Blinde Juristen bereichern die Justiz

In Deutschland amtieren derzeit ca. 70 blinde Richter. Die Zahl der praktizierenden blinden Rechtsanwälte dürft deutlich höher liegen. Sie alle tragen auf ihre Weise zu einer funktionierenden Rechtsprechung und deren anerkannt hohen Qualitätsstandard bei.

Justitia trägt ihre Augenbinde nicht umsonst. Durch die Augenbinde soll ihr eine Rechtsprechung ohne Ansehen der Person und des Standes ermöglicht werden. Dies dürfte in gewisser Weise auch für blinde oder stark sehbehinderte Richter gelten. Nach übereinstimmender Auskunft der Betroffenen führt das fehlende Augenlicht zu einer Schärfung der übrigen Sinne und zu einer besonders exakten Aufnahme sprachlicher Äußerungen, bis hin zu kleinen Auffälligkeiten und Feinheiten im Tonfall. Dies kann beispielsweise für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen eine wichtige Rolle spielen. Dies empfindet nach verbreiteter Ansicht auch ein Großteil der sonstigen an einem Prozess beteiligten Parteien so.

Berufsaussichten für blinde Juristen sind gut

Uwe Boysen, Vorsitzender Richter am Landgericht Bremen, hat sich wegen der guten Berufsaussichten Blinder für die juristische Laufbahn entschieden. Daneben ist er Vorsitzender des Deutschen Vereins für Blinde und Sehbehinderte (DVBS). Die Kommunikationsfähigkeit ist seine Stärke. Etwas schwieriger wird es bei einer Beweisaufnahme durch Augenscheineinnahme. Aber auch dort können gegebenenfalls die Beisitzer oder die weiteren Prozessbeteiligten optische Wahrnehmungen hinreichend sprachlich vermitteln. Außerdem kann ein Blinder auch bei der Augenscheineinnahme vieles fühlen und ertasten. Dennoch sind Probleme in diesem Bereich nicht ganz weg zu diskutieren.

Blinde Richter nicht als Vorsitzende einer Strafkammer

Im Hinblick auf die gerade bei der Augenscheineinnahme bestehenden Schwierigkeiten hat der BGH im Jahre 1987 entschieden, dass ein blinder Richter nicht Vorsitzender einer Strafkammer am Landgericht sein kann (BGH, Urteil v. 17.12.1987, 4 StR 440/87). Die Entscheidung ist umstritten. Hans Eugen Schulze war ein in Juristenkreisen bekannter blinder Richter am BGH, der für seine herausragenden juristischen Leistungen, aber auch für sein Engagement für Blinde in Afrika und Asien im Jahr 2012 das Bundesverdienstkreuz erhielt. Er hält die BGH -Entscheidung für falsch, da den Nachteilen des mangelnden optischen Eindrucks eine Reihe von Vorteilen bei der Wahrnehmung anderer Sinneseindrücke durch den blinden Richter gegenüber stehe. Eine blinde Rechtsanwältin aus Hamburg hat hierzu einmal geäußert, sie höre es, wenn einer lüge.

Blinde sind allgemein als Vorsitzende Richter geeignet

Bei den übrigen Gerichtszweigen ist die Zulässigkeit der Wahrnehmung der Richtertätigkeit durch blinde und sehbehinderte Personen unbestritten (BFH, Urteil v. 04.04.1984, II R 103/81). Dies gilt nach der Entscheidung des BFH auch für die Übernahme des Vorsitzes einer Kammer. Einen Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bedeutet der Einsatz eines blinden Richters nach Auffassung des BFH nicht, es sei denn ein Urteil hänge ausnahmsweise entscheidend von der Durchführung einer optischen Augenscheineinnahme ab, die dem blinden Richter nicht zu vermitteln sei.

Viele technische Hilfsmittel

Zu berücksichtigen ist, dass für blinde Juristen heute eine Reihe technischer Hilfsmittel zur Verfügung steht, angefangen vom Computer, der Texte und Bücher vorlesen oder in Blindenschrift übersetzen kann bis zur sprechenden Briefwaage. Ein blinder Rechtsanwalt aus Mecklenburg, der auf Unfallsachen spezialisiert ist, lässt sich Verkehrsunfälle statt durch Unfallskizzen durch Holzklötzchen verdeutlichen, die auf dem Richtertisch hin und her geschoben werden können. Fast alles – so meint er - lasse sich auch anders als durch optische Darstellung vermitteln. Lediglich wenn ein Zeuge beispielsweise ein Hakenkreuz auf der Jacke habe, müsse er durch andere Prozessbeteiligten hierauf hingewiesen werden. Manchmal trage es aber auch zur Unvoreingenommenheit bei, wenn man so etwas nicht sehe.

UN-Konvention verlangt gleichberechtigte Teilhabe am Berufsleben

Die Konvention der Menschenrechte statuiert die gleichberechtigte Teilnahme von Behinderten am Berufsleben. Im juristischen Bereich ist dies in vielen europäischen Ländern für Blinde mehr oder weniger verwirklicht. In Frankreich ist der Generalstaatsanwalt Faletti blind. Aber es gibt auch Negativbeispiele. Österreich hinkt hinterher. Dort wird die Besetzung eines Richterstuhls durch Blinde grundsätzlich abgelehnt, weil hierdurch der Grundsatz der Unmittelbarkeit von Gerichtsverfahren verletzt würde. In Deutschland unterhält der DVBS eine Fachgruppe Jura, die sich die Betreuung blinder Richter, Beamter, Rechtspfleger, Staatsanwälte und Rechtsanwälte zur Aufgabe gemacht hat. Hier werden der Erfahrungsaustausch und die Fortbildung blinder und sehbehinderter Juristen gefördert.

Blinde bringen eine besondere Farbe in die Justiz

Nach dem Eindruck der meisten Kollegen von blinden oder sehbehinderten Juristen und auch nach dem Eindruck des größten Teils des Publikums bereichern blinde Juristen durch ihre besonderen Fähigkeiten und ihre Sensibilität für andere als optische Sinneswahrnehmungen die Justiz in unverzichtbarer Weise. Die Zulassung blinder und sehbehinderter Juristen ist daher kein Akt der sozialen Fürsorge der Gesellschaft, sondern sie bedeutet in erster Linie eine Bereicherung der vielfältigen Erscheinungsformen des Rechts und verleiht der Justiz nicht selten einen besonderen Glanz.

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