Corona: Gericht stoppt ministerielle Geheimniskrämerei

Das niedersächsische Justizministerium hat einem Journalisten den Zugang zu an die Justiz gerichteten Corona-Erlassen verweigert. Dies brachte der obersten Landesjustizbehörde nun eine peinliche Niederlage vor Gericht ein.

Gegenstand des vom VG Hannover entschiedenen Verfahrens ist ein gegen das niedersächsische Justizministerium gerichteter Eilantrag auf Zugänglichmachung sämtlicher gegenüber den Justizbehörden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie verfügten Erlasse.

Journalist beantragte Einsicht in ministerielle Corona-Erlasse

Der Antragsteller ist Journalist, Vorstandsmitglied von „LobbyControl“ und Projektleiter der „Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.“. Der Verein setzt sich für Transparenz in Politik und Gesellschaft ein und betreibt unter anderem die Website „fragdenstaat.de“. Per Mail vom 14.4.2020 beantragte der Antragsteller beim niedersächsischen Justizministerium den Zugang zu sämtlichen an die Landesjustizbehörden gerichteten Erlasse in Bezug auf den Umgang mit der Corona Pandemie.

Journalist beharrt auf Recht zur Kontrolle der Exekutive

Den Antrag stützte der Journalist auf § 3 Abs. 1 des niedersächsischen Umweltinformationsgesetzes (NUIG) sowie auf § 2 Abs. 1 des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG). Er machte geltend, zur Zeit erlebe die Öffentlichkeit erhebliche Einschränkungen des gewöhnlichen Betriebs des Gerichtswesens. Es bestehe daher ein akutes Bedürfnis zur inhaltlichen Kenntnisnahme der Erlasse. Nur so könne eine sachgerechte Auseinandersetzung der Medien und der Öffentlichkeit mit den aus den Erlassen folgenden Einschränkungen für das Justizwesen erfolgen. Die Öffentlichkeit habe ein Interesse an der Kontrolle des Regierungshandelns. Dies diene der Wahrung der

  • Unabhängigkeit der Justiz,
  • des Grundrechtes auf Zugang zu den Gerichten,
  • des Rechtes auf effektiven Rechtsschutz sowie
  • dem Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren.

Justizministerium verweigerte die Übermittlung

Das niedersächsische Justizministerium lehnte den Antrag mit Bescheid vom 17.4.2020 ab. Bei den streitigen Erlassen handle sich um innerdienstliche Vorgänge, die zum Gebrauch in der niedersächsischen Justiz bestimmt seien und im übrigen weder Umweltinformationen noch Verbraucherinformationen enthielten. Weder das NUIG noch das VIG seien daher einschlägig.

VG erlässt einstweilige Anordnung gegen das Justizministerium

Das VG sah die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO als gegeben an. Nach Auffassung des VG betrifft der geltend gemachte Übermittlungsanspruch Umweltinformationen im Sinne der Umweltinformationsgesetze der Länder. Der Begriff der Umweltinformationen sei nach der Rechtsprechung des BVerwG weit auszulegen (BVerwG, Urteil v. 20.2.2017, 7 C 31.15). Umweltinformationen sind danach alle Daten über Maßnahmen und Tätigkeiten, die sich auf Umweltbestandteile, also auch auf die Luft, auswirken können, § 2 Abs. 3 Nr. 3a NUIG. Die Subsumtion einer Maßnahme unter den Begriff der Umweltinformation setzt nach Auffassung der Kammer nicht voraus, dass eine Maßnahme oder Erlass den Schutz der Luft als solchen bezweckt, es reiche ein sachlicher Bezug zum Umweltbestandteil Luft. Dies entspreche auch dem Sinn und Zweck der Umweltinformationsgesetze, die in Angelegenheiten des Umweltschutzes eine hohe Transparenz zwischen Bürger und Staat schaffen sollten.

Justizerlasse betreffen den Umweltbestandteil Luft

Der erforderliche Bezug zur Luft und damit zur Umwelt sei bei den ministeriellen Erlassen gegeben. Das Coronavirus verbreite sich maßgeblich über die Luft. Es werde unter anderem durch Aerosole übertragen. Mit den Erlassen bezwecke das Justizministerium unter anderem die Reduzierung der Aerosolbelastung der Luft in allen Bereichen, in denen sich Justizbedienstete und oder Besucher der Justiz aufhalten. Damit sei die Möglichkeit der Beeinträchtigung des Umweltbestandteils Luft durch die Erlasse nicht - wie vom BVerwG gefordert - eine nur theoretische, eher fernliegende Möglichkeit (BVerwG, Urteil v. 27.11.2014, 7 C 12.13), vielmehr seien die Auswirkungen der Erlasse auf die Zusammensetzung der Luft evident.

Erweiterter Öffentlichkeitszugang zu umweltbezogenen Informationen

Diese Sichtweise entspricht nach Auffassung des VG auch der Umweltinformationsrichtlinie der EU 2003/4/EG, die einen erweiterten Zugang der Öffentlichkeit zu umweltbezogenen Informationen vorsehe, um so einen freien Meinungsaustausch und eine wirksame Teilnahme der Öffentlichkeit an für die Umwelt bedeutsamen Entscheidungen zu ermöglichen.

VG bejaht Eilbedürftigkeit

Die Entscheidung über den Antrag war nach Auffassung des VG auch eilbedürftig. Nach Erwägungsgrund 13 der Umweltinformationsrichtlinie seien Umweltinformationen der Öffentlichkeit so rasch wie möglich zugänglich zu machen. Im Hinblick auf die Dynamik der Entwicklung der Pandemie und die Dynamik der öffentlichen Diskussion erfordere ein effektiver Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG ein schnelles Handeln der Justiz. Ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache würde nach Auffassung des VG dazu führen, dass die dann mit hoher Wahrscheinlichkeit zugänglich zu machenden Erlasse nur noch von historischem Wert wären und keinen Beitrag mehr zur aktuellen Meinungsbildung der Bevölkerung leisten könnten.

Ohne Eilentscheidung droht endgültiger Rechtsverlust

Mit dieser Argumentation wies das VG auch den Einwand des Justizministeriums zurück, dass mit einer stattgebenden eine Entscheidung die Hauptsache in unzulässiger Weise vorweggenommen würde. Es sei zwar richtig, dass der Zugang zu den Ministererlassen, wenn er einmal erfolgt ist, nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, eine Vorwegnahme der Hauptsache sei aber ausnahmsweise zulässig, wenn andernfalls durch den Zeitablauf irreparable Fakten geschaffen und ein unwiederbringlicher Rechtsverlust eintreten würde (BVerwG, Beschluss v. 13.8.1999, 2 VR 1/99). Dies sei hier der Fall, zumal durch die angeforderten Erlasse wesentliche rechtsstaatliche Prinzipien und Grundrechte betroffen sein könnten.

Auf Pressemitteilungen müssen sich Journalisten nicht verlassen

Schließlich stellte das VG noch klar, dass der Antragsteller nicht darauf verwiesen werden darf, sich auf Pressemitteilungen und Informationen auf der Website des Justizministeriums zu verlassen und diesen zu vertrauen. Pressemitteilungen auf der Website bildeten regelmäßig lediglich Zusammenfassungen der ergriffenen Maßnahmen ab. Der Antragsteller habe aber ein Recht auf eine originäre, vollständige Information, die nur durch direkte Einsichtnahme in die Erlasse möglich sei.

Geheimniskrämerei des Justizministeriums nicht nachvollziehbar

Im übrigen hat das Justizministerium nach der Bewertung der Kammer auch keinerlei nachvollziehbare Gründe darlegen können, welche öffentlichen Interessen einer Auskunftserteilung entgegenstehen könnten. Im Ergebnis stehe dem Antragsteller als Journalist daher auch ein presserechtlicher Auskunftsanspruch gemäß § 4 Abs. 1 des niedersächsischen PresseG zu.

Eilantrag insgesamt erfolgreich

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war daher in vollem Umfang erfolgreich. Gegen die Entscheidung kann Beschwerde beim niedersächsischen OVG eingelegt werden.


(VG Hannover, Beschluss v. 12.5.2020, 4 B 2369/20)