Colours of law: Wenn Richter im Gerichtssaal durchgreifen

Die Teilnahme an einem gerichtlichen Verfahren, ob als Partei, Angeklagter oder Zuschauer, birgt eigene Gefahren. Wer die Mindeststandards eines nach Ansicht des Vorsitzenden Richters angemessenen Benehmens nicht beherrscht, kann schon mal unliebsame Bekanntschaft mit der Sitzungsgewalt des Richters machen. Stehaufmännchen sind da auf der sicheren Seite.

Im Gerichtssaal hat der Vorsitzende Richter die Sitzungsgewalt und kann darüber bestimmen, welches Benehmen im Gerichtssaal angemessen ist und welches nicht.

Bloß nicht sitzen bleiben

Angeklagte, die sich weigern, bei der Urteilsverkündung aufzustehen, riskieren die Verhängung von Ordnungshaft.

Interessant dabei ist, dass das Gesetz keine ausdrückliche Regelungen darüber enthält, zu welchen Zeitpunkten man im Gerichtssaal sitzen darf und wann man aufzustehen hat. Empfindliche Richter können sich durch provokantes Sitzenbleiben von Angeklagten oder auch von Zuschauern aber schon mal veranlasst sehen, gemäß § 176 GVG ein Ordnungsgeld wegen ungebührlichen Benehmens (bis zu 1.000 Euro) oder Ordnungshaft (bis zu einer Woche) verhängen.

Ist Sitzenbleiben Missachtung der Würde des Gerichts?

Das OLG Celle bestätigte die Rechtmäßigkeit einer gegen einen Angeklagten, der beim Betreten des Gerichtssaals durch das hohe Gericht sitzen blieb, verhängten Ordnungshaft.

Im entschiedenen Fall hatte der Angeklagte allerdings bereits während des Verfahrens das Gericht ständig provoziert und musste bereits zu Beginn der Sitzung aufgefordert werden, seine Mütze und seine Schwimmbrille abzunehmen. Der Angeklagte bezeichnete die im Saal anwesenden Polizeibeamten als uniformierte Spielfiguren des Vorsitzenden Richters.

Als der Angeklagte bei der Urteilsverkündung sitzen blieb, verhängte der Vorsitzende Richter gegen den Angeklagten 10 Tage Ordnungshaft.

Ungebühr = erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung

Das OLG Celle bestätigte im Beschwerdeverfahren diese Entscheidung und führte aus:

 „Die Ungebühr ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts. Zu einem geordneten Ablauf in diesem Sinne gehört auch das Beachten eines Mindestmaßes von äußeren Formen und eine von Emotionen möglichst freie Verhandlungsführung“

(OLG Celle, Beschluss v. 17.2.2012, 1 Ws 504/11; ebenso: OLG Brandenburg Beschluss v. 11.6.2013, 2 Ws 12/13)

Strafverteidiger sehen gerichtliche Ordnungsentscheidungen kritisch

Ob das demonstrative Sitzenbleiben eines Angeklagten das gebotene Mindestmaß an der zu beachtenden äußeren Form verletzt, ist allerdings umstritten. Ebenso wird bezweifelt, dass das Sitzenbleiben den Gerichtsfrieden stört oder die Würde des Gerichts verletzt. Das Sitzenbleiben kann nach Ansicht vieler Strafverteidiger ebenso als eine vom Gericht hinzunehmende, eher milde Form des Protests gegen eine gerichtliche Entscheidung durch den Angeklagten gewertet werden.

Angeklagte müssen sich nicht nach jeder Pause erheben

Im Bezirk des OLG Karlsruhe hatte eine Amtsrichterin den Angeklagten bei Beginn der Verhandlung ermahnt, sich gegenüber dem eintretenden Gericht zu erheben, was dieser auf die Ermahnung hin auch tat.

Als der Angeklagte sich nach einer Sitzungspause aber endgültig weigerte, sich beim Wiedereintreten des Gerichts nochmal zu erheben, verhängte die äußerst verärgerte Richterin gegen den Angeklagten ein Ordnungsgeld.

Diese Maßnahme sah das OLG Karlsruhe dann allerdings als unverhältnismäßig an und hob zum jetzt noch größeren Ärger der Amtsrichterin den Ordnungsgeldbeschluss auf.

Einmal zum Einmarsch aufstehen reicht

Das Sitzenbleiben des Angeklagten beim Wiedereintritt des Gerichts stellt nach Auffassung des OLG keine so eklatante Ungebühr gegenüber dem Gericht dar, dass eine Sanktionierung dieses Verhaltens zwingend erforderlich sei (OLG Karlsruhe Beschluss v. 5. 1. 2015, 2 Ws 448/14). In solchen Fällen komme die Verhängung eines Ordnungsgeldes nur dann in Betracht, wenn weitere Umstände im Verhalten des Angeklagten hinzuträten, die sein Verhalten als ungebührlich erscheinen ließen.

Wenn es denn der Wahrheitsfindung dient

In den 1960er Jahren verhielt sich der Vorsitzende Richter der 8. großen Strafkammer des LG Berlin gegenüber dem Angeklagten Fritz Teufel äußerst einfühlsam, indem er geduldig minutenlang auf diesen einredete, um ihn argumentativ zum Aufstehen zu bewegen. Tatsächlich hat der Angeklagte sich schließlich überzeugen lassen und sich mit dem bis heute geflügelten Wort: „Wenn es denn der Wahrheitsfindung dient“ vor dem Gericht erhoben.

Ein Richter mit Sinn für Humor

Ungebührliches Verhalten bei Gericht wurde auch schon in den Anfängen der Bundesrepublik geahndet. Das AG Koblenz hatte eine Prostituierte wegen Verletzung der Sperrbezirks zu 60 DM Geldstrafe verurteilt, ersatzweise drei Tage Haft.

Die Prostituierte erklärte darauf provozierend, sie wähle lieber die Haft, die sitze sie auf einer Arschbacke ab. Wegen ungebührlichen Verhaltens verhängte das Gericht darauf zusätzlich 3 Tage Ordnungshaft. Kommentar des Vorsitzenden: „Das ist für die andere Backe“.

Gereiztes Prozessklima ist zu berücksichtigen

Gar nicht komisch fand es der Vorsitzende Richter des AG Bocholt, als der Angeklagte provozierend mit nacktem Finger auf Zeugen und Wachtmeister zeigte - ein deutliches Zeichen seiner Geringschätzung. Der Richter verhängte Ordnungshaft. Das OLG Hamm entschied hierzu, in einem Strafprozess sei zwar grundsätzlich auf eine möglicherweise gereizte Prozesssituation Rücksicht zu nehmen, ebenso auf das Temperament des Angeklagten, ein Ordnungsgeld wegen Ungebühr sei in diesem Fall aber trotz aufgeheizter Prozesssituation gerechtfertigt (OLG Hamm, Beschluss v. 6.10.2016, 4 Ws 308/16).

Ungebührliches Verhalten des Vorsitzenden Richters mit Folgen

Erstaunlich aber wahr: Auch ungebührliches Verhalten des Vorsitzenden Richters kann Folgen haben.

Dies hat der BGH bereits in den 1950er Jahren entschieden. Ein Richter hatte auf einen wegen Mordes an seiner Ehefrau - schwer kriegsverletzten - Angeklagten nahezu eine Stunde eingewirkt, um diesen zu einem Geständnis zu bewegen.

Hierbei hatte der erregte Richter sich mehrfach deutlich im Ton vergriffen und den Angeklagten in krasser Weise beschimpft. So wünschte er dem eingeschüchterten Angeklagten, dass seine tote Frau ihm des Nachts im Traum erscheinen möge, so dass er keinen Schlaf mehr finde. Der gegen den Richter eingereichte Befangenheitsantrag der Strafverteidigung wurde zurückgewiesen. Auf die Revision des Angeklagten hob dann der BGH das ergangene Strafurteil mit der Begründung auf,

  • der Vorsitzende Richter habe sich gegenüber dem Angeklagten ungebührlich verhalten,
  • damit seine Voreingenommenheit bewiesen
  • sowie seine Unfähigkeit, die für jeden Angeklagten vor einer Verurteilung geltende Unschuldsvermutung ernst zu nehmen (BGH, Urteil v. 9.1.1958, 4 StR 203/57).

Zugegebenermaßen liegt die Entscheidung des BGH bereits einige Zeit zurück, aber sie beweist, dass Angeklagte auch der Ungebühr eines Richters nicht schutzlos ausgeliefert sind. Auch ein Vorsitzender Richter darf nicht alles, auch nicht unter dem Vorwand seiner Sitzungsgewalt.



Hintergrund:

Gegen Zeugen, Zuschauer, Sachverständige oder Angeklagte, die etwa durch Tätlichkeiten, Trunkenheit, Zwischenrufe oder sonstiges Fehlverhalten den Ablauf der Verhandlung stören kann nach § 178 GVG  i.V.M Art. 6 Abs. 2 EGStGB kann Ordnungshaft von einem Tag bis sechs Wochen verhängt werden.   


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