Colours of law: Am Anfang steht das Urteil

Wenn Gerichtsurteile gefertigt würden, bevor die erste mündliche Verhandlung und Anhörung der Parteien stattgefunden hat, würden die Bürger das Vertrauen in die Justiz wohl schnell verlieren. Was geradezu unglaublich klingt, kann jedoch harte Realität sein - auch im aktuellen Deutschland.

Die „Süddeutsche“ berichtete am 13.4.2015 auf ihrem Onlineportal von einem erstaunlichen Vorgang am Finanzgericht Köln. In einem von einer Grundstücksgesellschaft betriebenen Klageverfahren gegen das Finanzamt geht es um die Rechtmäßigkeit einer Steuerfestsetzung betreffend die Grunderwerbsteuer für ein Areal am Kölner Rheinufer.

Es ging um die Rechtmäßigkeit einer Steuerfestsetzung

Nachdem bereits ausführlich Schriftsätze gewechselt wurden und das FG die Akte des Finanzamtes beigezogen hatte, beantragten die Anwälte der Klägerin Einsichtnahme in die Gerichtsakte, die ihnen auch gewährt wurde. Eine mündliche Erörterung hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattgefunden.

Nanu! Alles schon vorbei?

Zu ihrem großen Erstaunen fanden die Rechtsanwälte in der Gerichtsakte ein fast vollständig abgefasstes Urteil, mit dem ihre Klage mit 13-seitiger Begründung zurückgewiesen wurde. Auch die Rechtsmittelbelehrung war bereits angehängt.

Rechtsstaatlich eine Farce

Dies jedenfalls war die Auffassung der Klägeranwälte. Sie hielten die Richterbank für befangen und reichten einen entsprechenden Antrag ein. Hierbei stützen sie sich auf  § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, §§ 42, 44-46 ZPO. Hiernach ist ein Gericht befangen, wenn das Verhalten des Gerichts einem der Prozessbeteiligten Anlass gibt, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Gerichts zu hegen. Die Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung die Befürchtung haben muss, das Gericht werde nicht unbefangen über sein Anliegen entscheiden (BFH, Beschluss v. 16.12.1996, I B 100/94). Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Gericht tatsächlich befangen ist, es reicht der böse Schein (FG München, Beschluss v. 30.5.2011, 4 K 3685/10).

Befangenheitsanträge – selten von Erfolg gekrönt

In der Praxis führen Befangenheitsanträge eher selten zum Erfolg. Insbesondere sind Äußerungen der Richter über den nach ihrer Auffassung wahrscheinlichen Ausgang des Verfahrens regelmäßig kein Grund, eine Befangenheit des Richters anzunehmen.

Die Rechtsprechung argumentiert, für Beteiligte sei es eher von Vorteil, wenn ein Richter seine Überlegungen nicht wie im Rätsel die Sphinx bis zur Entscheidung verschweigt und die Beteiligten dann mit seiner Rechtsauffassung überrascht.

Dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG entspreche es viel eher, wenn Richter zu geeigneten Momenten unmissverständlich ihre Meinung äußerten, die Parteien sich darauf einstellen, gegebenenfalls rechtlich dagegen argumentieren und die Auseinandersetzung hierüber suchen könnten (FG Hamburg, Beschluss v. 11.3.2011, 3 V 15/11).

Beispiele für Befangenheit 

Übt ein Richter auf die eine Partei Druck aus, einen Vergleich abzuschließen und erläutert hierzu: „Wenn ich entscheiden muss, bleiben sie auf allem sitzen“, so ist dies ein Umstand, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (BGH, Urteil v. 21.2.2006, IX ZB 60/06). Ebenso verhält es sich bei der Äußerung eines Richters gegenüber einer Partei: „Ihr Vortrag ist Unsinn“ (LSG NRW, Beschluss v. 16.6.2003, 11 AR 49/03). Auch die willkürliche Auslegung einer Rechtsnorm, die mit dem Gesetz auch bei Anlegung nicht allzu hoher juristischer Maßstäbe unvereinbar erscheint, kann die Besorgnis der Befangenheit begründen (BVerfG Beschluss v. 25 7.2012, 2 BvR 615/11).

Rheinländer schreiben „Urteil“, meinen es aber nicht so

In unserem Ausgangsfall sah der mit drei Richtern besetzte Senat des FG das Ganze mit rheinischer Gelassenheit und konnte keinen Grund für eine Befangenheit erkennen. Das „Urteil“ habe sich schließlich in der internen Gerichtsakte befunden. Tatsächlich handele es sich hierbei nicht um ein Urteil, sondern lediglich um das Votum einer Richterin. Solche Voten unter Zusammenfassung des bisherigen Sach- und Streitstandes seien bei Gericht üblich und auch erforderlich, um bei komplexen Vorgängen den Überblick über die Akte zu behalten.

Diese Vorgehensweise sei geradezu ein Gebot ökonomischer und rationaler Arbeitsweise. Dabei müsse ein Gericht innerhalb der Akte auch nicht ausdrücklich auf die Vorläufigkeit eines Votums hinweisen. Für den sachkundigen, juristisch vorgebildeten Leser einer Gerichtsakte sei es bei näherem Nachdenken plausibel, dass ein Gericht zum Zwecke der Arbeitsersparnis eine Urteilsmaske nutze, um ein Votum abzugeben. Der sachkundige Rechtsanwalt als Leser der Akte habe keinerlei Anlass, hieraus den Schluss zu ziehen, das Gericht stünde neuen Rechts- und Sachargumenten nicht mehr offen gegenüber.

Eine juristische Grauzone

Mit diesen Erläuterungen werden sich die Anwälte sich wohl nicht zufrieden geben. Sie haben gemäß § 46 Abs.2 ZPO die Möglichkeit, sofortige Beschwerde einzulegen. Für den unbefangenen Betrachter, auf den die Rechtsprechung für die Beurteilung der Befangenheit größten Wert legt, dürfte die ablehnende Entscheidung des FG Köln und deren Begründung nur schwer nachvollziehbar sein. Farblich würde der viel zitierte „Unbefangene“ den Vorgang  wohl als juristische Grauzone einordnen.

Vgl. zum Thema Befangenheit auch:

Brüllender Richter

Derber Richter

Richter macht Druck

Ängstlicher Schöffe

Schlagworte zum Thema:  Befangenheit, Rechtsanwalt, Justiz, Juristen, Richter