Colours of law: Die „Reichsbürger“ malträtieren den Rechtsstaat

Die „Reichsbürger“ betrachten deutsche Gerichte als illegitim. Gleichzeitig überhäufen sie sie zunehmend mit mehr oder weniger sinnlosen Klageverfahren. Der Sänger Xavier Naidoo hat den Reichsbürgern ein öffentliches Gesicht verliehen und die Gruppe wächst unaufhörlich. Inzwischen stammen 5 % der in Brandenburg eingehenden FG-Klagen von Reichsbürgern.

Reichsbürger nehmen sich selbst enorm ernst. Sie bestreiten die völkerrechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland. Sie sehen das Deutsche Reich noch heute in den Grenzen des Jahres 1937. Sie erkennen entweder nur die „Exilregierung Deutsches Reich“ oder andere abstruse, von ihnen selbst  geschaffene Scheininstitutionen an. Viele Reichsbürger sind gut vernetzt mit Mitgliedern der rechten Szene in Deutschland. Neonazis nehmen nicht selten an Veranstaltungen der Reichsbürger teil.

Xavier Naidoo trat bei den Reichsbürgern auf

Im Oktober 2014 haben die Reichsbürger in Berlin eine Veranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit organisiert, auf der der bekannte Popsänger Xavier Naidoo auftrat und in einer Ansprache von der völligen „Beherrschung der BRD durch die USA“ sprach. Die Bundesrepublik sei nicht frei. Es existierten geheime Überwachungsvereinbarungen mit den USA, wonach die Bundesrepublik völlig in der Hand der US-Amerikaner sei. Deutschland sei kein souveränes Land. In einem Stern-Interview im März 2015 bekräftigte Naidoo diese Thesen.

Reichsbürger gängeln die Justiz im großen Stil

In der Rechtspraxis der Bundesrepublik spielen die Reichsbürger eine stetig wachsende Rolle. Da sie den deutschen Staat nicht anerkennen, erkennen sie auch keine Behörden an. Sie sehen sich daher nicht als verpflichtet, Steuern zu zahlen. Behördliche Bescheide – z.B.  Bußgeldbescheide - beachten sie nicht oder legen gegen alles und jedes Einspruch ein und inszenieren im großen Stil gerichtliche Verfahren.

Steuerbescheide nur mit Siegel des Deutschen Reiches

Ein Reichsbürger reichte eine Klage beim Finanzgericht Kassel ein mit dem Antrag, sämtliche gegen ihn in den vergangenen Jahren ergangen Steuerbescheide aufzuheben und die gegen ihn ausgebrachten Pfändungen auszusetzen. Zur Begründung führte er aus, die Steuergesetze der Bundesrepublik seien ungültig, da sie nicht auf das Deutsche Reich zurückgehen. Die Unwirksamkeit der hiernach ergangen Steuerbescheide erkenne man auch daran, dass sie nicht das Siegel des Deutschen Reiches trügen. Das Gericht wies die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig ab (FG Kassel, Urteil v. 9.10.2013, 4 K 1406/13).

Deutsches Reich spätestens nach 1990 nicht mehr existent

Ein anderer Reichsbürger begehrte in einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz die Gewährung von Unterhaltsleistungen nach der Haager Landkriegsordnung (HLKO). Der Antragsteller drohte damit, Strafanzeige beim Hauptmilitärstaatsanwalt in Moskau bzw. dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen, wenn seine Rechte von dem deutschen Gericht ignoriert würden.

In einer ausführlichen Antragsschrift begründete der Antragsteller sein Begehren damit, er habe Anspruch auf Sozialgeld in Höhe von 1.824 Euro, da er als Kriegsgefangener Anspruch auf Zahlung des geringsten Soldes eines Beschäftigten der Truppen laut Bundesbesoldungsordnung A vom 1.1.2013 habe. Das SG Oldenburg und das LSG Niedersachsen-Bremen lehnten den Antrag mit einer ausführlichen Begründung ab. Der Antragsteller habe seinen Anspruch auf Gewährung vorläufiger Unterhaltsleistungen nach Art. 7 HLKO nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere könne der Antragsteller nicht begründen, warum er sich als Kriegsgefangener der Bundesrepublik Deutschland sehe. Spätestens mit dem Einigungsvertrag vom 31.8.1999, der zum 29.9.1990 wirksam geworden sei, sei ein irgendwie geartetes Deutsches Reich nicht mehr existent (LSG Niedersachsen- Bremen, Beschluss v. 12.5.2014, L 8 SO 31/14 B ER).

Anteil der von Reichsbürgern eingeleiteten FG-Klageverfahren: 5 %

Die von Reichsbürgern eingeleiteten Verfahren könnte man als lächerliche Gerichtspossen abtun, kämen sie alle Schaltjahre mal vor. Leider ist das nicht so. Die Reichsbürger haben durch aggressive Prozessführung inzwischen die Absicht bekundet, die deutsche Justiz zu blockieren oder gar in Teilen lahm zulegen.

  • Der Vizepräsident des FG Berlin-Brandenburg in Cottbus, Thomas Stapperfend, berichtete im Berliner Tagesspiegel vom 5.10.2015 über die enorm steigende Fallzahl sinnloser Klagen von Reichsbürgern.
  • Die Klageschriften hätten selten einen Umfang von unter 20 Seiten. Die Kläger würden von den Richtern Legitimationsurkunden einfordern und dann über Seiten die Legitimation der Gerichte bestreiten.
  • Die Klagen könnten aber nicht einfach pauschal als sinnlos zurückgewiesen werden, da dies Befangenheitsanträge gegen die Gerichte begründen würde und eine solche Verfahrensweise den grundgesetzlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen würde.

Daher müsse jede Klage ernst genommen werden.  Inzwischen stammten bei den Finanzgerichten in Brandenburg 5 % der eingehenden Klagen von Reichsbürgern.

Die Motivlage der Reichsbürger ist sehr unterschiedlich

Der Umgang mit den Reichsbürgern ist in der Praxis auch deshalb schwer, weil nicht alle Reichsbürger mit der gleichen Schablone belegt werden können. Ihre Motivationslagen sind unterschiedlich. Es handele sich meist um eine wilde Mischung aus

  • Verschwörungstheoretikern,
  • Esoterikern,
  • rechtsnational gesinnten Personen
  • und auch gescheiterten Existenzen. 

In der Öffentlichkeit lässt der Erfolg der Reichsbürger noch auf sich warten

Inzwischen verfügen viele Reichsbürger über gefälschte Pässe, gefälschte Kennzeichen und Führerscheine. Die Behörden in Brandenburg haben große Probleme, der wachsenden Zahl von Reichsbürgern beizukommen. Wenn bekannte Persönlichkeiten wie Xavier Naidoo in der Öffentlichkeit bundesweit für diese Gruppierung Werbung machen, ist eine Ausdehnung der sektenähnlichen Gruppierung weit über das Land Brandenburg hinaus zu befürchten.

Im Frühjahr diesen Jahres war die Gruppe bei ihrem geplanten Sturm gegen das „Merkel-Regime“ jedoch nur wenig erfolgreich. Von den erwarteten 50.000 Teilnehmern erschienen nur 350. Xavier Naidoo war nicht dabei. Dafür musste der Sänger die Erfahrung machen, dass eine gedankliche und verbale Nähe zu den Reichsbürgern nicht unbedingt nützlich für den eigenen Erfolg ist. Die bereits verabredete Teilnahme des Sängers am Eurovision Song Contest wurde wegen der Nähe des Pop-Stars zu dieser Gruppe wieder gecancelt. Farblich betrachtet ist das ein wenig passender, ziemlich dunkler Farbtupfer für den Sänger - aber auch für die Funktionsfähigkeit der deutschen Justiz.

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