Colours of law: Justizpannen mit Folgen

Pannen gibt es überall, auch bei den Justizbehörden, den Strafverfolgungsorganen und den Gerichten. Die Folgen können schwerwiegend sein: Vom wirtschaftlichen Ruin einer Familie bis zum gefährlichen Straftäter auf freiem Fuß ist fast alles möglich.

Oft sind es nur kleine Fehler, die menschlich sind und überall passieren können. Dennoch ist es nur schwer hinnehmbar, wenn infolge einer fehlerhaft durchgeführten Zwangsversteigerung eine junge Familie an den Rand des Ruins getrieben wird oder infolge eines simplen Schreibfehlers ein mutmaßlicher Mörder frei herumläuft.

Strafverfahren gegen NPD-Vorsitzenden wegen Formfehlers eingestellt

Ein großes Ärgernis war in den vergangenen Jahren ein Strafprozess gegen den NPD-Bundesvorsitzenden Udo Pastörs. Nachdem Pastörs bereits 2012 wegen Leugnung des Holocaust zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden war, stand er im August 2014 erneut vor Gericht wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Das Gericht musste das Verfahren einstellen, weil die Justizverfolgungsbehörden übersehen hatten, dass Pastörs als Abgeordneter im Landtag saß. Ein Antrag auf Aufhebung der Immunität war in Ermangelung dieser Kenntnis nicht gestellt worden, ein absolutes Strafverfolgungshindernis (AG Hanau, Beschluss v. 5.8.2014, 115 Js 7951/13). Der Sprecher des AG, Thomas Werner, erklärte dazu, dass sei eine echte Justizpanne gewesen.

Familie in Brandenburg durch Behördenfehler in den Ruin getrieben

Im Lande Brandenburg ist eine junge Familie infolge eines Behördenfehlers nahezu ruiniert worden. Eine Stadtgemeinde in Bayern konnte einen Schuldner nicht ausfindig machen und betrieb zum Zwecke der Vollstreckung die Zwangsversteigerung eines dem Schuldner gehörenden unbebauten Grundstücks in Rengsdorf im Land Brandenburg.

Eine junge Familie erhielt für etwas über 50.000 Euro den Zuschlag. Die Familie bebaute das Grundstück mit einem Haus und wendete hierfür Kosten in Höhe von ca. 350.000 Euro auf. Nachdem die Familie fast zwei Jahren in dem Haus wohnte, tauchte der Grundstückseigentümer, der sich zeitweise in Amerika aufgehalten hatte, unversehens wieder auf und verlangte Rückübertragung des Grundstücks. Seine Beschwerde gegen den Zuschlagbeschluss blieb beim zuständigen AG zunächst erfolglos, das LG Potsdam jedoch hob den Zuschlagsbeschluss im März 2014 als unrechtmäßig auf: Die Behörden hätten vor Einleitung der Zwangsversteigerung nicht genug getan, um den Aufenthalt des Eigentümers ausfindig zu machen. Deshalb sei der Zuschlag nicht wirksam erteilt worden.

Familie vom Schuldner mit Serie von Prozessen überzogen

Mit der Entscheidung des LG begann für die Familie eine Zeit des Grauens.  Der Voreigentümer überzog die Familie mit diversen Klagen, u.a. klagte er

  • auf Bewilligung der Grundbuchberichtigung,
  • auf Herausgabe des Grundstücks,
  • auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung von knapp 30.000 Euro,
  • auf Herbeiführung der Löschung der zu Gunsten der kreditgebenden Bank eingetragenen Grundschuld,
  • auf Auskunft über sämtliche gezogenen Nutzungen.

Zwischen der Familie und dem ursprünglichen Eigentümer schlossen sich langwierige  Vergleichsverhandlungen an, die die Versteigerung betreibende Gemeinde fühlt sich für den der Familie entstandenen Schaden nicht verantwortlich, das LG habe den Zuschlagbeschluss zu Unrecht für rechtswidrig erklärt. Die Aussichten einer Amtshaftungsklage werden als eher zweifelhaft eingeschätzt. Die Familie kämpft weiter.

Zählfehler des Gerichts in einem Mordprozess

Von weitreichender Bedeutung war ein Zählfehler des LG Köln. Dieses hatte einen Mörder, der zwei Frauen mit einem Beil erschlagen hatte, wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht betonte in dem Urteil die außergewöhnliche Brutalität des Täters und stellte die besondere Schwere der Schuld fest, so dass eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren nicht in Betracht gekommen wäre.

Der Angeklagte legte Revision ein. Der BGH hob das Urteil wegen eines schweren Verfahrensfehlers auf. Das Gericht hatte die Absetzungsfrist des § 275 StPO nicht beachtet:

  • Hiernach ist ein Urteil, das nicht bereits vollständig mit den Gründen in das Protokoll aufgenommen wurde, unverzüglich zu den Akten zu bringen.
  • Dies muss gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen,
  • wobei bei längerer Dauer der Hauptverhandlung die Frist sich sukzessive verlängert.
  • Das erstinstanzliche Gericht hatte die Tage falsch gezählt und das Urteil erst zu spät zur Akte gebracht.

Damit war das gesamte Verfahren nach Auffassung des BGH hinfällig und muss nun neu aufgerollt werden.

Kleiner Schreibfehler: Täter konnte nicht gefasst werden

Im Januar 2014 kam es in Berlin-Reinickendorf zu einem Überfall auf ein Wettbüro. Mehrere Rocker stürmten das Ladenlokal, dabei wurde ein anwesender Kunde erschossen. Ein Mitglied der Rockerbande Hells Angels, Ibrahim Halil Karadag, war der hauptverdächtig als  Mörder. Er floh in die Türkei. Ein Auslieferungsersuchen der Berliner Strafverfolgungsbehörden scheiterte daran, dass der Name des Rockers in dem Auslieferungsantrag falsch geschrieben war und die türkischen Behörden den Gesuchten deshalb nicht ausfindig gemacht haben, weil sie nach dem falschen Mann gefahndet haben.

Fazit: Fehler der Justiz können erhebliche Folgen für die Betroffenen haben. Diese Binsenweisheit ist nicht wirklich neu. Schwer zu verstehen ist allerdings, dass bisher an keiner Stelle der Versuch unternommen wurde, wirksame Kontrollmechanismen einzuführen, die - ähnlich den Compliance-Regelwerken in Unternehmen - dazu beitragen könnten, vermeidbare Fehler auf ein Minimum zu reduzieren oder zumindest die Folgen für die Betroffenen einzudämmen.

Der Brandenburger Familie wäre schon geholfen, wenn für solche Justizpannen eine angemessene, insbesondere verschuldensunabhängige, Entschädigungsregelung greifen würde. Der Gesetzgeber wäre an dieser Stelle also gefordert.

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