Colours of law: Versicherungsbetrug durch Selbstverstümmelung

Es gibt viele traurige Rechtskapitel. Eines, ebenso kurios wie tragisch, sind die Fälle, bei denen sich jemand aus Habgier oder Not selbst Böses antut: Chirurgen entfernen sich einen oder mehrere Finger von der hoch versicherten Hand, Handwerker in der Schuldenfalle schließen eine hohe Versicherung auf ihre Gliedmaßen ab und greifen zur bzw. in die Kreissäge. Eine schmerzhafte Art, zu Geld zu kommen.

Die Versicherungen schätzen den durch solche blutigen Betrügereien entstehenden jährlichen Schaden auf mehrere 100 Millionen Euro. Inzwischen haben die Versicherer Erfahrung mit diesen Fällen gesammelt. In Verdachtsfällen versuchen sie, mit Hilfe von Indizien und aufwändigen Gutachten die Betrugsabsicht nachzuweisen, was im Einzelfall unterschiedlich gut gelingt.

Wenn jemand seinen Finger abtrennt oder -trennen lässt, um die Versicherungsleistung zu erhalten

Im April 2013 wurde in Potsdam ein Zahnarzt wegen versuchten Versicherungsbetrugs verurteilt. Er hatte sich gegen Invalidität versichert. Die Versicherungssumme betrug 600.000 Euro. Bei einem Raubüberfall sollte er zusätzlich 250.000 Euro erhalten. Gegenüber der Versicherung meldete er einen Raubüberfall, bei dem ihm - was ausgesprochen ungewöhnlich ist – ein Finger abgetrennt worden sei.

In Würzburg wurde 2003 ein 28-jähriger verurteilt, der einer in finanzieller Not befindlichen Person auf deren Wunsch mit einer Kreissäge Daumen und Zeigefinger abgesägt hatte.

Ein Chirurg aus Brandenburg verlangte 2,1 Millionen Euro von seiner Versicherung, nachdem er sich Ende 2001 mit einer Motorsäge vier Finger abgesägt hatte.

Indizienkatalog dazu, was auf Versicherungsbetrug durch Selbstverstümmelung hinweist

Zur besseren Beurteilung solcher Fälle haben die Versicherungen inzwischen katalogmäßig Indizien erfasst, die für einen vorgetäuschten Schadensfall sprechen. Hierzu zählen:

  • eine auffällig angespannte Finanzlage des Versicherten,
  • ein erst kurz vor dem Schadensereignis abgeschlossener Versicherungsvertrag,
  • eine kurz vor dem Schadensereignis erhöhte Versicherungssumme,
  • ein ungewöhnlicher Geschehensablauf,
  • die nicht Auffindbarkeit von abgetrennten Gliedmaßen
  • die Nichterreichbarkeit von Zeugen. 

Ungewöhnlicher Schadensfall bei angespannter Finanzlage

Wie schwer die Anwendung des Indizienkatalogs im Einzelfall ist, zeigt folgender Fall: In Schleswig-Holstein hatte die spätere Klägerin mit der beklagten Versicherung im März 2006 Unfallversicherungsverträge zu Gunsten ihres Sohnes, ihres Lebensgefährten und für sich selbst abgeschlossen. Versicherungsbeginn war der 1.4.2006.

Angespannte finanzielle Lage kann Indiz für Selbstverstümmelung sein

Bereits Anfang April 2006 schnitt ihr Lebensgefährte in einem Ferienhaus mit einer Tischkreissäge Brennholz zu und trennte sich dabei den rechten Daumen ab. Die Versicherung vermutete aufgrund des Indizienkatalogs eine freiwillige Selbstverstümmelung und verweigerte die Zahlung der Versicherungssumme. Neben der extrem kurzen Zeit zwischen Versicherungsabschluss und Verletzung gründete die Versicherung ihren Verdacht darauf, dass aus nicht nachvollziehbaren Gründen der Daumen nicht mehr auffindbar war. Hinzu kam eine erheblich angespannte finanzielle Lage der Beteiligten, so dass die Versicherung von einem typischen Betrugsfall ausging.

Eintritt des Schadens kurz nach Versicherungsabschluss beweist noch nichts 

Das OLG Schleswig Holstein sprach trotz dieser Indizien dem Geschädigten die Versicherungssumme in Höhe von 100.000 Euro zu. Das OLG teilte zwar grundsätzlich die von der Versicherung geäußerten Zweifel, hielt diese aber nicht für ausreichend, um ein freiwilliges, vorsätzliches Handeln des Geschädigten nachzuweisen.

Insbesondere hielt das OLG die zeitliche Nähe von Versicherungsabschluss und Schadensereignis nicht für ein hinreichendes Indiz, denn sonst müssten Versicherungen – so das OLG – für Schadensereignisse kurz nach Versicherungsabschluss in der Regel nicht zahlen (Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil v. 30.6.2011, 16 U 134/10).

Verletzungsbild muss stimmen

In einem ähnlich gelagerten Fall urteilte auch das OLG Hamm, dass gemäß § 178 Abs. 2 Satz 2 VVG grundsätzlich von der Unfreiwilligkeit einer Gliedmaßenabtrennung auszugehen sei und die Versicherung die Freiwilligkeit plausibel darlegen und beweisen müsse (OLG Hamm, Urteil vom 2.12.2011, I – U 83/11). Dieser Beweis ist nach Auffassung des OLG Hamm allerdings dann gelungen, wenn die Schilderung des Verletzten mit den objektiven Befunden, insbesondere mit dem Verletzungsbild, in krassem Widerspruch steht.

Daumen und Zeigefinger im Schnee verschwunden

Die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ berichtet in ihrer Ausgabe vom 5.1.2015 von einem Fall, in dem ein Versicherungsagent mit seiner linken Hand in eine Tischkreissäge geriet und sich dabei mehrere Finger abtrennte. Mit den Fingern fuhr er sofort ins Krankenhaus, wo diese zum Teil wieder angenäht werden konnten. Daumen und Zeigefinger fehlten allerdings. Seine Ehefrau fand diese beiden Finger zehn Tage später beim Schneeschippen in der Garageneinfahrt. Die von dem Versicherungsvertreter in Anspruch genommenen vier Unfallversicherungen hatte er erst wenige Wochen vor dem Vorfall abgeschlossen.

Geldwerte Gliedertaxe

In den zu Grunde liegenden Verträgen hatte er eine so genannte Gliedertaxe vereinbart. In einem Fall war der Verlust von Daumen und Zeigefinger für knapp 1 Million € versichert. Spätere Sachverständigenuntersuchungen waren teils widersprüchlich. Ein Strafgericht verurteilte den Versicherungsvertreter wegen versuchten Versicherungsbetrugs. Dennoch streitet er zivilrechtlich weiter um den Ersatz seines Schadens. Seinen Job bei der Versicherung hat er allerdings verloren.

Selbstverstümmelung ist schon lange ein Thema

Die Verstümmelungsmasche ist nicht neu. Bereits in der Nachkriegszeit sind mehrere Fälle von Selbstverstümmelung zum Zwecke der Erlangung einer Versicherungssumme dokumentiert. Der BGH hat allerdings strenge Beweisforderungen als Voraussetzung für eine Verurteilung wegen versuchten Versicherungsbetrugs gestellt und bereits im Jahre 1954 zwei Angeklagte freigesprochen, weil weder der Versicherung noch der Staatsanwaltschaft der erforderliche Beweis für das vorsätzliche Abhacken eines Daumens mit einer Axt gelungen war (BGH, Urteil v. 15.6.1954, 2 StR  299/53). Die Crux bei der Beurteilung dieser Fälle liegt häufig darin, dass selbst bei Vorliegen wesentlicher Betrugsindizien sich dem unbefangenen Betrachter die Frage stellt, wie finanzielle Gründe dazu führen können, dass jemand den eigenen Körper grausam verstümmelt.  

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