
Ein Rechtsanwalt darf kostenlose Erstberatungen für Personen anbieten, die einen Verkehrsunfall erlitten haben. Das hat der BGH entschieden. Dies erleichtert Rechtsuchenden den Zugang zum Anwalt und damit letztlich zum Recht. Auch die Anwaltschaft profitiert im Verhältnis zur immer stärker werdenden nichtanwaltlichen (Legal-Tech) Konkurrenz.
Werbung und anwaltliches Berufsrecht sind nach wie vor ein heikles Thema. Nun hat der BGH das Türchen ein Stück weiter geöffnet und erlaubt das Werben mit dem Angebot einer kostenlosen Erstberatung.
(Siehe zu dem Thema auch: Anwälte verkennen weiter die Bedeutung des Marketing)
Angebot: Bei Verkehrsunfall kostenlose Erstberatung
Nach einem Verkehrsunfall setzt nach dem ersten Schreck die Ratlosigkeit ein. An diesem Punkt setzte die Marketingmaßnahme einer Kanzlei an:
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M. & D. Rechtsanwälte …"
Anwaltskammer beanstandet
Angebot kostenloser Erstberatung
Die zuständige Rechtsanwaltskammer hatte daraufhin eine belehrende Ermahnung erteilt, weil
- nach § 49b BRAO, §§ 34, 4 RVG
- eine kostenlose Rechtsberatung
- ohne inhaltliche Qualifizierung anhand der Besonderheiten des Falls
- oder der den Rechtsrat suchenden Person unzulässig sei.
Gegen den später ergangenen Widerspruchsbescheid hatte der Rechtsanwalt Klage erhoben. Der Brandenburgische Anwaltsgerichtshof hatte den angefochtenen Bescheid aufgehoben.
Die vom Anwaltsgerichtshof zugelassene Berufung der Rechtsanwaltskammer blieb beim BGH ohne Erfolg.
RVG sieht keine Mindestgebühr für Erstberatung vor
Nach Auffassung des BGH schreibt das RVG keine bestimmte Gebühr für eine Erstberatung vor,
- sondern deckelt sie für Verbraucher auf höchstens 190 Euro.
- Eine Mindestgebühr, deren Unterschreiten ein Verstoß gegen § 49b Abs. 1 BRAO sein könnte, sehe das RVG nicht vor.
BGH sah keinen Verstoß gegen §§ 34, 4 RVG
Der BGH erkannte auch keinen Verstoß gegen §§ 34, 4 RVG. Nach § 4 RVG muss die vereinbarte Vergütung allerdings
- in einen angemessenen Verhältnis
- zur Leistung,
- Verantwortung
- und dem Haftungsrisiko der anwaltlichen Leistung stehen.
Eine kostenlose Erstberatung wäre danach nie zulässig - so die Ansicht der zuständige Rechtsanwaltskammer.
Der BGH hält dagegen: Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 RVG sei auf die Gebührenvereinbarung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht anwendbar. Die Anwendbarkeit setzte eine gesetzlich vorgeschriebene Vergütung voraus.
Die Rechtsuchenden erwartete im Übrigen bei der Erstberatung, dass das Honorar sich nicht am Wert der Sache orientiere, sondern pauschaliert sei. Fazit: Der BGH erteilte der Anwaltschaft letztlich einen Persilschein: Der einzelne Anwalt sei auch berechtigt, die Erstberatung kostenlos anzubieten.
(BGH, Urteil v. 3.7.2017, AnwZ (Brfg) 42/16)
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Hintergrund
RVG-Reform hat Gebühren für außergerichtliche Beratung gekippt
Seit der Änderung des RVG durch Artikel 5 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes mit Wirkung zum 1.7.2006 sind die bis dahin vorgesehenen gesetzlichen Gebühren für einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft bzw. Beratung ersatzlos weggefallen, mit der Folge, dass das RVG für die außergerichtliche Beratung seit diesem Zeitpunkt keine konkret bestimmte gesetzliche Gebühr mehr vorsieht.
Stattdessen soll der Rechtsanwalt nunmehr gem. § 34 Abs. 1 RVG auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken. Unterlässt er dies, erhält er gem. § 34 Absatz I 2 RVG Gebühren nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§ BGB § 612 BGB § 612 Absatz II BGB).
Normen
§ 4 RVG: Erfolgsunabhängige Vergütung
1) In außergerichtlichen Angelegenheiten kann eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden. Sie muss in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vor, kann der Rechtsanwalt ganz auf eine Vergütung verzichten. § 9 des Beratungshilfegesetzes bleibt unberührt.
(2) Der Rechtsanwalt kann sich für gerichtliche Mahnverfahren und Zwangsvollstreckungsverfahren nach den §§ 802a bis 863 und 882b bis 882f der Zivilprozessordnung verpflichten, dass er, wenn der Anspruch des Auftraggebers auf Erstattung der gesetzlichen Vergütung nicht beigetrieben werden kann, einen Teil des Erstattungsanspruchs an Erfüllungs statt annehmen werde. Der nicht durch Abtretung zu erfüllende Teil der gesetzlichen Vergütung muss in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen.
(3) In der Vereinbarung kann es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer überlassen werden, die Vergütung nach billigem Ermessen festzusetzen. Ist die Festsetzung der Vergütung dem Ermessen eines Vertragsteils überlassen, gilt die gesetzliche Vergütung als vereinbart.
(4) bis (6)(weggefallen)
§ 34 RVG: Beratung, Gutachten und Mediation
(1) Für einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft (Beratung), die nicht mit einer anderen gebührenpflichtigen Tätigkeit zusammenhängen, für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens und für die Tätigkeit als Mediator soll der Rechtsanwalt auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, soweit in Teil 2 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses keine Gebühren bestimmt sind. Wenn keine Vereinbarung getroffen worden ist, erhält der Rechtsanwalt Gebühren nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Ist im Fall des Satzes 2 der Auftraggeber Verbraucher, beträgt die Gebühr für die Beratung oder für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens jeweils höchstens 250 Euro; § 14 Abs. 1 gilt entsprechend; für ein erstes Beratungsgespräch beträgt die Gebühr jedoch höchstens 190 Euro.
(2) Wenn nichts anderes vereinbart ist, ist die Gebühr für die Beratung auf eine Gebühr für eine sonstige Tätigkeit, die mit der Beratung zusammenhängt, anzurechnen.