Corona bringt Recht auf Fahrzeugdesinfektion nach Unfallreparatur

Komplett repariert und virenfrei - das ist der aktuelle Reparaturanspruch: Das LG Stuttgart hat einer Unfallgeschädigten einen grundsätzlichen Anspruch auf Ersatz der von der Reparaturwerkstatt in Rechnung gestellten Kosten für die Innenraumdesinfektion zugesprochen.

Die Corona-Pandemie zeigt Auswirkungen in fast sämtlichen Lebensbereichen. Dies gilt auch für das Schadenersatzrecht im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen. Hier führt die Pandemie zu einer neuen, bisher nicht bekannten, ersatzfähigen Schadensposition.

Fahrzeugreparatur mit Rechnungsposition „Corona-Schutzmaßnahme

Die Parteien des der Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsstreit stritten sich um einzelne Schadenspositionen in einer Reparaturrechnung nach einem Verkehrsunfall. Die Verschuldensfrage war zugunsten der Klägerin eindeutig geklärt. In der zum Zwecke des Schadensersatzes vorgelegten Reparaturrechnung fand sich die Position: „Corona-Schutzmaßnahme“. Ausgewiesen war hierfür ein Betrag inklusive Umsatzsteuer in Höhe von 57,30 Euro.

AG bewertet Desinfektionskosten nicht als adäquat kausale Unfallfolge

Das erstinstanzlich zuständige AG wies den Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Schadensposition „Corona-Schutzmaßnahme“ - unter Stattgabe der Schadensersatzklage im übrigen - zurück. Hinter der Rechnungsposition „Corona-Schutzmaßnahme“ verstecken sich die Kosten für die Desinfektion des Innenraums während und nach der Reparatur. Diese Kosten waren aus Sicht des AG nicht adäquat kausal auf das Unfallereignis zurückzuführen, vielmehr seien sie eine davon getrennt zu sehende eigenständige Folge der Corona-Pandemie.

LG bewertet Desinfektionskosten als ersatzfähigen Aufwand

Die gegen die Abweisung dieser Schadensposition eingelegte Berufung der Klägerin hatte teilweise Erfolg. Die Kammer entschied, dass ein Unfallgeschädigter vor Übergabe eines in einer Fachwerkstatt reparierten Fahrzeugs eine Desinfektion der wesentlichen Kontaktflächen im Innenraum grundsätzlich erwarten kann. Eine solche Maßnahme sei im Rahmen der Schadensbeseitigung angemessen und daher grundsätzlich ersatzfähig.

Fahrzeuginnenraumdesinfektion war objektiv erforderlich

Für dieses Ergebnis ist es nach Auffassung des LG nicht erforderlich, dass ein nennenswertes Risiko einer Schmiereninfektion über Kontaktflächen objektiv besteht. Erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 BGB sei eine Maßnahme auch dann, wenn aufgrund beschränkter Erkenntnismöglichkeiten die objektive Gefährlichkeit einer Ansteckung durch eine Schmiereninfektion nicht wissenschaftlich bis ins letzte geklärt sei. Die Fahrzeuginnenraumdesinfektion sei insofern zur Abwendung einer möglichen Infektionsgefahr erforderlich.

Innenraum eines Kraftfahrzeugs gehört zur Privatsphäre

Das LG berücksichtigte hierbei, dass ein Kraftfahrzeug zum engeren Bereich der Privatsphäre einer Person gehöre, in der der Fahrzeughalter Anspruch auf Schutz gegen eine mögliche Kontamination von außen habe. Die Geschädigte habe nicht abschätzen können, wie viele ihr unbekannte Mitarbeiter der Werkstatt sich in dem Fahrzeug wie lange aufgehalten und dort Reparaturmaßnahmen durchgeführt hätten. Die Gefahr einer hieraus folgenden Infektion lasse sich jedenfalls nicht mit Sicherheit ausschließen.

Rechnungsbetrag überhöht

Allerdings erschien dem LG der von der Werkstatt für die Desinfektion in Rechnung gestellte Betrag überhöht. Eine solche Desinfektion sei ohne größeren Aufwand zu bewerkstelligen. Es sei ausreichend, die Flächen nach Durchführung der Reparatur mit einem Desinfektionsspray zu behandeln und anschließend abzuwischen. Desinfektionsmaßnahmen während der Reparatur und an nicht zum Innenraum gehörenden Flächen seien nicht erforderlich. Für die relativ einfachen Arbeitsschritte zur Durchführung der Innenraumdesinfektion sind nach Auffassung des LG Kosten in Höhe von pauschal 25 Euro zuzüglich Umsatzsteuer, mithin insgesamt 29,75 Euro, angemessen und ausreichend.

Überhöhte Rechnungsposition auch nicht über Werkstattrisiko erstattungsfähig

Die darüber hinaus in Rechnung gestellten Desinfektionskosten kann die Geschädigte nach dem Urteil des LG auch nicht nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos geltend machen. Nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos liegt das Werkstatt- und Prognoserisiko für die Durchführung einer Reparatur beim Schädiger, soweit den Geschädigten bei der Auswahl der Fachwerkstatt kein Auswahlverschulden trifft (BGH, Urteil v. 15.10.1991, VI ZR 314/90). Danach sind dem Geschädigten auch die Mehrkosten zu ersetzen, die ohne seine Schuld durch unsachgemäße oder überflüssige Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstanden sind. Nach einem Urteil des OLG Magdeburg fallen auch Kosten für unnötige Zusatzarbeiten grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des Schädigers (OLG Magdeburg, Urteil v. 7.11.2019, 3 U 7/18).

Berufung nur teilweise erfolgreich

Diese Grundsätze kommen nach Auffassung des LG hier nicht zum Zuge. Die durchgeführten und in Rechnung gestellten Desinfektionsmaßnahmen seien nämlich nicht unmittelbar Bestandteil der Reparaturarbeiten, sondern eine eigenständige Leistung ohne unmittelbaren Zusammenhang mit der technischen Durchführung der Reparatur. Anders als die Beurteilung der Erforderlichkeit von technischen Reparaturmaßnahmen erfordere die Beurteilung der Rechnungsposition „Corona-Schutzmaßnahme“ kein besonderes technisches Verständnis.

Die Unangemessenheit der Rechnungsposition habe sich auch der Klägerin erschließen können. Die Berufung führte daher nur zum Ersatz der vom LG als angemessen erachteten Desinfektionskosten in Höhe von 29,75 Euro.

(LG Stuttgart, Urteil v. 21.7.2021, 13 S 25/21).

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