BGH-Richter Thomas Fischer kritisiert

Staatsanwälte sollen ihre Arbeit machen und nicht zu viel in der Öffentlichkeit herum schwadronieren. Das ist die Quintessenz einer Betrachtung der Rolle der Staatsanwaltschaft im Fall Edathy, die der renommierte Strafrechtler Thomas Fischer in der „Zeit“ anstellte. Edathy gab dies wohl Aufwind, worauf er sich, mit einem Ausflug in die Kunstgeschichte, noch weiteren medialen Zorn zuzog.

Der Hintergrund: Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte Ende 2013 Ermittlungen gegen den damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Edathy aufgenommen, weil dieser Bilder von nackten Kindern in seinem Besitz hatte. Dies ist nach geltendem Recht keine Straftat. Lediglich der Besitz von Kinderpornographie wird nach § 184 b StGB unter Strafe gestellt.

Strafrechtlich nicht relevant

Die bei Edathy aufgefundenen Bilder bewertete das BKA denn auch als strafrechtlich nicht relevant. Dennoch gab der leitende Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich auf einer Pressekonferenz am 14.02.2014 der schockierten Öffentlichkeit bekannt, dass bei dem Abgeordneten Material „aus dem Grenzbereich zur Kinderpornographie“ sichergestellt worden sei. Edathy selbst befindet sich – auch weil er Drohungen erhalten hat – praktisch auf der Flucht. Seine Ämter ist er los. Seine soziale Existenz in Deutschland ist faktisch zerstört.

Aufgabe der StA ist nur die Aufklärung von Straftaten

Diesen Sachverhalt nahm der Vorsitzende Richter am BGH, Professor Thomas Fischer, zum Anlass, ein Schlaglicht auf die Rolle der StA in der Gesellschaft im Allgemeinen und in der Öffentlichkeit im Besonderen zu werfen. Fischer kritisiert in der "Zeit" vor allem, dass die StA im Fall Edathy keine klare Grenze zwischen strafbarem und nicht strafbaren Verhalten gezogen und durch ihre Öffentlichkeitsarbeit zur sozialen Vernichtung einer Existenz beigetragen habe.

Rechtsstaat verlangt eine klare Grenzziehung zwischen Recht und Unrecht

Nicht zu Unrecht wirft Fischer die Frage nach den einen Anfangsverdacht begründenden Tatsachenfeststellungen auf. Staatsanwälte und Polizei gingen offensichtlich davon aus, dass bei Beziehern von nicht strafbaren Nacktfotos per se der Verdacht bestehe, dass auch strafbares Material vorhanden sei. Dies jedenfalls hätten die Staatsanwälte in Hannover in sämtliche Mikrofone posaunt, die ihnen vorgehalten worden seien.

Rechtsstaatliche Grundsätze konterkariert

Fischer verweist darauf, dass der Grundsatz jeder Strafrechtsordnung darin bestehe, dass eine klare Grenze gezogen werde zwischen erlaubtem und nicht erlaubtem Verhalten. Diese Grenze diene dem Schutz der Bürger und sei von den Ermittlungsbehörden unbedingt einzuhalten. Wenn derjenige unter Verdacht gerate, der etwas Erlaubtes tue, weil nach Meinung von Staatsanwälten die Grenze zum Unerlaubten nicht mehr weit sei, der stelle Bürger unter Verdacht, die sich grundsätzlich gesetzestreu verhielten. Eine solche Sichtweise konterkariere rechtsstaatliche Grundsätze.

Öffentlicher Generalverdacht ist existenzvernichtend

Fischer wirft der Staatsanwaltschaft die Vermischung von unreflektierter Boulevardmentalität mit ihrem gesetzlichen Ermittlungsauftrag vor. Der wünschenswerte Schutz unterprivilegierter Kinder in Entwicklungsländern, die von kaltherzigen Fotografen ausgebeutet würden, dürfe nicht dafür herhalten, in einem Fall wie dem Edathys die für jeden geltende Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil zu verkehren.

Die StA überschreite ihre Befugnisse, wenn sie einen Bürger, gegen den strafrechtlich nichts Relevantes vorliegt, in der Öffentlichkeit dem unappetitlichen Verdacht des Besitzes von Kinderpornographie aussetze und dessen soziale Existenz damit nachhaltig zerstöre. Ein Bürger müssen sich in einem Rechtsstaat darauf verlassen können, von den Behörden nicht einem strafrechtlichen Generalverdacht ausgesetzt zu werden, solange er die Grenzen zur Strafbarkeit nicht nachweislich überschritten habe.

Zur Objektivität verpflichtet

Grundsätzlich ist dem BGH-Richter in seiner Kritik zuzustimmen. Aufgabe der StA ist es in Deutschland, Ermittlungen aufzunehmen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person gegen das Strafgesetz verstoßen hat, § 160 Abs. 1 StPO.

Gemäß § 160 Abs. 2 StPO hat die StA sowohl die für als auch die gegen den Betreffenden sprechenden Tatsachen zu ermitteln. Kritiker spotten, die StA sei damit in Deutschland die neutralste und objektivste Behörde der Welt. Das ist sie aber schon deshalb nicht, weil sie – übrigens im Unterschied zu den meisten anderen europäischen Ländern – weisungsgebunden ist, mit dem jeweiligen Justizminister als obersten Dienstherrn.

Die StA steht damit in letzter Konsequenz auch in einer politischen Abhängigkeit. Gleichwohl tut die Verpflichtung, sowohl die für als auch gegen den Verdächtigen sprechenden Tatsachen zu ermitteln, der StA grundsätzlich gut und führt in der Regel zu dem Ergebnis, dass die StA nur dann Anklage erhebt, wenn die nach dem Gesetz erforderliche hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit auch wirklich besteht.

Öffentlichkeitsarbeit der StA oft nicht angemessen

Die politische und damit nicht mehr objektive Dimension der StA wird insbesondere dann deutlich, wenn spektakuläre Fälle in der Öffentlichkeit diskutiert werden und die StA die Öffentlichkeit - wie zum Beispiel in den Fällen Wulff oder Zumwinkel – zum Zwecke allgemeinen Meinungsbildung instrumentalisiert und damit öffentlich Stimmung macht.

Fatal wird es, wenn – wie im Fall Edathy – die Faktenlage lediglich Anlass zu Spekulationen über mögliche Straftaten gibt und die StA bereits in diesem Stadium meint,  die Öffentlichkeit umfassend unterrichten zu müssen. Hier täte mehr Zurückhaltung gut und wäre auch einem Rechtssaat angemessener. Was aber auch zu sagen ist: Die StA muss den moralischen Zeigefinger unten lassen, wenn nichts Strafbares vorliegt – die Öffentlichkeit muss es nicht.

Edathy zieht nach, kann aber mit Kulturansatz nicht punkten

Auch Edathy suchte mit Öffentlichkeitsarbeit nochmals Boden zu gewinne. Er hielt der SPD Skrupellosigkeit vor, da sein Ausschluss aus der Partei angestrebt worden sei, obwohl das Ergebnis der Ermittlungen noch nicht feststehe. Edathy beklagte, er sei in Deutschland verfemt - seine Arbeit, sein Zuhause und seine Privatspähre: "erst mal weg". Doch mit dem Hinweis, in der Kunstgeschichte habe der männliche Akt eine lange Tradition, auch der Kinder- und Jugendakt, rief er erneut eher Wut hervor, Verständnis.

Stellvertretender Regierungssprecher tadelt "Spiegel": Edathy "Forum" geboten

Der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Georg Streiter machte im sozialen Netzwerk, zu dem Journalisten Zugang hatten, dem Spiegel den Vorwurf, Edathy ein Forum geboten zu haben. Hierzu befand der Vorsitzende des Deutsche Journalisten-Verbandes, Michael Konken, der Vize-Regierungssprecher überschreite seine Kompetenzen, wenn er dem ,Spiegel‘ Nachhilfeunterricht in Sachen Themenfindung erteile.

Fazit: Das Toben in den Medien ist ungebrochen, der Rahmen der Rechtsstaatlichkeit ächzt unter diesem Ansturm von innen und außen gewaltig.

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