Anwaltsvertrag hat nur ausnahmsweise drittschützende Wirkung

Entfaltet der Anwaltsvertrag Schutzwirkung gegenüber Dritten? Wann bestehen für den Rechtsanwalt Beratungspflichten gegenüber Personen im nahen Umfeld des Mandanten und in Bezug auf Ansprüche, die zwar nicht explizit Gegenstand des Mandats sind, aber dazu in Verbindung stehen? Ein BGH-Urteil zeigt dazu Kriterien auf.

Ein trauriges Familienschicksal war Ausgangspunkt des Rechtsstreit-Marathons, der schließlich vor dem BGH landete.

Schwerstbehinderung nach fremdverschuldetem Verkehrsunfall

Zwei Schwestern, damals neun und zwölf Jahre alt, fuhren mit ihrer Mutter im Pkw und gerieten in einen Verkehrsunfall. Verursacht wurde der Unfall von einem anderen Verkehrsteilnehmer. Während sie selbst nur leicht verletzt wurden, ist ihre Mutter seitdem schwerstbehindert, sitzt im Rollstuhl und ist dauerhaft pflegebedürftig.

Zehn Jahre Rechtsstreit um Schadensersatz als Unfallfolge

Nach dem Unfall beauftragte die Mutter zunächst eine Anwältin, kurz darauf den später von den Töchtern verklagten Anwalt mit der Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche gegenüber dem Unfallverursacher bzw. dessen Haftpflichtversicherung. Über zehn Jahre zogen sich die Rechtsstreitigkeiten hin und waren 2016 abgeschlossen.

Kinder wegen psychischer Spätfolgen des Unfalls in Behandlung

Kurz darauf erhoben die Schwestern, mittlerweile dann 19- und 22-jährig, Ansprüche gegen den Rechtsanwalt ihrer Mutter. Sie berichteten davon, dass sie sechs bzw. zehn Jahre nach dem Unfall psychotherapeutisch behandelt wurden bzw. – im Fall der jüngeren Schwester noch werden. Ihre desolate psychische Verfassung sei auf den Unfall und ihre starken Schuldgefühle gegenüber ihrer Mutter zurückzuführen.

Rechtsanwalt verklagt, weil er Töchter der Mandantin nicht auf eigene Ansprüche hinwies

Die jungen Frauen warfen dem Anwalt vor, dass er sie nicht auf ihre eigenen möglichen Ansprüche gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners aufmerksam gemacht hätte. Nun sei es zu spät, die Ansprüche seien verjährt. Daher wollten sie nun Schadensersatz vom Rechtsanwalt. Sie scheiterten in allen Instanzen.

Ausnahmsweise kann Anwalt über Mandatsverhältnis hinaus Pflichten haben

Grundsätzlich ist es möglich, dass ein Anwaltsvertrag auch ohne ausdrückliche Regelung Schutzwirkung zu Gunsten eines Dritten entfalten kann. Ob dem im Einzelfall so ist, entscheidet sich an dem vom BGH vorgegebenen Vier-Punkte-Kriterien-Katalog:

  1. Der Dritte muss mit der Hauptleistung des Rechtsanwalts bestimmungsgemäß in Berührung kommen (Leistungsnähe).
  2. Der Mandant muss ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Beratungsvertrags haben.
  3. Die Einbeziehung Dritter muss dem Anwalt bekannt oder zumindest erkennbar sein.
  4. Ausgeschlossen ist ein zusätzlicher Drittschutz, wenn der Dritte wegen des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts bereits selbst anderweitig beraten wird.

Für Anspruch der Schwestern fehlte es schon an der Leistungsnähe

An diesen Kriterien scheiterten die Schwestern gleich mehrfach. Der Auftrag des Anwalts durch die Mutter bezog sich auf deren Ansprüche auf Schmerzensgeld, Mehrbedarf, Verdienstausfall und Heilungskosten. Eine Leistungsnähe wurde für die persönlich nicht beteiligten Klägerinnen verneint. Ihre familiäre Verbundenheit und die Tatsache, dass sie bei dem Unfall mit im Auto saßen, änderten daran nichts.

Anwalt hatte keine Kenntnis von psychischen Problemen der Töchter

Zudem wusste der Anwalt gar nichts davon, dass die Töchter im Zusammenhang mit dem Unfall mehrere Jahre später psychologisch betreut wurden. Davon erfuhr er erst 2016 nach Abschluss seines Mandats mit der Mutter. Man mutete ihm auch nicht zu dies vorauszusehen, zumal die Mädchen ihr Leben im Griff hatten. So schien es zumindest nach außen. Sie schlossen nach dem Unfall die weiterführende Schule ab und nahmen Studiengänge auf.

(BGH, Urteil v. 9.7.2020, IX ZR 289/19).

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Hintergrund: Anwaltsvertrag

Der Anwaltsvertrag kommt nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln über den Vertragsschluss zustande. Vertragspartner sind in der Regel der Mandant und der Rechtsanwalt bzw. die von ihm vertretenen Rechtspersonen. Auch ein Vertrag zugunsten Dritter ist denkbar. Es handelt sich in den meisten Fällen um einen Dienstvertrag nach § 611 BGB. Gerade bei der Prozessvertretung haftet der Rechtsanwalt nicht für den Erfolg, sondern hat nur Pflichtverletzungen im Rahmen der Prozessführung zu vertreten. Aber auch ein Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB ist denkbar, wenn der Anwalt einen bestimmten Erfolg, wie etwa die Erstellung eines Gutachtens, schuldet.

Der Anwaltsvertrag ist nicht formbedürftig. Er kann auch konkludent geschlossen werden. So ist stets bei der Annahme einer Beratungsanfrage bereits der Vertragsabschluss erfolgt. Zu beachten ist aber, dass eine Gebührenvereinbarung nach § 3a RVG der Textform bedarf und nicht in der Vollmacht enthalten sein darf.
Der Rechtsanwalt ist bei der Annahme des Vertragsangebotes frei. Es ist also durchaus zulässig, die Annahme unangenehmer Mandate von der Zahlung einer überdurchschnittlich hohen Vergütung abhängig zu machen.

Die Gefahr einer Gebührenüberhebung nach § 352 StGB liegt nicht vor, wenn der Rechtsanwalt auf Grundlage einer Honorarvereinbarung abrechnet, selbst wenn diese deutlich über den gesetzlichen Gebühren liegt. Dies gilt sogar dann, wenn die Gebührenforderung dermaßen überhöht ist, dass sie nach § 138 BGB sittenwidrig ist. Bis zum fünf- bis sechsfachen der gesetzlichen Gebühren ist nicht von einer Sittenwidrigkeit auszugehen ( Beschluss der 51. Tagung der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern v. 24.9.2005). Auch ein Überschreiten dieser Grenzwerte ist noch zulässig, wenn sich aus Arbeitsaufwand und Stundenhonorar ein angemessenes Honorar ergibt.

Auch das Anbieten einer Erstberatung zum Nulltarif ist zulässig (BGH, Urteil v. 3.7.2017, AnwZ(Brfg)42/16).

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