Colours of law: Humanitäre Flüchtlingshilfe als Straftat

Willkommenskultur ist umstritten, doch diese Vorstellung, dass Hilfe gegenüber Flüchtlingen strafrechtlich geahndet wird, löst auf den ersten Blick Befremden aus: In unserem Nachbarland Frankreich wurde ein Landwirt von einem Strafgericht verurteilt, weil er hilfsbedürftigen Flüchtlingen in einer Notlage geholfen hat.

In den französischen Medien hat der Fall eine heftige Kontroverse ausgelöst. Ein französischer Olivenbauer hatte in einem Gebirgstal nahe der französisch-italienischen Grenze aus Eritrea stammende Flüchtlinge entdeckt, die bei Kälte und starkem Regen offensichtlich orientierungslos umher irrten. Der Landwirt hatte die Flüchtlinge darauf auf seinem einem Anhänger seines Traktors bis zu einer Notunterkunft transportiert. 

Straftatbestand der Solidarität

Wegen dieses Verhaltens stand der Landwirt nun in Nizza vor Gericht. Die StA warf ihm einen Verstoß gegen das Delikt der „Solidarität“ vor. Der Straftatbestand existiert in Frankreich seit dem Jahre 1945. Hiernach macht sich strafbar,

  • wer ausländischen Personen
  • bei „der Einreise,
  • der Beförderung und/oder
  • beim illegalen Aufenthalt in Frankreich indirekt oder direkt Hilfe leistet“.

Ein Verstoß wird mit einer Geldstrafe bis zu 30.000 Euro oder mit bis zu 5 Jahren Haft geahndet.

Vorwurf der Kriminalisierung humanitärer Hilfsleistungen

Das Gesetz war in Frankreich bereits häufig Gegenstand öffentlicher Diskussionen, wurde aber nie abgeschafft. Unter der Regierung von Nicolas Sarkozy wurden verschiedene Versuche der Polizei bekannt, Hilfsleistungen für Migranten zu kriminalisieren.

  • So wurden in Paris Razzien bei Personen durchgeführt, die im Winter bei Minusgraden obdachlose Flüchtlinge bei sich übernachten ließen.
  • Streetworker, die Migranten ihr Handy aufluden, wurden tagelang in Polizeiwachen wegen verbotener Flüchtlingshilfe festgehalten.
  • Im Jahr 2012 führte die Linksregierung unter François Hollande einen Zusatz in das Ausländergesetz ein, nach dem nicht bestraft wird, wer Flüchtlingen ohne Gegenleistung ausschließlich mit dem Ziel hilft, „ihre Würde und physische Unversehrtheit zu bewahren“.

Die grundsätzliche Strafbarkeit der Flüchtlingshilfe war damit nicht vom Tisch.

StA wollte Exempel statuieren

Im Fall des französischen Olivenbauers hatte es sich der StA zum Ziel gesetzt, eine Haftstrafe von 8 Monaten zu erreichen. Er sprach dem Landwirt jegliche humanitären Motive ab. Der Landwirt war bei den Behörden nämlich kein Unbekannter. In der Mittelmeerregion unmittelbar an der italienischen Grenze irren täglich diverse Flüchtlinge durch die verschiedenen Täler. Einige Landwirte - darunter auch der Olivenbauer - haben sich zu einer Hilfsgemeinschaft zusammengeschlossen und Notunterkünfte für Flüchtlinge hergestellt. Den Behörden sind diese Handlungen seit langem ein Dorn im Auge.

  • Der StA warf dem Olivenbauer daher auch systematische Flüchtlingshilfe vor.
  • Der Straftatbestand der Solidarität diene dem Schutz der Solidarität innerhalb der französischen Bevölkerung und schütze das Land vor dem Zustrom illegaler Migranten.
  • Wer illegalen Migranten helfe, verletze das Gebot der Solidarität mit seinen französischen Mitbürgern.

Dies sei kein Kavaliersdelikt, sondern stelle in Zeiten massiver Migrationsprobleme eine grundsätzliche Gefährdung der staatlichen Autorität dar.

Landwirt pocht auf Recht zur Humanität

Gegen diese Vorwürfe der StA wehrte sich der Olivenbauer vehement. Vor Gericht betonte er, ein einfacher Landwirt zu sein. Er habe die frierenden Flüchtlinge nicht ihrem Schicksal überlassen können. Hätte er gegenüber den Flüchtlingen die Hilfeleistung unterlassen, hätte er seiner Familie nicht mehr in die Augen schauen können. Mit der Justiz sei er noch nie in Konflikt geraten. Er stelle Olivenöl her und verkaufe die Eier seiner Hühner. Das sei seine Profession und sonst nichts.

Gericht laviert zwischen Milde und Gesetzesvollzug

Für das Gericht war das Verfahren ein schwieriger Balanceakt in einer Region, in der der „Front National“ besonders stark und fremdenfeindliche Attitüden weit verbreitet sind. Vor diesem Hintergrund unternahm das Gericht nach den Worten des Vorsitzenden den Versuch, ein mildes Urteil zu erlassen und verurteilte den Landwirt zu einer

  • Geldstrafe in Höhe von 3.000 Euro,
  • deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. D.h., der Landwirt muss die Strafe erst zahlen, wenn er nochmals straffällig wird.

Ein solcher Wiederholungsfall ist aber nicht ganz unwahrscheinlich. Vor Gericht äußerte der Verurteilte, wenn er Menschen in Not Hilfe leiste, sei dies eine Ehre für ihn und er werde sich auch weder durch die Justiz noch durch sonst irgendjemanden davon abbringen lassen, hilfsbedürftigen Menschen zu helfen. Seine humanitäre Gesinnung lasse er sich nicht verbieten.

Gesetze sollten keine Gewissenskonflikte schüren

Der französische Fall zeigt einmal mehr, wie tief die Spaltung der Bevölkerung - wahrscheinlich in jedem einzelnen europäischen Land - in der Beurteilung der Flüchtlingsfrage geht.

Der französische Straftatbestand der Solidarität ist darüber hinaus ein Beleg dafür, wie schmal der Grat zwischen Regeltreue gegenüber dem Gesetz und Regeltreue gegenüber den eigenen Moralvorstellungen und dem eigenen humanitären Gewissen sein kann.

Wenn die Formulierung eines Gesetzes allerdings Situationen geradezu provoziert, in denen der Bürger sich zwischen Gesetzestreue und der Befolgung seiner humanitären Grundüberzeugung entscheiden muss, spricht einiges dafür, das Gesetz einer parlamentarischen Überprüfung zu unterziehen. Aber vielleicht werden solche Konflikte in ganz Europa künftig nicht seltener, sondern häufiger. Dies wäre eine neue Farbe des Rechts, die keiner wünschen kann.


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In Deutschland ist die Flüchtlingsthematik auch umstritten. Doch hier hätte sich der Bauer eher strafbar gemacht, wenn er die frierenden Flüchtlinge im Regen stehen gelassen hätte:


Bestraft wird gem. § 323 c StGB

  • wer bei einem Unglücksfall oder einer gemeinen Gefahr oder Not

  • nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich

  • und ihm nach den Umständen ohne erhebliche eigene Gefahr zumutbar ist,

  • ohne anderer wichtige Pflichten zu verletzen.