundsätzlich ein zulässiger Bestandteil des geistigen Meinungskampfes - es sei denn er dient ausschließlich der persönlichen Verunglimpfung.

Im Streit um den richtigen Standpunkt in Sachen Corona-Beschränkungen sind sowohl auf der Straße als auch im Netz teilweise bizarre Auseinandersetzungen zu beobachten, die auch vor deutschen Gerichten nicht haltmachen. Einen solchen Fall zweier unnachgiebiger Kontrahentinnen hatte kürzlich das OLG Frankfurt zu entscheiden.

Klägerin kämpft gegen coronabedingte Freiheitsbeschränkungen

Die Klägerin des Verfahrens engagiert sich für eine Initiative, die in einer mittelhessischen Stadt bis zum Sommer 2021 unangemeldete, seit diesem Zeitpunkt ordnungsgemäß angemeldete öffentliche Versammlungen und Demonstrationen organisiert. Hiermit möchte die Klägerin auf die nach ihrer Auffassung unverhältnismäßigen Freiheitsbeschränkungen im Zuge der Corona-Schutzmaßnahmen aufmerksam machen.

Anwohner zeigten die Klägerin beim Ordnungsamt an

Einige Bewohner der von den Versammlungen hauptsächlich betroffenen Altstadt hatten die Klägerin wegen der ursprünglich nicht angemeldeten Demonstrationen beim Ordnungsamt angezeigt. Dies empfand die Klägerin als unangemessenes Aufleben eines unguten Denunziantentums.

Klägerin postete Gedicht gegen Denunziantentum im Netz

Im Netz postete die Klägerin daraufhin ein Gedicht unter dem Titel „Denunzianten“. Darin setzte sie sich kritisch mit dem Denunziantentum im allgemeinen und im besonderen auseinander und garnierte ihr Oeuvre mit Passagen, die einige Adressaten als verdeckte Drohung auffassen. Die entscheidende Passage hierbei lautete: „Manch einer“ der „genüsslich denunzierte“ sich vor einem „Drei-Mann-Standgericht“ wiederfand, dessen Urteil „Tod durch Erschießen lautete.

Gegeninitiative postet Kommentar bei Facebook

Eine regionale Gegeninitiative forderte die Klägerin in einem Post über Facebook auf, zu erklären was sie mit ihrem „unfassbaren Statement“ meine. Kommentierend heißt es in dem Post der Beklagten, die Klägerin fordere sinngemäß ein „knappes 3-Mann-Standgericht mit dem einzig richtigen Urteil Tod durch Erschießen“.

Klägerin beantragt Unterlassung der Kommentierung

Durch diese Art der Kommentierung fühlte sich die Klägerin nun wiederum völlig missverstanden. Mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung forderte sie von der Beklagten, diese Art der Kommentierung zu unterlassen. Die Behauptung, sie habe mit ihrem satirischen Gedicht ernsthaft gefordert, die Anzeigeerstatter standrechtlich zu erschießen, sei eine bewusste Fehlinterpretation und eine infame Unterstellung.

OLG bewertet Kommentierung als Meinungsäußerung

Mit ihrem Eilantrag hatte die Klägerin vor Gericht in zwei Instanzen keinen Erfolg. Den von der Klägerin beanstandeten Kommentar bewertete das Gericht zunächst nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinungsäußerung der Beklagten. Die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung erfolge unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes einer Äußerung. Maßstab für die Bewertung sei dabei das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums.

Gedicht war Anlass für eine scharf formulierte Interpretation

Nach Auffassung des Gerichts versteht das angesprochene Publikum die angegriffene Äußerung als einen Kommentar der Beklagten zu dem zuvor veröffentlichten, durchaus spitz und aggressiv formulierten Gedicht der Klägerin. Es handle sich dabei um eine sachlich nicht völlig abwegige und damit zulässige Interpretation. Die Beklagte habe in ihrem Kommentar nicht behauptet, dass die Klägerin ein Todesurteil gegenüber den Erstattern der gegen sie gerichteten Anzeigen befürworte.

Persönlichkeitsrecht muss hinter freier Meinungsäußerung zurücktreten

Das OLG konzedierte, dass die Gedichtinterpretation der Beklagten geeignet sei, die Ehre und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu tangieren. Die Klägerin habe mit ihrem Gedicht der Beklagten aber Angriffspunkte geliefert, die die von der Klägerin vollzogene Interpretation des Gedichts nicht als völlig abstrus erscheinen ließen. Der Facebook-Post der Beklagten ziele ersichtlich nicht auf eine bloße Verunglimpfung der Persönlichkeit der Klägerin, sondern sei als zulässiger Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer in der Öffentlichkeit zurzeit sehr umstrittenen Frage zu bewerten. Die nur in geringem Maße beeinträchtigten Persönlichkeitsrechte der Klägerin müssten in diesem Fall hinter dem Recht auf freie Meinungsäußerung der Beklagten zurücktreten.


(OLG Frankfurt am Main, Beschluss v. 10.2.2022, 16 U 87/21)