Anspruch auf Abi-Lösungen nach dem Informationsfreiheitsgesetz

Einsicht in die Musterlösung forderte ein Schüler aus Münster vom zuständigen Prüfungsamt in NRW. Es scheint absurd, aber der Schüler hat das Gesetz auf seiner Seite – glaubte er zumindest. Inzwischen ist der pfiffige Schüler zum Medienstar avanciert.

Einsicht in die Musterlösung schon vor dem Examen – davon hat schon so mancher Jurist oder Medizinstudent geträumt. Der Schüler Simon Schräder aus Münster hat vier Wochen vor der ersten Abiprüfung beim Schulministerium NRW einen Antrag gestellt, ihm Einsicht in die „Aufgaben der zentral gestellten Abiturklausuren in der Oberstufe der Gymnasien im aktuellen Schuljahr“ zu gewähren.

Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz

Er beruft sich auf die Vorschriften des IFG NRW (Informationsfreiheitsgesetz), das zum Zwecke der Transparenz der Verwaltung dem Bürger ein Recht zur Einsicht in Behördenunterlagen gewährt.

Transparenz der Behörden als Gebot des Rechtsstaates

Die Idee des Schülers war pfiffig, sein Schuldirektor ihm bereits dazu gratuliert.

  • Das IFG NRW gewährt jeder Person einen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.
  • Eine Begründung des Anspruchs oder die Darlegung besonderer Interessen sind nicht erforderlich.

Das Gesetz beruht auf der Vorstellung, dass Behörden grundsätzlich verpflichtet sind, Transparenz hinsichtlich verwaltungsrechtlicher Vorgänge für den Bürger zu schaffen, was diesem im Umkehrschluss ein Recht auf freien Informationszugang zu behördlichen Vorgängen gewährt. Ähnliche Gesetze existieren im Bund (IFG Bund) sowie in einem Großteil der deutschen Bundesländer.

Jobcenter muss Telefonliste seiner Mitarbeiter herausgeben

In anderen Fällen hat die Berufung auf das IFG bereits zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt. In Leipzig hatte eine Jobsuchende den Wunsch, sich unmittelbar mit den Mitarbeitern des Jobcenters in Verbindung setzen zu können. Auf den Prospekten des Jobcenters sowie im Internet fand sie jedoch nur die zentrale Telefonnummer. Ihr Sachbearbeiter war nicht bereit, ihr seine direkte Durchwahl zu geben.

Beim VG reichte sie Klage ein mit dem Antrag, ihr Zugang zur Diensttelefonliste des Jobcenters zu gewähren – und sie hatte Erfolg. Das VG verurteilte das beklagte Jobcenter, der Klägerin die aktuelle Diensttelefonliste zugänglich zu machen und begründete den Anspruch mit § 1 IFG (Bund). Das Gericht wies darauf hin, der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen richte sich nicht nur gegen unmittelbare Bundesbehörden, sondern gegen alle Bundesorgane und Einrichtungen, die öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Telefonnummern seien amtliche Informationen im Sinne von § 2 Nr.1 IFG. Ausschlusstatbestände seien nicht ersichtlich (VG Leipzig, Urteil v.10.1.2013, 5 K 981/11). Allerdings kann der einzelne Bürger keinen Anspruch auf Veröffentlichung solcher Informationen für die Allgemeinheit geltend machen (VG Düsseldorf, Urteil v.  27.11.2012, 26 K 2100/12 ).

Kein Anspruch auf Telefonliste von Richtern

Was für Mitarbeiter einer Behörde gilt, gilt aber offensichtlich nicht für Richter. Das OVG- NRW versagte einem Kläger die Herausgabe der Durchwahlnummern aller Richter und Richterinnen des VG Aachen. Gemäß § 6 Satz 1a IFG NRW sei der Informationsanspruch ausgeschlossen, wenn hierdurch die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen gefährdet wird. Diese Vorschrift sei hier einschlägig - so das OVG - denn der Arbeitsablauf der am VG tätigen Richter würde erheblich gestört, wenn Bürger ziellos Richter direkt anwählen könnten, um dort ihr Anliegen vorzubringen. Für die Funktionsfähigkeit eines Gerichts sei es erforderlich, dass über eine zentrale Telefonstelle Anrufe sortiert und in die richtigen Bahnen gelenkt würden (OVG NRW, Urteil v.  6. 5. 2015, 8 A 1943/13).

Der Bundestag auf der Suche nach extraterrestrischen Lebensformen

Ein Bundesbürger zeigte Interesse für die Fortschritte des Bundestags bei der Suche nach außerirdischem Leben. Er interessierte sich für eine Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags vom 25.11.2009 mit dem Titel: “Die Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der VN-Resolution A/33/426 zur Beobachtung unidentifizierte Flugobjekte und extraterrestrischen Lebensformen“.

Als ihm die Einsichtnahme verweigert wurde klagte er beim zuständigen VG. Nachdem er dort zunächst Erfolg hatte, wies das OVG Berlin die Klage ab mit der Begründung, dass die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags bei der Erstellung von Ausarbeitungen für Abgeordnete keine Verwaltungsaufgaben im materiellen Sinne wahrnähmen und deren Tätigkeit damit nicht unter den Anwendungsbereich des IFG falle (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 13.11.2013, 12 B 3/12).

Einsicht in die Musterklausuren erst nach dem Abi

Der Anspruch der Bürger auf Informationsfreiheit treibt mitunter skurrile Blüten. Der Abiturient aus Münster hat inzwischen sein Abitur bestanden, auch ohne vorherige Einsichtnahme in die Prüfungsunterlagen. Das Schulministerium - ob des Presserummels um die Anfrage leicht genervt – beschied die Anfrage des Schülers ironisch-sophistisch:

  • Selbstverständlich sei man bereit, dem Informationsverlangen des Schülers Rechnung zu tragen,
  • allerdings „frühestens am ersten Werktag nach Abschluss des gesamten Abiturverfahren 2015“.
  • Bei einer früheren Herausgabe – so die überraschende Argumentation des Ministeriums – wäre der ordnungsgemäße Verfahrensablauf des Abiturs erheblich gefährdet, so dass eine Herausgabe zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich sei. 

Die Aktion sollte Anreize zur Informationsbeschaffung setzen

Das Ministerium rügte augenzwinkernd den Umstand, dass der Abiturient die Anfrage unter einem Pseudonym gestellt hatte und bat, in Zukunft Anfragen unter dem korrekten Namen zu stellen.

Eines hat der pfiffige Schüler ebenfalls erreicht: Schräder engagiert sich für die Organisation „Open Knowledge Foundation Deutschland“, die sich für Transparenz staatliches Handelns einsetzt und Bürgern bei der Stellung von Anfragen an staatliche Stellen hilft. Der Bekanntheitsgrad dieser Organisation wurde durch die Aktion deutlich gesteigert. Die Zahl der Klicks auf der von der Organisation betriebenen Homepage „fragdenstaat.de“ haben sich seitdem vervielfacht.

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