Colours of law: Kunstfreiheit in Zeiten von Charlie Hebdo

Der Anschlag auf die Redaktion in Paris war auch ein Anschlag auf die Kunstfreiheit. Doch die Kunstschaffenden und insbesondere die Satiriker stehen fest zusammen. Sie wollen sich nicht unterkriegen lassen. Dennoch fordern manche Politiker nun eine Verschärfung des Blasphemie-Paragraphen.

Ein Ziel haben die Attentäter mit ihrem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo erreicht: Die Diskussion über die Strafbarkeit der Gotteslästerung, der Blasphemie, ist zumindest in Europa in vollem Gange. Wie immer reicht das Spektrum von der Forderung nach Gesetzesverschärfung über die Meinung „die gesetzlichen Regelungen reichen aus“ bis zur Forderung nach der kompletten Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen. Die westlichen Gesellschaften werden sich – auch wenn es den „Islamischen Staat“ und andere möglicherweise freut – der Diskussion nicht entziehen können.

Kunstfreiheit als überragendes Verfassungsgut 

Art. 5 Abs. 1 GG schützt in Deutschland das Recht auf freie Meinungsäußerung, in Art. 5 Abs. 3 wird die Kunstfreiheit unter den besonderen Schutz des Staates gestellt.

Seit Gründung der Bundesrepublik war das Thema immer wieder Streitgegenstand der öffentlichen Diskussion. Mal ging es um das Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“, dessen Wiedergabe das BVerfG nicht als grundsätzlich unrechtmäßig eingestuft hatte (BVerfG, Urteil v. 10.10.1995, 1 BvR 1476/91), mal um die satirische Nennung eines Reserveoffiziers durch die Zeitschrift „Titanic“ mit dem Zusatz „geb. Mörder“, die das BVerfG ebenfalls durchgehen ließ (BVerfG, Beschluss v. 25.3.1992, 1 BvR 514/19). Die Bedeutung der nach Art. 5 Abs. 3 GG gewährleisteten Kunstfreiheit hat das BVerwG schon im Jahre 1954 betont, indem es klargestellt hat, dass die Kunstfreiheit nicht unter dem allgemeinen Vorbehalt der polizeilichen Generalklausel steht (BVerwG, Beschluss v. 21.12.1954, I C 14/53).

Blasphemie in Deutschland streng sanktioniert

Vor diesem Hintergrund der Betonung der Kunst- und Meinungsfreiheit durch die höchsten deutschen Gerichte halten es viele Juristen für einen Anachronismus, dass unter dem Eindruck des Attentats auf Charlie Hebdo einige Politiker - wie beispielsweise Wolfgang Bosbach, der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages - nunmehr eine Verschärfung des Blasphemie-Paragraphen (§ 166 StGB) fordern.

Die Vorschrift sieht für die  Verletzung und Beschimpfung religiöser Bekenntnisse die Verhängung einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor. Voraussetzung ist allerdings, dass durch die Beschimpfung der Religion der öffentliche Friede gefährdet wird.

Bunter Flickenteppich

Mit der Strafdrohung im StGB steht Deutschland im internationalen Bereich ziemlich weit vorne unter den härteren Strafdrohungen. Russland hat unter dem Eindruck der Aktionen von „Pussy Riot“ die Strafbarkeit für Blasphemie verschärft und zieht nach der Verschärfung mit einer Strafandrohung von bis zu drei Jahren Haft nun mit der Bundesrepublik gleich.

In Frankreich steht die Gotteslästerung – mit Ausnahmen in den Regionen Elsass und La Moselle – nicht unter Strafe, ebenso grundsätzlich nicht in Großbritannien. In Italien wird die Blasphemie als Ordnungswidrigkeit geahndet und kann mit einer Geldbuße belegt werden.

Grenzziehung ist schwierig

Bei allen Turbulenzen wird übersehen, dass die Abbildungen der Mohammed-Karikaturen in Charlie Hebdo keinen Fall des § 166 StGB dargestellt hätten. Satirische Darstellungen werden von der Rechtsordnung in besonderer Weise geschützt.

Satirische Betätigung bedeutet immer Provokation. Die Grenze zur Beleidigung oder Verunglimpfung ist oft nicht weit. Das OVG Berlin-Brandenburg, das sich mit Mohammed-Karikaturen zu befassen hatte, sah keinen Anlass für die Annahme, dass in solchen Abbildungen eine Straftat im Sinne des § 166 StGB zu sehen sei (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 17.8.2012, 1 S 117.12).

Undichte Stelle im Vatikan

Die Grenze der Satire wird aber dann überschritten, wenn die Religion oder Religionsgruppen aus unsinnigen Motiven heraus beschimpft oder beleidigt werden. Eine solche unnötige Herabsetzung sah das Amtsgericht Lüdinghausen in einer Aktion, bei der ein 61 Jahre alter Frührentner im Jahr 2006 Toilettenpapier mit der Aufschrift „Koran, heiliger Koran“ bedruckt und an Imame und islamische Gruppierungen versandt hatte. Das AG verurteilte den Frührentner zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung (AG Lüdinghausen, Urteil v. 23.2.2006, 7 LS 540 Js 1309/05 -31/05-).

Das Satiremagazin Titanic zeigte im Jahr 2012 anlässlich der Affäre um Geheimnisverrat im Vatikan auf dem Titelbild Papst Benedikt mit einer von Urin verschmierten Soutane und brachte daneben die Aufschrift an “Die undichte Stelle ist gefunden“. Auf Antrag des Papstes untersagte darauf das LG Hamburg im Wege der einstweiligen Verfügung die Veröffentlichung des Titelbildes (LG Hamburg, Beschluss v. 10.7.2012, 324 O 406/12). Im weiteren Verfahren nahm der Papst seinen Verfügungsantrag zurück.

Pragmatische Sicht ist gefragt

Die aus diesen Fällen zu ziehende Erkenntnis ist vielleicht die, dass die Justiz in der Praxis mit der Anwendung des derzeitigen Blasphemie-Paragraphen trotz seiner etwas schwammigen Formulierung ganz gut zurecht kommt. Vielleicht hat der Deutsche Juristentag im vergangenen Jahr eine pragmatisch ganz zutreffende Sicht der Dinge gefunden. Nach Auffassung der Juristen kommt dem Blasphemie-Paragraphen zwar keine besonders große praktische Bedeutung zu, was die Häufigkeit der Anwendung angeht (verschwindend geringe Zahl an Verurteilten), jedoch habe die Vorschrift eine symbolische, für die Gesellschaft wichtige werteprägende Funktion.

Auch religiöse Minderheiten hätten hierdurch ein grundsätzliches Gefühl staatlichen Schutzes. Der Juristentag wollte der von manchen geforderten Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen daher nicht näher treten.

Und den Gefallen, wegen des Pariser Attentats das deutsche Recht zu ändern, sollte man den Religionsterroristen und -fanatikern nun wirklich nicht tun.

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