Colours of law: Kirchenasyl – ein Recht neben dem Recht?

Angesichts dramatisch wachsender Flüchtlingszahlen bemühen sich die Behörden um effektive Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Die Kirche jedoch verwehrt den Behörden die Durchsetzung staatlichen Rechts. Zwischen 450 und 500 Flüchtlinge suchen zur Zeit Schutz im Kirchenasyl.

Die Asylanträge der meisten Kirchenasylanten wurden bereits rechtskräftig abgelehnt. Der „Heilige  Raum der Kirche“ wird so zum rechtsverweigernden Raum. Darf das sein? Behörden und Gerichte entscheiden aufgrund staatlicher Gesetze und die Kirche entzieht die Betroffenen den mit der Durchsetzung des Rechts beauftragten staatlichen Stellen. Wird hier ein eigenes Kirchenrecht gegen das staatliche Recht geschaffen und damit die Autorität nicht nur des Staates, sondern auch die Autorität der Rechtsprechungsorgane untergraben?

Der Stachel im Fleisch des Rechtsstaates

Der Innenminister Thomas de Maizière verurteilt das Handeln der Kirchen als „eindeutig rechtswidrig“. „Die Verfassung gilt gegenüber jedermann, auch gegenüber der Kirche“ ist sein Diktum. Wo kämen wir hin, wenn nichtstaatliche Institutionen sich anmaßten, nach ihrem Gutdünken aus möglicherweise gut gemeinten humanitären Erwägungen eigenes Recht zu setzen? Der Innenminister verstieg sich sogar zu einem Vergleich mit der Scharia, ein außerstattliches Rechtssystem, das man ebenfalls nicht dulden könne.

Kirchenasyl – ein Schutzraum mit langer Tradition 

Die Geschichte des Kirchenasyls reicht bis ins Altertum zurück. Bereits in vorchristlicher Zeit wurden Tempel als unantastbare Schutzräume angesehen. Verfolgte, die sich dorthin begaben, genossen zumindest vorübergehend den Schutz höherer Mächte.

Schon das Alte Testament berichtet, dass der Heerführer Joab vor König Salomon in den Tempel floh und dort erst einmal in Sicherheit war. Das eigentliche Kirchenasyl entstand während der Christianisierung des römischen Reiches.

Konzil  beschloss 343 n. Chr. Verfolgte vor staatlichem Unrecht zu schützen

Bereits im Konzil von Serdika gingen die dort versammelten Bischöfe im Jahre 343 n. Chr. eine Interzessionsverpflichtung ein, die beinhaltete, Verfolgte vor staatlichem Unrecht zu schützen. Staatliche Stellen akzeptierten bereits in dieser Zeit, dass Geflohene in kirchlichen Räumen vor dem staatlichen Zugriff zunächst sicher waren.

  • Im 5. Jahrhundert wurde das Kirchenasyl offiziell als Rechtsinstitut im damals im Zerfall begriffenen römischen Reich anerkannt.
  • Der Schutzraum für Flüchtige begann zeitweise bereits 50 m vor dem Kirchenportal. Im kirchlichen Codex Canonici wird das Kirchenasyl als Rechtsinstitut seit dem Jahre 1983 nicht mehr ausdrücklich erwähnt.
  • Exakt in diesem Jahr wurde vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen erstmalig in einer Kirchengemeinde in Berlin Asylsuchenden Schutz vor staatlichem Zugriff gewährt.

Kirche verteidigt das Kirchenasyl

Obwohl im Codex Canonici nicht mehr als Rechtsinstitut aufgeführt, verteidigt die Kirche bis heute offiziell das Recht auf Kirchenasyl. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki betont, in heutiger Zeit sei das Kirchenasyl eine Art Nothilfe gegen inhumane Abschiebungen.

Der Bischof betont, die Kirche stelle sich bei der Gewährung von Kirchenasyl nicht über das staatliche Recht. Die Kirche wolle in Einzelfällen lediglich auf besondere humanitäre Situationen aufmerksam machen, in denen der Staat und die Kirche kooperieren müssten, um im Sinne humanitärer Vernunft eine Lösung für Menschen in einer besonderen Bedrohungslage zu finden. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes Peter Nehrer betont, dass Staat und Kirche auch in solchen Sondersituationen respektvoll miteinander umgehen und sich nicht bekämpfen sollten.

Kirchenasyl als übergesetzliche Chance

Die Hoffnung auf Kooperation zwischen staatlichen und kirchlichen Stellen in besonderen Härtefällen äußert der Caritaschef in einer Zeit, in der Gesetzesmodifikationen es den Behörden ermöglichen sollen, nicht anerkannte Flüchtlinge schneller abzuschieben.

Am 12.5.2015 berichtete die WAZ, dass eine evangelische Gemeinde in Dortmund einer Flüchtlingsfamilie Asyl gewährt. Der Aufenthaltsort der Familie ist geheim, auch um Rechtsradikale nicht anzulocken. Den staatlichen Behörden wurde der Aufenthaltsort mitgeteilt, die Behörde sind offensichtlich bereit, zunächst keine Abschiebemaßnahmen zu ergreifen und mit der Kirche zu verhandeln.

Der Gemeindepfarrer geht davon aus, dass die Familie in ihrer Heimat gefährdet ist. Er möchte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Neubewertung des Falls erreichen und sieht das Kirchenasyl als Schaffung eines zusätzlichen Zeitfensters, um den Beteiligten eine Neubeurteilung des Sachverhalts zu ermöglichen.

Kirchenasyl bleibt die seltene Ausnahme

Die Bundesregierung rechnet in diesem Jahr mit ca. 450.000 Asylanträgen, hiervon wird ein Großteil abgelehnt werden. So gesehen ist der Anteil der im Kirchenasyl befindlichen Personen mit zur Zeit 450 - 500 äußerst gering. Vielleicht gerade durch die zahlenmäßige Beschränkung ist das Kirchenasyl in besonderen Einzelfällen ein geeignetes Instrument, ein Bewusstsein der Gesellschaft für die oft ausweglose Situation von Flüchtlingen zu schaffen, deren Leben und Zukunft in ihrem Heimatland - sei es aus politischen, religiösen oder auch nur aus wirtschaftlichen Gründen - gefährdet ist und deren Verzweiflung sie unter Risiken für Leib und Leben aus ihrem Heimatland fliehen lässt.

Kirchenasyl, eine humanitäre Farbe des Rechts

Dass den Kirchen in solchen Fällen häufig eine Ausweitung der Grenzen der humanitären Spielräume der Behörden gelingt, zeigt sich daran, dass für ca. 90% der Flüchtlinge, die bisher Kirchenasyl in Anspruch genommen haben, eine humanitäre Lösung gefunden und die Abschiebung vermieden wurde. Aus der Sicht von Rechtsdogmatikern entstammt die Argumentation der Befürworter dem sakralen Gruselkabinett der Kirchen, liberalere Geister sehen darin die Perpetuierung einer humanitären Tradition des Abendlandes.

Die humanitäre Einfärbung des Rechts von außen durch ein geschichtlich gewachsenes Rechtsinstitut, sollte in diesen Einzelfällen für den Staat keine Schande, für den Rechtsstaat keine grundsätzliche Gefahr und damit verkraftbar sein.



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