Colours of law: Wie ästhetisch muss ein Arbeitszeugnis sein?

Was alles kann ein Arbeitszeugnis verunstalten? Ist eine wahllose Silbentrennung ein Manko, das die Qualität eines Arbeitszeugnisses beeinträchtigen kann? Oder ist eine unrichtige Schreibweise oder gar ein negativer Smiley ein hinreichender Grund für einen Zeugnisberichtigungsanspruch des Arbeitnehmers?

Man muss nicht unbedingt die Schriften des deutschen Philosophen Immanuel Kant zur Ästhetik des Schönen und Erhabenen bemühen, um so manches von Arbeitgebern ausgestelltes Arbeitszeugnis als mit den Grundsätzen der Ästhetik schwer vereinbar zu bewerten.

Tatsächlich hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Einhaltung ästhetischer Mindestanforderungen, gegen deren Verletzung er gegebenenfalls gerichtlich klagen kann.

Manche der geltend gemachten Forderungen, mit denen sich die Arbeitsgerichte gelegentlich herumschlagen müssen, erscheinen dem unbefangenen Beobachter allerdings allzu pedantisch oder auch kleinkariert.

Eine Arbeitnehmerin forderte ein Arbeitszeugnis ohne Silbentrennung

Das LArbG Baden-Württemberg hatte über die Beschwerde einer Arbeitnehmerin zu entscheiden, die eine allzu häufige und wahllose Silbentrennung in ihrem Arbeitszeugnis bemängelte. Die ehemalige Schulsekretärin verlangte von ihrem ehemaligen Arbeitgeber ein Zeugnis ohne Silbentrennung. Das LArbG stellte für die Beurteilung des Falles auf § 109 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GewO ab.

  • Da das Arbeitszeugnis dem Arbeitnehmer als zukünftige Bewerbungsunterlage diene, habe der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf, dass das Zeugnis auch äußerlich so gestaltet sei, dass sein berufliches Fortkommen durch die gewählte Gestaltung nicht unnötig erschwert werde.
  • Aus diesen Gründen muss das Arbeitszeugnis nach ständiger Rechtsprechung frei von orthographischen und grammatikalischen Fehlern sein  (LArbG Düsseldorf, Urteil v. 23.5.1995, 3 Sa 253/95).
  • Insbesondere darf das Zeugnis nicht den Eindruck erwecken, der Arbeitgeber distanziere sich durch eine bewusst negativ gewählte äußere Form von den inhaltlichen Bewertungen des Zeugnisses  (BAG, Urteil v. 3.3.1993, 5 AZR 182/92).
  • Deshalb hat der Arbeitgeber die von ihm geschuldete Leistung, nämlich die Erstellung eines wohlwollenden Zeugnisses gemäß § 362 BGB erst dann bewirkt, wenn das Zeugnis keine schwerwiegenden ästhetischen Mängel aufweist.
  • Entspricht das Zeugnis nicht der äußerlich zu erwartenden Form, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abänderung. 

Kein Anspruch auf ein literarisch hochwertiges Arbeitszeugnis

Für die Beurteilung der äußeren Form ist nach Auffassung des LArbG der Empfängerhorizont des potentiellen Zeugnislesers maßgeblich. Nach Auffassung der Landesarbeitsrichter ist es für die Beurteilung des Arbeitnehmers durch einen potentiellen zukünftigen Arbeitgeber aber nicht von Bedeutung, ob ein Arbeitszeugnis im Text Silbentrennungen aufweist oder nicht.

  • Auch die von der Arbeitnehmerin im konkreten Fall beanstandete Zahl von 14 Silbentrennungen tue der späteren Bewertung keinen Abbruch.
  • Übertriebene Anforderungen an die Zeugnisgestaltung seien rechtlich nicht anzuerkennen, insbesondere auch keine individuellen, subjektiven ästhetischen Empfindungen des Arbeitnehmers.
  • Eine häufige Silbentrennung sei nicht geeignet, einen Schatten auf die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers zu werfen.
  • Kleine, subjektiv empfundene, aber objektiv nicht ins Gewicht fallende Unvollkommenheiten seien hinzunehmen.
  • Auf eine spezielle literarische Form und damit auf eine ästhetisch besonders anspruchsvolle Form der Silbentrennung habe der Arbeitnehmer keinen Anspruch. (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 27.11.2014, 3 Sa 21/14). 

Eine besonders integ(e)re Arbeitnehmerin

Das ArbG Düsseldorf hatte sich mit dem Berichtigungsanspruch einer Arbeitnehmerin auseinander zu setzen, die der Arbeitgeber in dem Arbeitszeugnis wegen ihres „loyalen integeren Verhaltens“ lobte. Die Arbeitnehmerin sah sich durch die gewählte Schreibweise verunglimpft. Nach ihrer Auffassung hätte es „integren Verhaltens“ heißen müssen. Das Gericht nahm den Einwand der Arbeitnehmerin zum Anlass, sich ausführlich mit Unarten der deutschen Sprache und mit den Beugeformen aus dem Lateinischen entlehnter deutsche Additive auseinander zu setzen.

  • Dabei ging das Gericht ausdrücklich auf die unterschiedliche Beugung des lateinischen Wortes „dexter“ in der deutschen Ausgabe von „Puh, der Bär“ aus dem Jahre 1960/62 sowie des Glaubensbekenntnisses der katholischen Kirche ein, die bewiesen, dass im Lateinischen Silben bei der Beugung des gleichen Wortes unterschiedlich eingesetzt werden könnten.
  • Nach einer peniblen Auseinandersetzung mit den diversen Beugeformen untersuchte das Gericht schließlich auch Zitate aus aktuellen Tageszeitungen, wie der Rheinischen Post.
  • Die dort verwendete Beugung des Wortes „integer“ sah das Gericht allerdings nicht als maßgeblich an, da die von einem Sportjournalisten verwendete Beugung sprachlich nicht hilfreich sei, zumal sich im Journalismus beim Gebrauch lateinischer Wörter häufig eine Form des mittelalterlichen Lateins durchgesetzt habe, die  gemeinhin als Küchenlatein bezeichnet werde. 

Trotz Grammatikfehlers kein Berichtigungsanspruch

Nach diesen ausführlichen Lehrsätzen zur deutschen und lateinischen Grammatik, kam der Arbeitsrichter schließlich zu dem Ergebnis, dass es schlechterdings nicht vorstellbar sei, dass die Personalabteilung einer später für die Einstellung der Arbeitnehmerin zuständigen Person zu einer negativen Entscheidung dadurch komme, dass das Wort integer mit einem überflüssigen „e“ versehen sei. Es handele sich insoweit zwar um eine Unvollkommenheit des Zeugnisses, diese sei jedoch von so untergeordneter Bedeutung, dass sie von der Arbeitnehmerin hingenommen werden müsse. Trotz des Grammatikfehlers sei der Zeugnisanspruch gemäß § 362 BGB erfüllt und die Klage abzuweisen (ArbG Düsseldorf, Urteil v. 19.12.1984, 6 Ca 5682/84). Der Arbeitsrichter, aus dessen Feder das Urteil stammt, wurde später immerhin Richter am BAG.

Ein Smiley im Arbeitszeugnis muss lachen

Auch die optische Gestaltung eines Arbeitszeugnisses wird vom Arbeitgeber gelegentlich genutzt, um unauffällig eine Bewertung einzupreisen. In Kiel hatte der Arbeitgeber eines Ergotherapeuten das Zeugnis mit einer Unterschrift versehen, die bei genauerer Betrachtung den Eindruck eines Smileys mit heruntergezogenen Mundwinkeln, also einem negativem Gesichtsausdruck vermittelte. Das ArbG Kiel entschied, dass eine bildhafte Gestaltung der Unterschrift zwar grundsätzlich zulässig sei, diese müsse jedoch wohlwollend, d.h. positiv ausgerichtet sein und dürfe daher nur einen lachenden Smiley zeigen (ArbGKiel, Urteil v. 18.4.2013, 5 Ca 80b/13).

Kein Anspruch auf gute Wünsche

Zur Ästhetik eines Arbeitszeugnisses gehört nach Auffassung des LArbG Düsseldorf bei einer insgesamt überdurchschnittlich guten Beurteilung auch eine angemessene Dankesformel am Ende des Zeugnisses (LArbG Düsseldorf, Urteil v. 3.11.2010, 12 Sa 974/10). Dies gilt nach Auffassung des BAG allerdings nicht für ein Durchschnittszeugnis. Nach dem Urteil der Bundesarbeitsrichter besteht gemäß § 109 GewO kein Anspruch, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in einer Schlussformel für seine Mitarbeit dankt und ihm für die Zukunft alles Gute wünscht. Auch wenn dies in der Praxis bei gut gemeinten Zeugnissen zur Regel geworden sei, bestehe ein gesetzlicher Anspruch auf eine solche Dankesformel auch unter allgemein ästhetischen Gesichtspunkten nicht (BAG, Urteil v. 11.12.2012, 9 AZR 227/11).

Unterschrift muss ästhetischen Mindestanforderungen genügen

Dagegen hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine ordnungsgemäße Unterschrift unter das Zeugnis. Die Unterschrift darf weder bewusst in einer Art Kinderschrift geleistet werden, die mit der Ästhetik eines seriösen Zeugnisses nicht vereinbar ist, noch darf die Unterschrift bewusst so nach unten gezogen werden, dass der Eindruck einer schludrigen, besonders lieblosen Handhabung entsteht, die die Gesamtästhetik des Zeugnisses sichtbar negativ beeinflusst und Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Zeugnistextes aufkommen lässt (LArbG Hamm, Beschluss v. 27.7. 2016, 4 Ta 118/16).

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Hintergrund:

Nach § 109 Abs. 1 GewO hat der Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Dieses muss mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis), auf Verlangen des Arbeitnehmers darüber hinaus auch zu Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) enthalten.

Hierbei sollte der Arbeitgeber die gesetzlichen Vorgaben sowie die Anforderungen der Rechtsprechung genau beachten. Entspricht das Zeugnis nach Form oder Inhalt nämlich nicht den gesetzlichen Anforderungen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer ein «neues» Zeugnis zu erteilen (BAG, Urteil v. 21.6.2005, 9 AZR 352/04).

Immer wieder beschäftigen Arbeitsgerichte sich mit Fragen rund um das unerschöpfliche Thema Arbeitzeugnis:

  • Darf der Arbeitgeber es knicken und bekleckern oder das Zeugnisschreiben delegieren?
  • Muss er bedauern (dass der Betreffende geht) und Glück wünschen (für die arbeitnehmerseitige Zukunft, berufliche wie private)?

So ist das schon in der Schule unbeliebte Zeugnis im Arbeitsleben mittlerweile zu einem echten Krisengebiet geworden, auf dem ein dauernder Kleinkrieg herrscht, der Arbeitsgerichte und Anwälte kontinuierlich, Arbeitgeber regelmäßig und Arbeitnehmer alle paar Jahre beschäftigt.