BAG zeigt Verständnis für Busengrapscher

Das Recht hat viele Facetten, das gilt auch für die Rechtsprechung des BAG. Sieht das BAG kollegiale Umgangsformen - ähnlich wie der Papst die Erziehungsmethoden - nicht mehr ganz so eng? Oder war die Situation und die Pflichtverletzung hier so speziell, dass ausnahmsweise die fristlose Kündigung scheitern musste? Ist eine Signalwirkung überhaupt vermeidbar?

Ein sexueller Übergriff am Arbeitsplatz ist allein kein hinreichender Grund für eine Kündigung des Belästigers, vielmehr bedarf es nach einer Entscheidung des BAG zusätzlich einer sorgfältigen Abwägung der Umstände des Einzelfalls. Das Urteil des BAG hat bereits heftige Proteste ausgelöst. 

Ein Versuch mit sofortigem Rückzug

Im zu Grunde liegenden Fall ging es um einen Kfz-Mechaniker, der bei dem beklagten Unternehmen seit 1996 ohne Beanstandung tätig war. Im Juli 2012 betrat er die Sozialräume der Beklagten, in der Absicht sich dort umzuziehen. Die Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens war gerade damit beschäftigt, die Sozialräume zu säubern. Während der Kfz-Mechaniker sein Gesicht wusch, unterhielt er sich mit der Kollegin und verstieg sich dann zu dem Kompliment, er bewundere ihren „schönen Busen“. Anschließend grabscht er an denselben.

Die Reinigungskraft erklärte, dass sie solche Berührungen nicht wünsche, worauf der Kfz-Mechaniker sofort von ihr abließ.

Fristlose Kündigung wegen Grapschens

Die Reinigungskraft berichtete ihrem Arbeitgeber von diesem Vorfall, der den Sachverhalt der Arbeitgeberin des Kfz-Mechaniker zur Kenntnis brachte. Von dieser zu einem Gespräch vorgeladen, gestand der Kfz-Mechaniker den Vorfall ein und erklärte, es tue ihm furchtbar leid, er schäme sich, er habe sich 1 Sekunde lang vergessen.

Noch am gleichen Tag erklärte die Arbeitgeberin dem Kfz-Mechaniker die außerordentliche Kündigung. Der Arbeitnehmer richtete anschließend ein Entschuldigungsschreiben an die Reinigungskraft und zahlte ihr im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs ein Schmerzensgeld.

Kollegin nahm die Entschuldigung an, die Sache sei für sie erledigt

Die Kollegin nahm die Entschuldigung an und erklärte, die Sache sei damit für sie erledigt. Auf eine Strafverfolgung verzichtete sie.

Gegen die fristlose Kündigung reichte der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht ein. Die Sache ging bis zum BAG.

Kläger hat die Frau zum Sexualobjekt erniedrigt

Das BAG stellte grundsätzlich klar dass eine sexuelle Belästigung prinzipiell einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstelle.

Jede sexuelle Belästigung ist Verletzung des Arbeitsvertrags

  • Gemäß §§ 3 Abs. 4, 7 Abs. 3 AGG Stelle jede sexuelle Belästigung eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar.
  • Sowohl die verbalen Äußerungen des Klägers als auch die körperliche Berührung an der Brust erfüllten grundsätzlich diese Voraussetzungen (BAG, Urteil v. 9.6. 2011, 2 AZR 323/10).

Bereits die Bemerkung über den schönen Busen der Frau  sei kein sozial adäquates Kompliment sondern eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. Mit der von der Frau nicht gewünschten Berührung ihrer Brust habe der Kläger die Würde der Frau verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt, § 3Abs. 4 AGG.

Fristlose Kündigung war dennoch nicht verhältnismäßig

Dennoch ist nach dem BAG unter Abwägung der gesamten Umstände des Einzelfalls und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes davon auszugehen, dass trotz dieser erheblichen Pflichtverletzung die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumutbar gewesen wäre.

Es gab mildere Alternativen als Reaktionsmöglichkeiten

Eine außerordentliche Kündigung komme nur dann in Betracht, wenn es für den an dem Arbeitgeber keinen anderen angemessenen Weg gebe, das Arbeitsverhältnis zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Dies sei dann der Fall, wenn mildere Reaktionsmöglichkeiten nicht zumutbar seien und wenn durch die milderen Alternativen,

  • z.B. einer ordentlichen Kündigung,
  • einer Versetzung
  • oder auch einer Abmahnung

die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses nicht erreichbar seien (BAG, Urteil v. 13.10.2014, 2 AZR 865/13; BAG, Urteil v. 25.10. 2012, 2 AZR 495/11).

Busengrapschen als einmaliges Augenblicksversagen

Nach Auffassung des BAG, hatte das LAG in der Berufungsinstanz die Interessenabwägung rechtsfehlerfrei vorgenommen und die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen.

Das bisherige Verhalten des langjährigen Mitarbeiters sowie auch sein Verhalten nach der Tat ließen den Schluss zu, dass es sich bei seiner für ihn untypischen Handlungsweise um einen Black-Out oder um ein Augenblicksversagen gehandelt habe. Aufgrund des langjährigen Gesamtverhaltens des Klägers und auch seines Verhaltens nach der Tat spreche nichts dafür, dass in Zukunft mit ähnlichen Belästigungen seitens dieses Arbeitnehmers zu rechnen sei.

Nicht mit den Fällen notorischer Belästiger vergleichbar

In einer von der Arbeitgeberin herangezogenen Entscheidung des BAG, in welcher die sexuelle Belästigung als hinreichender Kündigungsgrund angesehen worden war, habe es sich um einen notorischen Belästiger gehandelt, der Mitarbeiterinnen über mehrere Tage in immer neuen Varianten sexuell belästigt habe. Dieser Fall sei daher mit dem hier zur Entscheidung stehenden Fall nicht vergleichbar (BAG, Urteil v. 9.6.2011, 2 AZR 323/10).

Unter Abwägung der Gesamtumstände kommt das BAG zu dem Ergebnis, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte, um ähnliche Belästigungen künftig auszuschließen

(BAG, Urteil v. 20.11.2014, 2 AZR 651/13).

BAG schützt den Täter und nicht das Opfer 

Nicht nur unter Feministinnen hat das Urteil einen hörbaren Aufschrei ausgelöst. Die Redakteurin von „ZEIT ONLINE“, Tina Groll, hält die Entscheidung des BAG für eine Verharmlosung von Sexualtätern. Das Urteil des BAG schütze die Täter nach dem Motto „Einmal ist keinmal“. Das Gericht setze damit eine fatale Rechtsprechung in Gang, die die abschreckende Wirkung der Sanktionen bei sexuellen Übergriffen deutlich relativierte. Opfer müssten in Zukunft befürchten, bei ihrer täglichen Arbeit mit ihren Belästigern weiter zusammenarbeiten zu müssen. Gerichte dürften sich nicht auf die Seite der Täter, sondern sie müssten auf die Seite der Opfer stellen.

„Einmal ist keinmal“?

Der Hinweis der Redakteurin auf eine Relativierung des Unrechtsbewusstseins potentieller Belästiger ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings darf auch nicht verkannt werden, dass das BAG im konkreten Fall - nicht zuletzt unter Berücksichtigung des Anschlussverhaltens des Täters -, lediglich das scharfe Schwert der fristlosen Kündigung für unverhältnismäßig erklärt, gleichzeitig aber die Verwerflichkeit und Rechtswidrigkeit des übergriffigen Verhaltens als eindeutige Rechtsverletzung herausgestellt hat.