Colours of law: Von Wahrsagern, Kartenlegern und Hellsehern

Wahrsager, Magier und sonstige, mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Personen bedienen auch heute noch einen von der Öffentlichkeit nur wenig beachteten Markt, auf dem sich gerade zum Jahresbeginn vortrefflich Geschäfte machen lassen. Der BGH hat das muntere Treiben rechtlich weitgehend abgesichert.

Wer möchte zum Jahreswechsel nicht im Besitz einer Glaskugel sein, die den Verlauf des neuen Jahres mit all seiner zu erleidenden Unbill und den zu erwartenden Glücksmomenten zeigt. In Zeitungsannoncen, aber auch im Netz bieten Wahrsager, Geisterbeschwörer und Magier jedweder Couleur mit aberwitzigen Versprechungen munter ihre Dienste an, in der Regel gegen ein nicht zu knappes Entgelt.

Wahrsagen ist in allen gesellschaftlichen Schichten beliebt

Obwohl bei aufgeklärten Menschen offiziell verpönt, ist auch die gesellschaftliche Intelligenz nicht frei von einem diffusen Glauben an magische Kräfte. Beispiele gibt es zuhauf. Vom ehemaligen, weltweit angesehenen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand ist bekannt, dass er vor wichtigen politischen Entscheidungen eine Wahrsagerin konsultierte, auf deren Rat er zumindest in Teilen gehört haben soll.

Rechtlich eine Grauzone

Wie sind Vereinbarungen über Wahrsagerei, Geisterbeschwörungen und Kartenlegen eigentlich rechtlich zu beurteilen? Sind Verträge über die Deutung der Zukunft und über magische Unterstützung bei der Partnersuche rechtlich bindend? Haben Kartenleger und Wahrsager nach einer Vorhersage der Zukunft einen Anspruch auf Entrichtung des vereinbarten Entgelts?

Magische Kräfte zur Bewältigung von Lebenskrisen

Im Jahr 2010 hatte der BGH in einem Zivilprozess über einen Fall von Wahrsagerei zu entscheiden und dort einige Grundsätze zur Beurteilung diverser Vertragsgestaltungen aufgestellt. Im dortigen Fall stritten die Parteien über das vereinbarte Entgelt einer Kartenlegerin, die auf Grundlage des Kartenlegens sowie ihrer übernatürlichen magischen Kräfte im Internet Ratschläge bei Beziehungsproblemen und Lebenskrisen anbot. Ein von den Versprechungen faszinierter User ließ sich von der Klägerin mehrfach telefonisch beraten, sowohl in privaten und als auch in beruflichen Lebensfragen.

35.000 Euro Honorar für Kartenlegen

Ursprünglicher Anlass für die Inanspruchnahme der Beratungsleistungen war eine Lebenskrise des etwa 40-jährigen Werbers und Messebauers, der kurz zuvor von seiner Verlobten verlassen worden war. Die Kartenlegerin hatte ihm in Aussicht gestellt, ihre übernatürlichen, magischen Fähigkeiten einzusetzen, um ihm zu einer neuen Liebe und Lebenspartnerin zu verhelfen. Für die Leistungen der Klägerin, die im Wesentlichen in der Deutung von Tarot-Karten bestand, zahlte der Werber alleine im Jahr 2008 eine Summe von über 35.000 Euro. Die Begleichung der letzten Rechnung für das Kartenlegen im Januar 2009 über 6.723,50 Euro verweigerte der User.

Wahrsagerei als Dienstvertrag

Die Kartenlegerin war der Auffassung, einen Anspruch auf die vereinbarte Entlohnung zu haben und verklagte den User zunächst erfolglos beim LG und OLG. Der BGH zeigte allerdings mehr Verständnis für die Klägerin.

  • Wie die Vorinstanzen beurteilte der BGH das zwischen den Parteien zustande gekommene Vertragsverhältnis als Dienstvertrag gemäß § 611 BGB,
  • weil die Klägerin sich zu einer Tätigkeit und nicht zur Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs (dann Werkvertrag) verpflichtet hatte.
  • Wie die Vorinstanzen beurteilte der BGH die versprochene Leistung als objektiv unmöglich und verwies insoweit auf § 275 BGB, wonach der Anspruch auf eine Leistung ausgeschlossen ist, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.
  • § 275 BGB ist nach Auffassung des Senats für jegliches Versprechen des Einsatzes übernatürlicher, magischer oder parapsychologischer Kräfte und Fähigkeiten einschlägig, da derartige Leistungen nach den Naturgesetzen und dem Stand der Erkenntnis von Wissenschaft und Technik schlechthin nicht erbracht werden könnten.

Anspruch auf Zahlung nicht ausgeschlossen

Aus der Unmöglichkeit der versprochenen Hauptleistung folgt nach Auffassung des Senats jedoch nicht, dass der Anspruch auf die Gegenleistung, das Entgelt gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB in jedem Fall entfällt.

  • Ein Vertrag, der objektiv auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist, sei allein deshalb noch nicht nichtig.
  • Außerdem könne § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach der Anspruch auf die Gegenleistung in der Regel entfällt, durch eine Individualvereinbarung abbedungen werden.
  • Rechtsfolge sei die Anwendbarkeit des § 326 Abs. 2 BGB, wonach der Entgeltanspruch bestehen bleibe.
  • Diese Rechtsfolge trete immer dann ein, wenn der Gläubiger nach der vertraglichen Risikoverteilung ausdrücklich oder stillschweigend die Gefahr für ein bestimmtes Leistungshindernis übernommen hat und dieses Leistungshindernis sich dann verwirklicht (BGH, Urteil v. 18.10.2001, III ZR 265/00).

Die Vertragsfreiheit lässt auch irrationale (Dienst)Verträge zu

Der Senat stellte klar, dass

  • Vertragsparteien im Rahmen der Vertragsfreiheit und in Anerkennung ihrer Selbstverantwortung wirksam vereinbaren können, dass eine Partei sich gegen Entgelt dazu verpflichtet, Leistungen zu erbringen, deren Grundlagen und Wirkungen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik nicht erweislich sind, sondern nur einer inneren Überzeugung, einem dahingehenden Glauben oder einer irrationalen, für Dritte nicht nachvollziehbaren Haltung entsprechen.
  • Dies gelte im Hinblick auf § 611 Abs. 2 BGB auch für dienstvertragliche Leistungen, die mit einer wie auch immer gearteten Lebensberatung verbunden sind.
  • Erkaufe sich jemand derartige Dienstleistungen im Bewusstsein, dass die Geeignetheit und Tauglichkeit dieser Leistungen zur Erreichung des von ihm gewünschten Erfolgs rational nicht erklärbar ist, so widerspräche es dem Inhalt und Zweck des konkreten Vertrages sowie dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, einen Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten unter Hinweis auf die objektive Unmöglichkeit der Leistung zu verneinen.
  • Auch im konkreten Fall habe der Beklagte sich bewusst entschlossen, die Klägerin mit der Erbringung einer rational nicht nachvollziehbaren Leistung zu beauftragen.

Die Ausnutzung von mangelndem Urteilsvermögen ist sittenwidrig

Der BGH erwog in seinen Urteilsgründen allerdings die Möglichkeit der Nichtigkeit einer solchen Vereinbarung wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 BGB.

  • Für die Beurteilung dieser Frage, ist nach Auffassung des BGH eine Würdigung sämtlicher Umstände erforderlich.
  • Insbesondere sei zu hinterfragen, ob es sich bei einem der Vertragspartner um eine leichtgläubige, unerfahrene oder psychisch labile Person handelt oder
  • ob eine möglicherweise schwierige Lebenssituation zu einer Einschränkung der Entscheidungsfreiheit oder auch zu Wahnvorstellungen geführt habe und
  • ob dies für die andere Vertragspartei erkennbar gewesen sei.

Manchmal ist Wahrsagen auch einfach nur zulässige Unterhaltung

Von den Unmöglichkeitsfällen abzugrenzen sind nach dem Diktum des BGH die Fälle,

  • in denen es um die Erbringung allgemeiner Lebensberatung geht oder bei denen magische Kräfte und Fähigkeiten lediglich im Sinne einer jahrmarktähnlichen Unterhaltung angeboten werden.
  • Hierzu gehöre auch die Erstellung eines Horoskops.
  • Eine solche Leistung sei objektiv nicht unmöglich, da im Wesentlichen die Dienstleistung „Unterhaltung“ geschuldet werde.

Rechtsstreit an Vorinstanz zurückverwiesen

Die Vorinstanz hatte eine Prüfung der Frage, ob die Klägerin eine Zwangslage und ein mangelndes Urteilsvermögen ihres Kunden bewusst ausgenutzt hatte, versäumt. Zur Klärung der damit zusammenhängenden Fragen hatte der BGH den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Die Glaskugel darf weitergedreht werden

Nach Meinung vieler Juristen bedeutet das Urteil in letzter Konsequenz die rechtliche Anerkennung eines Großteils der Wahrsagerverträge. Ein gutes Neujahrsgeschäft der Wahrsager dürfte damit auch juristisch abgesichert sein.

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