BVerwG: Aufnahme aus Flüchtlingslager Moria rechtmäßig abgelehnt

Das Bundesinnenministerium hat die vom Land Berlin im Juni 2020 beantragte humanitäre Aufnahme von 300 besonders schutzbedürftigen Personen aus dem ehemaligen griechischen Flüchtlingslager Moria rechtmäßig abgelehnt.

Angesichts im Jahr 2020 bekannt gewordener katastrophaler humanitärer Zustände in dem Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hatte das Land Berlin die Absicht bekundet, 300 besonders schutzbedürftige Personen aufzunehmen. Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer untersagte dem Land die Aufnahme der Flüchtlinge.

BVerwG bestätigt ablehnende Entscheidung des BMI

In dem vom Land Berlin hierzu eingeleiteten gerichtlichen Verfahren hat das BVerwG nun die Ablehnung der Aufnahme eines Sonderkontingents von Flüchtlingen durch den damaligen Bundesinnenminister als rechtmäßig bestätigt. Die Voraussetzungen für eine eigenständige Aufnahmeanordnung durch das Land Berlin seien nicht erfüllt gewesen. Insbesondere sei das Land Berlin nicht nach § 23 AufenthG zur Aufnahme befugt gewesen.

Gesetzliche Grundlage einer Aufnahme durch Länder

§ 23 AufenthG bestimmt, dass die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik anordnen kann, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG bedarf die Anordnung zur Wahrung einer bundesweit einheitlichen Flüchtlingsaufnahme des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Inneren für Bau und Heimat (BMI).

Länder nicht zur Aufnahme aus EU-Ländern berechtigt

Nach der Auslegung des BVerwG bildet § 23 AufenthG keine Rechtsgrundlage für Kontingentaufnahmen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die in § 23 AufenthG geregelte Anordnung einer Sonderaufnahme sei nur

  • vor der Einreise der Flüchtlinge in ein EU-Land und
  • nach Feststellung eines besonderen humanitären Schutzbedarfs  

zulässig.

Dublin-Abkommen hat innerhalb EU Vorrang

Sobald sich Geflüchtete in einem Mitgliedstaat der EU aufhalten, ist § 23 AufenthG nach Auffassung des BVerwG nicht mehr anwendbar. In diesen Fällen gelte das unionsrechtliche Aufnahmeinstrument der Dublin III-VO, das gegenüber Flüchtlingsaufnahmen einzelner deutscher Länder Vorrang habe.

BMI durfte unterschiedliche Aufnahmebedingungen vermeiden

Das BMI hat nach Auffassung des BVerwG sein Einvernehmen mit der Aufnahme auch aus einem weiteren Grund zu Recht verweigert. Eine zusätzliche Aufnahme durch das Land Berlin sei nicht kohärent mit den vom Bund selbst getroffenen Maßnahmen gewesen. Im Rahmen eines europäisch abgestimmten Vorgehens habe der Bund selbst die Aufnahme einer bestimmten Anzahl kranker Kinder und ihrer Familien aus dem Lager Moria verfügt.

Der Bund habe diesen Personen nicht sofort eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Eine solche wäre bei einer Aufnahme nach § 23 AufenthG durch das Land Berlin aber zunächst für die Dauer von drei Jahren erteilt worden. Damit wäre die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem gleichen Flüchtlingslager in das Bundesgebiet nach unterschiedlichen Maßstäben erfolgt. Dies habe das BMI aus politischen Gründen vermeiden dürfen.

Einheitliche Maßstäbe im Bundesgebiet

Nach der Bewertung des BVerwG diente die Verweigerung des Einvernehmens demnach der politisch gewollten einheitlichen Behandlung der betroffenen Personengruppe im Bundesgebiet. Das BMI sei berechtigt, ein koordiniertes Vorgehen aller im Rahmen des gemeinsamen europäischen Asylsystems durch kohärente und einheitliche Maßnahmen zu gewährleisten. Gerade wenn der Bund in eigener Zuständigkeit Ausländer aus der betreffenden Personengruppe aus humanitären Gründen aufgenommen hat, dürfe er bei fehlender Kohärenz einem einzelnen Bundesland einen Alleingang verweigern. Bei der Bewertung der Erheblichkeit der auftretenden Divergenzen habe das BMI einen weiten Beurteilungsspielraum.

BMI hätte Einvernehmen erklären können

Das BVerwG stellte allerdings auch fest, dass die unionsrechtlichen Vorschriften über das Asylverfahren einem Einvernehmen zu einer humanitären Landesaufnahme nicht grundsätzlich entgegengestanden hätten. Innerhalb seines Beurteilungsspielraums hätte das BMI die Aufnahme auch genehmigen können. Die Versagung des Einvernehmens durch das BMI sei aber nicht rechtsfehlerhaft gewesen. Mit dieser Begründung wies das BVerwG die Klage des Landes Berlin ab.


(BVerwG, Urteil v. 15.3.2022, 1 A 1.21)


Hintergrund

Nachdem es im September des Jahres 2020 in dem Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos zu einem Großbrand gekommen war, hatte die Bundesrepublik ein zusätzliches Kontingent von Migranten von der Insel in Deutschland aufgenommen, die überwiegend aus Syrien stammen.

Deutsche Städte boten Hilfe an

Über 200 Städte in Deutschland sowie das Land NRW hatten nach dem Brand ihre Bereitschaft erklärt, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Auch dies lehnte das BMI ab. Mehrere Flüchtlingsorganisationen und auch die Caritas übten an der restriktiven Haltung des damaligen Bundesinnenministers Seehofer scharfe Kritik.

Mit dem Großbrand waren im September 2020 auf einen Schlag ca. 12.000 Menschen ohne Obdach. Mit dem Bau eines Übergangslagers versuchte die griechische Regierung mehr schlecht als recht Abhilfe zu schaffen. Bis heute hat sich die Situation für viele der betroffenen Flüchtlinge nicht nachhaltig verbessert.