BGH hebt Strafurteile bei bestimmten Formfehlern rigoros auf

Der BGH hat die in einem aufwändigen, wochenlangen Strafprozess erfolgte Verurteilung eines Angeklagten zu mehr als 8 Jahren Haft wegen der fehlenden Unterschrift einer Richterin aufgehoben - ein folgenschwerer Patzer! Die Richterin war zwischenzeitlich zum OLG München gewechselt, der Verhinderungsvermerk nicht korrekt ausgeführt.

In sporadischer Zeitabfolge sieht sich der BGH immer mal wieder gezwungen, vorinstanzlichen Urteile wegen kleiner Nachlässigkeiten und daraus resultierenden Formfehlern aufzuheben. Ob die fehlende Unterschrift eines Richters oder die Überschreitung der Absetzungsfrist eines Urteils - besonders ärgerlich sind diese Formfehler immer dann, wenn ein langwieriger, mühsamer Strafprozess hierdurch völlig neu aufgerollt werden muss.

Verurteilter Rauschgiftdealer legte Revision wegen Formfehlers ein

Eine solche, höchst ärgerliche Aufhebung eines Urteils durch den BGH traf kürzlich das LG Augsburg. Das LG hatte den Angeklagten nach einem wochenlangen Strafverfahren wegen unerlaubten Handelstreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 29 Fällen, wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und vier Monaten verurteilt.

Gegen die Verurteilung legte der Angeklagte Revision ein u.a. mit der Begründung, das Urteil enthalte nicht sämtliche nach der StPO erforderlichen richterlichen Unterschriften. Da inzwischen die gesetzliche Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 Abs. 2 StPO überschritten sei, sei das vollständige Urteil innerhalb der gesetzlichen Frist nicht zu den Akten gebracht worden. Damit sei das Urteil aufzuheben.

Vorsitzende Richterin zum OLG München gewechselt

Der BGH folgte dieser Argumentation der Revision. An der Hauptverhandlung vor der Strafkammer des LG hatten als Berufsrichter die Vorsitzende Richterin sowie zwei beisitzende Richterinnen teilgenommen. Nach 14 Hauptverhandlungstagen war das Urteil innerhalb der gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO bei dieser Verhandlungsdauer neunwöchigen Urteilsabsetzungsfrist bei der Geschäftsstelle eingegangen und damit zur Akte gelangt. Die Unterschriften unter dem Urteil waren aber nicht vollständig.

Verhinderungsvermerk reichte nicht

An der für die Unterschrift der Vorsitzenden Richterin vorgesehenen Stelle war der Vermerk angebracht, dass die Vorsitzende Richterin inzwischen zur Richterin am OLG München ernannt worden und daher an der Unterschriftsleistung verhindert sei. Dieser Vermerk war von der ältesten beisitzenden Richterin angebracht worden, als solcher aber nicht gesondert unterzeichnet.

Vermerk war nicht gesondert unterzeichnet

Der BGH wies darauf hin, dass bei Verhinderung eines Richters an der Unterzeichnung - beispielsweise durch Versetzung an ein anderes Gericht - dies gemäß § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO unter dem Urteil ordnungsgemäß zu vermerken und dieser Vermerk innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist von dem ältesten beisitzenden Richter zu unterzeichnen ist (BGH, Beschlüsse v. 26.9.2013, 2 StR 271/13 u. V. 27.10.2010, 2 StR 331/10). Diese zusätzliche Unterschrift der Beisitzerin fehlte.

Zwar hatte sie das Urteil an der für ihre Unterschrift als beisitzende Richterin vorgesehenen Stelle unterzeichnet, nicht aber eine zweite Unterschrift unter den Verhinderungsvermerk gesetzt. Damit war das Urteil nach der Bewertung des BGH nicht innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO in vollständiger Fassung zur Akte gelangt.

Strafprozess muss komplett neu aufgerollt werden

Diese Unterlassung ist ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 338 Ziff. 7 StPO. Demgemäß hob der BGH das Urteil der Vorinstanz auf und verwies dieses an eine andere Kammer des LG zurück, die erneut das gesamte Verfahren durchführen muss.

(BGH, Beschluss v. 27.1.2021, 1 StR 495/20)

Hintergrund: Stolperstein Urteilsabsetzungsfrist 

Die Fristen für die Absetzung eines Urteils sind durch § 275 StPO in Abhängigkeit von der Zahl der Verhandlungstage geregelt. Eine Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist ist gemäß § 338 Nr. 7 StPO ein absoluter Revisionsgrund. An die Verspätungsrüge wegen Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO im Rahmen einer Revision stellt der BGH dezidierte Anforderungen. Diese Verspätungsrüge setzt gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass

  • der Beschwerdeführer das Datum der Urteilsverkündung,
  • die Zahl der Hauptverhandlungstage,
  • das Datum des Fristablaufs für die Absetzung
  • sowie den Zeitpunkt benennt, zu dem das Urteil zu den Akten gebracht wurde (BGH, Beschluss v.21.10.1998, 3 StR 473/98).

Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist die Verspätungsrüge unzulässig.

Mordverurteilung nach langwierigem Prozess aufgehoben

Ist die Verspätungsrüge in zulässiger Weise erhoben, so sind Aufhebungsentscheidungen des BGH nicht ganz selten. In einem dem Augsburger Verfahren in der Schwere vergleichbaren Fall hatte das LG Hamburg in einem aufwändigen „Rockerprozess“ den Angeklagten wegen Anstiftung zum versuchten Mord in Tateinheit mit schwerer und gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der BGH stellte ausdrücklich fest, das Urteil sei besonders sorgfältig und rechtlich einwandfrei begründet worden.

Allerdings hätten die Richter der Strafkammer, das Urteil zwar noch am letzten Tag der Urteilsabsetzungsfrist unterzeichnet, aber erst einen Tag nach Ablauf der auch in diesem Fall neun Wochen währenden Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zur Akte gebracht. Die Strafkammer habe sich bei der Berechnung der Frist schlicht verrechnet. Da die Überschreitung der Frist ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 7 StPO ist, sah der Senat sich genötigt, das Urteil trotz des zuvor sorgfältig geführten Strafprozesses wegen dieses Formfehlers aufzuheben (BGH, Beschluss v. 12.11.2019, 5 StR 542/19).

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