Befangenheitsantrag der AfD gegen Verfassungsrichter

Der VerfGH des Landes Nordrhein-Westfalen hat in einem Organstreitverfahren dem Befangenheitsantrag von sieben Landtagsabgeordneten der AfD-Fraktion gegen einen der zur Entscheidung berufenen Verfassungsrichter stattgegeben. Aus Sicht der AfD sei das Ablehnungsgesuch nachvollziehbar begründet.

Das Organstreitverfahren vor dem VGH hatten sieben Mitglieder der AfD-Fraktion des Landtages gegen die Landesregierung NRW eingeleitet mit dem Vorwurf, die Landesregierung habe eine parlamentarische Anfrage zu sogenannten „gefährlichen und verrufenen Orten“ im Sinne des PolG NRW nicht hinreichend beantwortet und durch die lückenhafte Antwort das Frage- und Informationsrecht der Abgeordneten der AfD-Fraktion verletzt.

Umstrittene Polizeivorschrift zur Identitätsfeststellung

Die parlamentarische Anfrage betraf den juristisch und politisch äußerst umstrittenen § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW. Hiernach kann die Polizei die Identität einer Person zum Zwecke der Gefahrenabwehr feststellen, wenn

  • sich die Person an einem Ort aufhält, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben (=gefährliche und verrufene Orte),
  • sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen
  • oder sich dort gesuchte Straftäter verbergen.

Umstritten ist die Vorschrift insbesondere hinsichtlich der äußerst schwierigen Definition der gefährlichen und verrufenen Orte.

Verfassungsrichter übte als Hochschullehrer Kritik an AfD

Einem am zuständigen Spruchkörper beteiligten Verfassungsrichter hatten die Abgeordneten Befangenheit vorgeworfen. Der hauptamtlich als Hochschullehrer tätige Verfassungsrichter hatte in nicht wenigen öffentlichen Stellungnahmen kritische Kommentare zur AfD und deren Programmatik abgegeben und sich zum Teil abfällig über die Partei geäußert.

Der böse Schein genügt

Der VGH hat das Ablehnungsgesuch nun für begründet erachtet, weil ein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Hierbei komme es nicht darauf an, ob der Verfassungsrichter tatsächlich befangen sei. Für einen begründeten Befangenheitsantrag genüge schon der böse Schein einer möglicherweise fehlenden Unabhängigkeit oder Distanz zu dem Fall (BGH, Beschluss v. 7.11.2018, IX ZA 16/17). Art. 101 Abs.1 Satz 2 GG garantiere, dass jede Verfahrenspartei vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist, der aus einer vernünftigen und verständigen Sicht heraus die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet und nicht den Eindruck einer auch nur möglichen einseitigen Verfahrensführung erzeugt (BVerfG, Beschluss v. 21.11.2018, 1 BvR 436/17).

Besorgnis der Befangenheit objektiv nachvollziehbar

Nach Auffassung des Gerichts ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Richter, der sich wiederholt und konstant kritisch über das politische Handeln und Wirken einer Partei äußert und durch eindeutige Kommentare zeigt, dass er die Partei als Ganzes ablehnt, bei vernünftiger Würdigung aller Umstände den Mitgliedern dieser Partei Anlass geben kann, an der Unvoreingenommenheit dieses Richters ihnen gegenüber zu zweifeln. Die teilweise scharfe Diktion der Kommentare des Verfassungsrichters könnten aus Sicht der Antragsteller durchaus die Besorgnis der Befangenheit und der mangelnden Distanz begründen. Dies gelte besonders in dem anhängigen Organstreitverfahren, in dem Angehörige der AfD-Fraktion die Verletzung ihrer Frage- und Informationsrechte hinsichtlich eines politisch umstrittenen und stark emotional besetzten Themas geltend machen.

Äußerungen von Meinungsfreiheit und Freiheit der Lehre gedeckt

Der VerfGH legte Wert auf die Feststellung, dass die Stellungnahmen des Richters als rechtswissenschaftliche Äußerungen in seiner Eigenschaft als Hochschullehrer grundsätzlich vom Grundrecht der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Lehre gedeckt seien. Auch habe das Gericht selbst keinen Zweifel an der Fähigkeit des betreffenden Verfassungsrichters, in dem Organstreitverfahren eine unvoreingenommene Haltung einzunehmen und eine rechtlich objektiv begründete Entscheidung zu treffen. Dennoch sei dem Ablehnungsgesuch aus der Sicht der Antragsteller und zur Vermeidung des bösen Scheins stattzugeben.

(VerfGH Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 27.8.2019, VerfGH 5/18)

Hintergrund

Ablehnungsgesuche seitens der AfD sind im Justizalltag nichts Ungewöhnliches, denn nicht selten haben Richter ihrem Unbehagen über die Politik der rechtspopulistischen Partei schon an irgendeiner Stelle Luft gemacht. So hatte der VerfGH Thüringen auf Antrag der AfD eine verfassungsrechtliche Überprüfung der neuen thüringischen Regelungen zum Wahl-, Eintragungs- und Stimmrechtsalter in Thüringen zu entscheiden. Unter anderem ging es dabei um die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. Ein Mitglied des VerfGH hatte schon vor dem Verfahren einen Eintrag auf einer Facebook-Seite, der sich für die Absenkung des Wahlalters 16 Jahren stark machte, „geliked“. Der Eintrag blieb nach Stellung des Antrages der AfD-Fraktion auf verfassungsrechtliche Überprüfung dieser Vorschrift im Netz. Auf der Facebook-Seite wurde darüber hinaus ausdrücklich auf die richterliche Tätigkeit des Verfassungsrichters hingewiesen. Dies war nach Auffassung des VerfGH für die Antragsteller ein nachvollziehbarer und hinreichender Anlass, an der Unvoreingenommenheit des betreffenden Richters in der Frage des richtigen Wahlalters zu zweifeln.

(VerfGH Thüringen, Beschluss v. 6.12.2017, VerfGH 24/17)

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