Colours of law: Eltern sollen ihre Kinder verpfeifen

Wenn Kinder etwas ausgefressen haben, steht den Eltern grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Anders verhält es sich im Abmahnwesen. Lädt ein Kind unberechtigt einen Musiktitel im Internet, haften die Eltern, wenn sie das Kind nicht namentlich benennen.

So sieht es jedenfalls das OLG München in einem bemerkenswerten Urteil. Klägerin des Verfahrens war die deutsche Herstellerin von Tonträgern „Universal Music“, die die alleinigen Verwertungsrechte an dem Musikalbum „Loud“ der Pop-Sängerin Rihanna besitzt.

Rihanna-Song kopiert

Das in Deutschland am 12.11.2010 veröffentlichte Album der Sängerin war über einen Zeitraum von acht Wochen unter den Top 10 gelistet. Eine Singleauskopplung war für den Grammy-Award nominiert. Im Januar 2011 wurde das komplette Album mit elf Musik Aufnahmen über einen Internet-Anschluss im Filesharingverfahren heruntergeladen und anderen Usern zur Verfügung gestellt. Die ermittelte IP-Adresse konnte den beklagten Eheleuten zugeordnet werden.

Eingeschränkte Unterlassungserklärung


Auf eine anwaltliche Abmahnung seitens der Klägerin übersandten die Beklagten eine Unterlassungserklärung, in denen sie “ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, gleichwohl rechtsverbindlich“ sich gegenüber der Klägerin verpflichteten, es bei Vermeidung einer Vertragsstrafe zu unterlassen, geschütztes Musikrepertoire der Klägerin im Internet Dritten verfügbar zu machen oder sonstwie auszuwerten. Die Klägerin nahm die Beklagten auf Wertersatz in Höhe von 2.500 Euro sowie auf Kostenersatz hinsichtlich der angefallenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

Die Kinder waren schuld

Zu ihrer Verteidigung wiesen die Beklagten darauf hin, sie hätten zum behaupteten Zeitpunkt der Rechtsverletzung mit ihren drei zu diesem Zeitpunkt bereits volljährigen Kindern in einem Mehrfamilienhaus gewohnt. Der gemeinsame Laptop habe im Wohnzimmer gestanden.

Sämtliche Familienmitglieder hätten Zugriff auf das Internet gehabt, auch den Kindern sei das Passwort bekannt gewesen. In einem schon lange vor dem angeblichen Vorfall geführten Gespräch seien die Kinder ausführlich darüber unterrichtet worden, dass Tauschbörsen nicht genutzt werden dürften. Eine Filesharing-Software habe sich auf dem Rechner nicht befunden

Tatsächliche Vermutung für die Verantwortlichkeit Anschlussinhabers

LG und OLG sahen den geltend gemachten Schadensersatzanspruch der Klägerin als begründet an und stützten diesen auf § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG. Nach der Feststellung des LG wurde das Musikalbum am 2.1.2011 über den Internetanschluss der Beklagten mittels einer Filesharing-Software zum Herunterladen angeboten und damit öffentlich zugänglich gemacht.

Nach den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast sei es grundsätzlich Sache der Klägerin, die Voraussetzungen der geltendgemachten Ansprüche und damit auch die Verantwortlichkeit der Beklagten für die Rechtsverletzung darzulegen und zu beweisen.

Allerdings spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diejenige Person für einen durch einen Filesharing-Load verursachte Rechtsverletzung verantwortlich ist, der die IP-Adresse zugeordnet werden kann, von der aus das Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde (BGH, Urteil v. 12.5.2010, I ZR 121/08 - Sommer des Lebens).

Sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers

Hieraus folgt nach Auffassung der Gerichte eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, wenn dieser geltend macht, nicht er, sondern eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen. Die tatsächliche Vermutung für die Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers sei dann entkräftet, wenn plausibel ist, dass zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung andere Personen den Anschluss benutzen konnten (BGH, Urteil v. 8.1.2014, I ZR 169/12 -  BearShare).

Die Klägerin bestreitet die Existenz der Kinder

Nach Auffassung beider Instanzen hatten die beklagten Eheleute ihr sekundären Darlegungslast nicht genügt. Es sei Sache der Anschlussinhaber, Tatsachen vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehenslaufs, nämlich der Alleintäterschaft eines anderen Nutzers des Internetanschlusses ergibt. Die Klägerin hatte hinsichtlich der Behauptung der Beklagten, die Kinder kämen als Rechtsverletzer in Betracht, bereits die Tatsache mit Nichtwissen bestritten, dass die Beklagten überhaupt Kinder hätten. Vor diesem Hintergrund hätten die beklagten Eheleute nach Auffassung des Gerichts das Kind namentlich benennen müssen, dem die Rechtsverletzung anzulasten war, zumal die Eltern dies nach späteren, eigenen Angaben in wussten.

Entweder Denunziation der eigenen Kinder oder volle Haftung

Da die beklagten Eltern insoweit von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatten, waren sie nach Auffassung des OLG ihrer sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen. Den geltendgemachten Mindestschaden in Höhe von 2.500 Euro hielt der Senat für angemessen und sprach der Klägerin - ebenso wie zuvor das LG - auch den Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren gemäß § 97 a Abs. 1 Satz 2 UrhG in der zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung geltenden Fassung zu.

(OLG München, Urteil v. 14.1.2016, 29 U 2593/15)

Partielle Aushöhlung des Zeugnisverweigerungsrechts

Das OLG hat den beklagten Eltern in seiner Entscheidung zwar nicht das Recht abgesprochen, in Bezug auf ihre Kinder das Zeugnis zu verweigern. Jedoch hat der Senat die Eltern für diesen Fall voll in die Haftung genommen, weil sie ihrer sekundären Beweislast nicht genügt hätten.

Damit tritt eine zumindest fragwürdige Rechtsfolge ein: Den Eltern bleibt in einem solchen Fall nur die Wahl, ihre Kinder entweder zu denunzieren oder selbst für den gesamten, von ihnen selbst nicht verursachten Schaden zu haften. Das ist nichts anderes als die Wahl zwischen Pest und Cholera und bedeutet zumindest partiell eine Aushöhlung des Zeugnisverweigerungsrechts. Allerdings bestand in dem entschiedenen Fall die Besonderheit, dass die Eltern wussten, welchem ihre Kinder die Rechtsverletzung anzulasten war. Hätten sie dies offen gelassen, hätte die Entscheidung möglicherweise anders ausfallen müssen.

Der BGH könnte das letzte Wort haben

Fraglich ist auch, ob die Entscheidung des OLG mit der Rechtsprechung des BGH kompatibel ist. Dieser vertritt nämlich die Auffassung, dass den Anschlussinhaber grundsätzlich „keine Verpflichtung trifft, dem Anspruchsteller alle für einen Prozesserfolg notwendigen Informationen zu liefern“ (BGH, Urteil v. 11.6.2015, 75/14). Auch der OLG- Senat war sich seiner Sache anscheinend nicht völlig sicher und hat ausdrücklich die Revision gegen das ergangene Urteil zugelassen. Der BGH könnte somit noch das letzte Wort haben.

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