Beleidigung Homosexueller als Gesamtgruppe kein Ehrdelikt

Ein ehemaliger Kasseler Hochschulprofessor darf zum Thema „Ehe für alle“ vor einem möglichen „Horror-Kinderschänder-Szenario“ warnen und homosexuelle Paare als „a-sexuelle Erotikvereinigungen“ bezeichnen.

Dies hat das OLG Frankfurt entschieden und die Äußerungen des Evolutionsbiologen in ihrer Gesamtheit als zulässige Meinungsäußerung bewertet.

Kritische Interview-Äußerungen zur Ehe für alle

Im Rahmen eines auf einem Onlineportal veröffentlichten Interviews hatte sich der ehemalige Hochschulprofessor für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie im Zusammenhang mit der vor einiger Zeit im Bundestag geführten Debatte über die Ehe für alle und über das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare zu den geplanten Rechtsänderungen kritisch geäußert.

Homosexuelle fühlten sich beleidigt

Einige homosexuelle Personen fühlten sich in ihrer persönlichen Ehre verletzt und erstatteten bei der StA Kassel Anzeige wegen zwei Textpassagen:

  • Homosexuelle Paare bezeichnete der Angeklagte in dem Interview als „a-sexuelle Erotikvereinigungen“.
  • Im Zusammenhang mit der Ehe für alle und einem damit verbundenen Adoptionsrecht warnte der ehemalige Evolutionsbiologe vor einem möglichen „Horror-Kinderschänder-Szenario“.

StA erhob Anklage

Die StA sah einen hinreichenden Tatverdacht und erhob Anklage wegen Beleidigung, übler Nachrede und Volksverhetzung. Das LG sprach den Angeklagten nach mündlicher Verhandlung mit der Begründung frei, die beanstandeten Äußerungen seien zwar extrem überspitzt, jedoch insgesamt als Meinungsäußerung zu werten, die vom Schutz des Art. 5 GG umfasst werde.

Freispruch vom OLG bestätigt

Auf die Revision der StA kam das OLG zum gleichen Ergebnis. Da die Äußerung des Angeklagten sich auf die gesamte Personengruppe der Schwulen und Lesben bezogen habe, sei die Gesamtheit dieser Personen gemeint. Hierbei handele es sich um eine insgesamt sehr große, inhomogene Personengruppe. Die die Gesamtheit dieser Personen betreffende Äußerung schlage nicht auf die persönliche Ehre der zu dieser Gruppe gehörenden Einzelpersonen durch. Individuen seien von den Äußerungen nicht betroffen und würden daher durch die Äußerungen auch nicht in ihrer Ehre gekränkt.

Aussagen insgesamt als Meinungsäußerung zu bewerten

Im übrigen enthalten die Äußerungen des Angeklagten nach der Bewertung des OLG diverse sowohl tatsächliche als auch wertende Bestandteile. Diese tatsächlichen und wertenden Bestandteile könnten nicht voneinander getrennt werden, ohne dass der Sinn der Äußerungen insgesamt verfälscht würde. Die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung erfolge unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes einer Äußerung. Maßstab für die Bewertung sei dabei das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Dieses Publikum verstehe die Gesamtaussage aber nicht als Behauptung einer Tatsache, sondern als Meinungsäußerung.

Überspitzte Äußerungen im geistigen Meinungskampf zulässig

Insgesamt bewertete das OLG die Äußerung des Angeklagten im Rahmen der Diskussion um die Ehe für alle und das damit verbundene Adoptionsrecht als zulässigen Bestandteil des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage. Die teilweise polemischen und überspitzen Meinungsäußerungen des Angeklagten seien in ihrer Gesamtheit auch nicht als reine Schmähkritik zu werten, sondern Ausdruck seiner Bedenken gegen die diskutierten Rechtsänderungen. Solche Äußerungen müsse die Öffentlichkeit aushalten können.


(OLG Frankfurt, Urteil v. 8.2.2022, 2 Ss 164/21)


Hintergrund

In ähnlicher Weise hatte das OLG Frankfurt kürzlich einer Aktivistin und Veranstalterin von Demonstrationen gegen die Coronabeschränkungen in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren Recht gegeben und einen Antrag auf Unterlassung einiger von ihr im Netz geposteten Äußerungen zurückgewiesen.

Tod durch Erschießen“ in Gedichtform ist keine Drohung

Die Aktivistin war von einer Gruppe von Gegendemonstranten wegen unterlassener Anmeldungen einzelner Demonstrationen angezeigt worden. Darauf postete die Aktivistin im Netz ein Gedicht unter dem Titel „Denunzianten“ mit Passagen wie: „Manch einer, der genüsslich denunzierte“ sich vor einem „Drei-Mann-Standgericht“ wiederfand, dessen Urteil „Tod durch Erschießen“ lautete. Das OLG bewertete diese Äußerungen in Gedichtform nicht als ernst gemeinte Drohung, sondern sah das gepostete Gedicht als von der durch Art. 5 GG gewährleisteten Meinungsfreiheit gedeckt an. Das Gedicht sei ein noch zulässiger Beitrag zum geistigen Meinungskampf zu den in der Öffentlichkeit sehr umstrittenen Freiheitsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Coronavirus (OLG Frankfurt am Main, Beschluss v. 10.2.2022, 16 U 87/21).