Corona: DAV will BRAO-Änderung zum Widerruf von Anwaltszulassung

Infolge der coranabedingten Beschränkungen des Geschäftslebens sind Teile der Anwaltschaft in existenzielle Not geraten. Der Deutsche Anwaltverein mahnt dringend eine Änderung der Bestimmungen zum Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft an, die bei finanziellen Engpässen quasi vorprogrammiert sei. Die BRAK sieht dies anders und hält eine Änderung für unangebracht.

Für Wirtschaftsbetriebe und Soloselbstständige hat die Politik kurzfristige Finanzhilfen zur Verfügung gestellt. Diese können auch Rechtsanwälten und sonstigen Freiberuflern zugute kommen. Zu den für Gewerbetreibende im Rahmen der Coronakrise eingeführten Erleichterungen im Insolvenzrecht fehlen aber bisher entsprechende Vorschriften für in coronabedingt finanzielle Not geratene Rechtsanwälte.

Rechtsanwälte von der Coronakrise sehr unterschiedlich betroffen

Nach Feststellungen des DAV spaltet sich die deutsche Anwaltschaft zurzeit in zwei Gruppen. Die eine Gruppe wird im Kontext der Coronakrise überhäuft mit Mandaten aus den Bereichen Wirtschafts-, Arbeits- und Insolvenzrecht, größtenteils Mandate im Rahmen der Bewältigung der pandemiebedingten Beschränkungen des Wirtschaftslebens.

In der anderen Gruppe finden sich die Anwälte, die in weniger wirtschaftsnahen Bereichen tätig sind und die infolge der Kontaktverbote vergeblich auf Mandanten warten. Nicht zuletzt Rechtsanwälte im ländlichen Raum gehören zu dieser Gruppe.

Viele Gerichtsverfahren sind Pandemie-bedingt ausgesetzt

Auch die verbreitete Aussetzung gerichtlicher Verfahren, deren Behandlung die Gerichte als weniger dringlich einschätzen, führt in vielen Anwaltskanzleien zu unerwünschtem Leerlauf. Die Präsidentin des DAV, Edith Kindermann, hat sich deshalb zu einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Bundesjustizministerin Christine Lambrecht veranlasst gesehen.

Aussetzung des Zulassungswiderrufs gefordert

Die DAV-Präsidentin weist darauf hin, dass einige Anwälte zurzeit ihre Außenstände nicht begleichen können. Bei Zahlungsunfähigkeit droht gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO der Verlust der Zulassung wegen Vermögensverfalls. Die Rechtsprechung hierzu ist rigoros (BGH, Beschluss v. 3.7.2006, AnwZ(B) 28/05).

Der Verlust der Zulassung könne - so die DAV-Präsidentin - für eine ganze Reihe von Anwälten angesichts der pandemiebedingten geschäftlichen Einbrüche schnell zur bitteren Realität werden. Der DAV fordert daher eine Änderung der BRAO. Ähnlich den Änderungen der InsO soll eine Vorschrift in die BRAO eingeführt werden, die den Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfalls zeitlich begrenzt aussetzt.

DAV fordert grundsätzliche Liberalisierung des Zulassungsrechts

Kindermann bemängelt - wie viele andere vor ihr - die Widerrufsregelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO auch grundsätzlich. Die DAV-Präsidentin äußert Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Vorschrift (→ Insolvenz: Kultur der zweiten Chance bleibt für viele Anwälte eine Illusion).

Soweit hiernach der Entzug der Zulassung möglich ist, ohne dass es auf ein Verschulden des betroffenen Anwalts ankommt, sei die Vorschrift nicht mit der durch Art. 12 GG garantierten Berufsfreiheit vereinbar. Ähnlich äußert sich der ehemalige Herausgeber des Anwaltsblatts Michael Kleine–Cosack in einem Beitrag zum Anwaltsblatt vom 8.4.2020. Er fordert die Einführung einer Vorschrift, wonach bei Entziehung der Anwaltszulassung auch Umstände berücksichtigt werden, aus denen sich auf die realistische Möglichkeit einer zeitnahen Verbesserung der Vermögensverhältnisse schließen lasse.

Regelung zum Zulassungswiderruf widerspricht europäischem Recht

Nach geltendem Europarecht erfordert der Widerruf einer Zulassung in anderen Berufen grundsätzlich eine auf die Zukunft gerichtete Negativprognose. Europaweit werden die freien Berufe einschließlich dem Beruf des Rechtsanwalts dem Recht der gewerblichen Berufe angenähert. Kleine–Cosack weist darauf hin, dass es für den Widerruf einer Zulassung oder Gewerbeerlaubnis zentral auf die Zuverlässigkeit des Betroffenen zur Ausübung des jeweiligen Berufs ankommt. Daher dürfe nicht allein der Vermögensverfall, vielmehr müsse die Feststellung der Unzuverlässigkeit aufgrund einer empirisch fundierten Negativprognose für den Widerruf einer Zulassung maßgeblich sein. In dieser Richtung müsse das Zulassungsrecht der Anwaltschaft grundsätzlich liberalisiert werden.

Aussetzung des Zulassungswiderrufs gefordert

Angesichts der derzeitigen Pandemiesituation existiert nach Auffassung des DAV im Ergebnis kein sachlicher Grund dafür, zahlungsunfähigen Unternehmern die Option einzuräumen, die Stellung eines Insolvenzantrags bis zum 30.9.2020 zurückzustellen und Anwälten eine ähnliche Möglichkeit zu verweigern. Hier wie dort gehe es darum, Existenzen zu erhalten und es den Betroffenen zu ermöglichen, sich durch geeignete Maßnahmen aus einer coronabedingt eingetretenen finanziellen Notlage wieder zu befreien. Im Ergebnis fordert der DAV die Einführung einer BRAO-Übergangsvorschrift mit folgendem Text:

§ 14 Abs. 2 Nr. 7 2. Halbsatz ist bis zum 31. Dezember 2021 nicht anzuwenden, wenn und soweit der Rechtsanwalt nachweist, dass der Vermögensverfall allein auf Umstände zurückzuführen ist, die nach dem 7.März 2020 infolge der Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) eingetreten sind. Satz eins gilt nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Rechtsanwalt in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten aus § 43a Abs. 5 verstoßen hat und dadurch die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet sind. Im übrigen bleibt § 14 Abs. 2 unberührt.

BRAK sieht diese Notwendigkeit nicht

Die Bundesrechtsanwaltskammer dagegen hat sich ausdrücklich gegen eine Änderung der BRAO ausgesprochen. Sie hält die Ausnahmeregelung nicht für erforderlich und die bestehenden gesetzlichen Regelungen für in sich konsistent. Der Schutz der Mandanteninteressen dürfe auch in Krisenzeiten nicht ausgehebelt werden und krisenbedingte kurz- oder mittelfristige Liquiditätsengpässe könnten mit Soforthilfen vermieden werden. Der Anwaltschaft wäre mit einer Anpassung der Antragsvoraussetzungen bei den Soforthilfen daher deutlich mehr geholfen. 

DAV: Anwälte in wirtschaftlicher Corona-Not sollten rechtzeitig Stundungsanträge stellen

Der DAV rät Anwältinnen und Anwälten darüber hinaus, sich gegebenenfalls beim zuständigen Finanzamt, den Versorgungswerken, den Sozialversicherungsträgern und auch anderen Gläubiger rechtzeitig um eine Stundung von Forderungen zu bemühen, wenn die finanzielle Lage schwierig zu werden droht.

Finanzielle Corona-Hilfen für Anwälte

Angehörige der freien Berufe - also auch Anwälte - können zur Zeit unter bestimmten Voraussetzungen finanzielle Hilfen des Bundes und der Länder in Anspruch nehmen:

  • Freiberuflern mit bis zu zehn Beschäftigten gewährt der Bund für drei Monate Zuschüsse zu Betriebskosten, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Voraussetzungen sind wirtschaftliche Schwierigkeiten infolge der Coronakrise.
  • Freiberufler mit bis zu fünf Beschäftigten erhalten bis zu 9.000 Euro, Freiberufler mit bis zu 10 Beschäftigten bis zu 15.000 Euro. Anträge müssen spätestens bis zum 31.5.2020 bei der zuständigen Landesbehörde gestellt werden. Die Antragsformulare für die jeweiligen Bundesländer finden sich meist auf den Internetseiten der jeweiligen Ministerien.
  • Bei Quarantäne von Mitarbeitern besteht ein Entschädigungsanspruch gemäß § 56 Abs. 5 IfSG. Dieser geht Entgeltfortzahlungsansprüchen nach § 3 EntgFG vor.
  • Im Fall der Existenzgefährdung durch eine Quarantäneanordnung können Mehraufwendungen und in einem angemessenen Umfang auch weiterlaufende, nicht gedeckte Betriebsausgaben gemäß § 56 Abs. 4 IfSG erstattet werden. Die Anträge sind gemäß § 56 Abs. 11 IfSG innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Ende der Quarantäne zu stellen.
  • Auch Anwälte können Anspruch auf ALG II (Aufstockung) haben. Nach den vom Bundestag beschlossene Erleichterungen wird für Bewilligungszeiträume vom 1.3.2020 bis 30.12.2020 (nicht erhebliches) Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt. Hierzu genügt eine einfache Erklärung im Antrag.
  • Auch Anwälte können die bis 31.12.2020 fälligen Steuervorauszahlungen stunden bzw. anpassen lassen. Diese Anträge müssen allerdings begründet werden.
  • Sozialversicherungspflichtig beschäftigte Kanzleiangestellte können gemäß § 96 ff SGB III Kurzarbeitergeld erhalten, wenn mindestens 10 % der Beschäftigten der Kanzlei einen Arbeitsentgeltausfall von mindestens 10 % haben.

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Hintergrund: Wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall gerät

Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall ist gegeben

  • wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann,
  • und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.
  • Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn.

Der Vermögensverfall wird gesetzlich vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO, § 882b ZPO) eingetragen ist. Hierbei ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Widerrufs auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens abzustellen. Danach eingetretene Entwicklungen bleiben der Beurteilung in einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten. 

Ohne Erwerbsquelle ist Restschuldbefreiung fast utopisch: Die größere Schwierigkeit von Anwälten, nach Geldschwierigkeiten wieder festen Grund unter die Füße zu bekommen, beruht auf dem Teufelskreis, wonach betroffenen Anwälten fast zwangsläufig die Zulassung zur Anwaltschaft und damit die Existenzgrundlage entzogen wird. Der Vermögensverfall des Anwalts wird gesetzlich vermutet, wenn dieser in das Schuldnerverzeichnis eingetragen worden ist – und das kommt mittlerweile regelmäßig vor. Hinfallen kann bekanntlich jeder. Entscheidend ist nur, wieder aufzustehen. Doch wie soll das möglich sein, wenn die bisherige Einkunftsquelle wegen des Zulassungswiderrufs austrocknet ist und die Betroffenen bis zur Restschuldbefreiung den Anschluss an den Beruf verpassen?

Schlagworte zum Thema:  Rechtsanwalt, Anwaltszulassung, Coronavirus