Anwalt überließ bewährter Mitarbeiterin Unterschriftenkontrolle

Ein Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, gegenüber einer erprobten, stets zuverlässigen Mitarbeiterin durch Stichproben die Einhaltung seiner Allgemeinanweisung zur Ausgangskontrolle von Schriftsätzen auf das Vorhandensein einer ordnungsgemäßen Unterschrift zu überwachen.

In regelmäßigen Abständen muss sich der BGH mit der Versäumung von Rechtsmittelfristen infolge von Fehlern des Büropersonals von Anwälten befassen. In einem kürzlich vom BGH entschiedenen Fall ging es um die fehlende Unterschrift auf einem Antrag zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist.

Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ohne Unterschrift

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsstreit verlangte die Klägerin von der Beklagten einen sechsstelligen Betrag als Schadensersatz wegen behaupteter Mängel im Rahmen von Architektenleistungen. Das LG hatte die Klage abgewiesen. Gegen das klageabweisende legte die Klägerin Berufung ein. Die Berufung ging am letzten Tag der Berufungsfrist, dem 26.8.2019, bei Gericht ein. Mit Schriftsatz vom 25.9.2019, übersandt am gleichen Tag an das Gericht per Telefax, beantragte die Klägerin Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 24.10.2019. Der Verlängerungsantrag trug keine Unterschrift.

Antrag auf Wiedereinsetzung in vorigen Stand

Das Berufungsgericht wies die Klägerin auf diesen Mangel mit Verfügung vom 27.9.2019 hin. Hierauf beantragte die Klägerin wegen der versäumten Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und reichte gleichzeitig einen nunmehr unterschriebenen Schriftsatz mit einem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ein. Die Berufungsbegründung selbst ging am 24.10.2019 bei Gericht ein.

Einmaliger Fehler einer zuverlässigen Mitarbeiterin

Den Wiedereinsetzungsantrag begründete die Klägerin damit, die Fristversäumung beruhe auf einem Versehen der langjährigen und sonst zuverlässigen Kanzleiangestellten. Der Prozessbevollmächtigte habe seine Angestellte bereits am Beginn ihrer Tätigkeit allgemein angewiesen, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein einer Unterschrift zu überprüfen.

In ihrer fast dreijährigen Zugehörigkeit zur Kanzlei sei der Angestellten bei der Unterschrifts- und sonstigen Fristenkontrolle noch nie ein Fehler unterlaufen. Es handele sich daher um einen einmaligen Fehler einer ansonsten äußerst gewissenhaften Kanzleiangestellten.

Berufungsgericht rügt fehlende Kontrolle durch Stichproben

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig und wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück.

  • Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgetragenen Gründe seien für eine Wiedereinsetzung nicht hinreichend.
  • Das Berufungsgericht rügte das Fehlen einer Darlegung und Glaubhaftmachung der Überwachungs- und Kontrollmechanismen.

Der Prozessbevollmächtigte hätte nach Auffassung des Berufungsgerichts darlegen und glaubhaft machen müssen, dass er die Zuverlässigkeit seiner Kanzleiangestellten zumindest stichprobenartig überwacht. Eine Zugehörigkeit der Mitarbeiterin zur Kanzlei des Prozessbevollmächtigten von drei Jahren reiche nicht aus, um eine Ausnahme von der grundsätzlich bestehenden Pflicht zur stichprobenartige Überprüfung zu rechtfertigen.

BGH: Kontrollanforderungen in der Kanzlei dürfen nicht überspannt werden

Die gegen diese Entscheidung durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingelegte Rechtsbeschwerde hatte Erfolg. Nach Auffassung des BGH hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Anwalts überspannt. Dies verletze die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (BGH, Beschluss v. 16.11.2016, VII ZB 35/14; BVerfG Beschluss v. 9.10.2007, 1 BvR 1784/05).

Grundsatz der Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis ohne Verschulden

Nach der Bewertung des BGH enthält die Wiedereinsetzungsvorschrift des § 233 Satz 1 ZPO den Grundsatz, dass einer Partei, die ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Rechtsmittelfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH könne im Fall einer grundsätzlich fristgerechten Einreichung einer nicht unterzeichneten Rechtsmittelbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn der Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hat, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein einer Unterschrift zu überprüfen (BGH, Beschluss v. 15.7.2014, VI ZB 15/14; BGH, Beschluss v. 19.2.2020, XII ZB 458/19). Das gleiche müsse für einen Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist gelten, jedenfalls dann, wenn die Partei mit dessen Stattgabe rechnen durfte.

Unterschriftskontrolle darf zuverlässiger Bürokraft überlassen werden

Im Ergebnis enthält die Entscheidung des BGH den Grundsatz, dass Rechtsanwälte die Unterschriftenkontrolle einer sorgfältigen und als zuverlässig erprobten Bürokraft überlassen dürfen. Eine Pflicht zur stichprobenartige Überprüfung besteht nur dann, wenn die Bürokraft erst seit kürzerer Zeit beim Prozessbevollmächtigten beschäftigt ist (BGH, Beschluss v. 13.1.2016, XII ZB 653/14 - Beschäftigungszeit zwei Wochen).

Demgegenüber ist eine stichprobenartige Kontrolle dann entbehrlich und im Fall eines Fehlers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die betreffende Mitarbeiterin während einer bereits länger andauernden Tätigkeit bei der Fristenkontrolle und Unterschriftenkontrolle stets zuverlässig und fehlerfrei gearbeitet hat. Eine nahezu dreijährige Mitarbeit reicht zeitlich jedenfalls aus.

BGH gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Da der Anwalt im konkreten Fall außerdem darauf vertrauen durfte, dass das Gericht seinem erstmaligen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist aus dem von ihm vorgetragenen Gründen (außergewöhnliches Arbeitsaufkommen, Erfordernis weiterer Gespräche mit den Beteiligten) stattgeben würde, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Auffassung des BGH hinreichend begründet. Der BGH gewährte daher die beantragte Wiedereinsetzung.

(BGH, Beschluss v. 2.7.2020, VII ZB 46/19)


Hintergrund: Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung

Einer Partei ist nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten.

  • Verschulden des Anwalts ist der Partei wie ihr wie eigenes zuzurechnen.
  • Lediglich Verschulden des Büropersonals,
  • welches nicht auf einem Organisationsverschulden des Anwalts beruht, hat die Partei nicht zu vertreten.

Zu unterscheiden ist also einerseits zwischen Organisationsmängeln, die einem Rechtsanwalt und dem von ihnen Vertretenen als Verschulden zuzurechnen sind, und nicht zurechenbaren Büroversehen andererseits. Wird ein nicht zurechenbares Büroversehen geltend gemacht, gehört zum schlüssigen Vortrag der Wiedereinsetzungsgründe auch die Darlegung, warum ein Organisationsverschulden auszuschließen ist. Es müssen also Organisationsmaßnahmen vorgetragen werden, die den konkreten Fehler als Büroversehen erkennen lassen.

Der Wiedereinsetzungsantrag bedarf einer Begründung dergestalt, dass den mitgeteilten Tatsachen die unverschuldete Verhinderung des Betroffenen und Antragstellers an der Fristversäumung entnommen werden kann. Aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten Garantie des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs dürfen die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung jedoch nicht überspannt werden (BVerfGE 26, 315).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium