Der Koalitionsvertrag - wie sehen die Details aus?

Die zukünftige Ampelkoalition plant neben ihren Schwerpunkten Umwelt, Klima, Digitalisierung und Wohnraum eine Reihe weiterer Rechtsreformen: Hierzu gehören weitreichende Änderungen im Familienrecht, Ausweitungen des kollektiven Rechtsschutzes und bei Legal Tech, mehr Verbraucherschutz sowie Reformen im Straf- und Strafprozessrecht.

Die künftige Koalition plant nichts weniger als einen Aufbruch für Deutschland in den unterschiedlichsten Gebieten des gesellschaftlichen Lebens. Hierzu enthält der Koalitionsvertrag eine lange Reihe von gesetzgeberischen Reformvorhaben.

Mehr Effizienz bei Genehmigungen - auch durch weniger rechtlichen Einspruchsmöglichkeiten

Nicht zuletzt durch einen kompletten Neustart in die Digitalisierung soll staatliches Handeln schneller und effektiver werden. Das beinhaltet neben einer Modernisierung der Verwaltung eine Straffung der Planungsgenehmigungsverfahren. Die Verfahrensdauer soll mindestens halbiert werden. Sämtliche Gesetze sollen einen Digitalisierungscheck unterzogen werden. Dies erfordert Änderungen in den unterschiedlichsten öffentlich-rechtlichen Gesetzen, die diese Genehmigungsverfahren regeln. Im Endeffekt dürfte die gewünschte Straffung nur durch Reduzierung der rechtlichen Einspruchsmöglichkeiten zu erreichen sein, was noch zu erheblichen Widerständen der unterschiedlichen Interessengruppen führen dürfte.

Ökologischer Wandel im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft

Die künftige Koalition will bei allen Maßnahmen das 1,5° Ziel des Pariser Klimaabkommens im Auge behalten. Zu diesem Zweck sollen der Ausbau erneuerbarer Energien drastisch beschleunigt und insbesondere verfahrensrechtliche Hemmnisse und Hindernisse aus dem Weg geschaffen werden. Genehmigungsverfahren sollen erheblich beschleunigt werden. Sämtliche geeigneten Dachflächen sollen künftig für Solarenergie genutzt werden. Bei gewerblichen Neubauten soll dies verpflichtend, bei privaten Neubauten die Regel werden.

Deutlicher Windkraftausbau, Förderung der Biodiversität

2 % der Landesfläche sollen für Windkraft ausgewiesen werden der Ausstieg aus der Kohleförderung soll bis 2030 (bisher 2038) gelingen. Hierdurch wirtschaftlich benachteiligte Regionen sollen durch ein Strukturstärkungsgesetz unterstützt werden. In diesem Kontext soll die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis soll so schnell wie möglich beendet werden.

Artensterben und Verlust der Biodiversität soll gestoppt werden. Hierzu sollen wirksame Maßnahmen zum Schutz der Natur durch Unterstützung der Landwirtschaft zu einer nachhaltigen und umweltverträglichen Bewirtschaftung der Nutzflächen sowie einer tiergerechten Nutztierhaltung ergriffen werden.

Erhöhung des Anteils der Elektrofahrzeuge

Ab 2035 nur noch CO2-neutral Fahrzeuge zugelassen werden. Deutschland soll Leitmarkt für Elektromobilität werden. Bis zum Jahr 2030 soll die Zahl der Elektroautos in Deutschland auf ca. 15 Millionen erhöht werden Der Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur soll massiv beschleunigt werden. Ein generelles Tempolimit wird nicht kommen, der ÖPNV soll massiv ausgebaut und unterstützt werden.

Verbesserte Lebensbedingungen in Stadt und Land

Lebensbedingungen in Stadt und Land sollen verbessert werden. Mit Fokus auf das Wohnen in der Stadt sollen Mieterhöhungen weiterhin gedeckelt bleiben (Verlängerung der Mietpreisbremse). Das Leben auf dem Land soll durch schnelles Internet, gute Verkehrsanbindungen, verbessertes Einkaufen an Attraktivität gewinnen. Hierbei soll auch die Infrastruktur der östlichen Bundesländer entsprechend verbessert werden.

Reform des Familienrechts geplant

Die Koalition plant im Rahmen ihres gesellschaftlichen Aufbruchs die Reform mehrerer Bereiche des Familienrechts.

Kleines Sorgerecht für soziale Eltern

Der Koalitionsvertrag sieht ein neues Rechtsinstitut des kleinen Sorgerechts für soziale Eltern vor. Das kleine Sorgerecht soll im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei Erwachsene übertragen werden können.

Neues Rechtsinstitut: Verantwortungsgemeinschaft

Mit dem neuen Rechtsinstitut der „Verantwortungsgemeinschaft“ wollen es die Koalitionäre zwei oder mehreren volljährigen Personen ermöglichen, gegenseitig die rechtliche Verantwortung füreinander zu übernehmen. Damit soll unabhängig von Ehe und Lebensgemeinschaft Personen die Möglichkeit eingeräumt werden, eine rechtliche Verbindung zu schaffen, die gegenseitige, rechtlich verbindliche Verantwortlichkeiten begründet. Nähere Einzelheiten zur Ausgestaltung enthält der Koalitionsvertrag noch nicht.

Neues Planungsinstrument schon vor der Schwangerschaft

Paare mit Kinderwunsch sollen künftig ein neues Planungsinstrument erhalten. Mit einer Neuregelung zur elterlichen Sorge und zum Unterhalt soll es künftigen Eltern schon vor der Empfängnis ermöglicht werden,

  • Vereinbarungen zur rechtlichen Elternschaft,
  • zur elterlichen Sorge,
  • zum Umgangsrecht und
  • zum Unterhalt

zu treffen. Daneben soll eine Bestimmung ins Gesetz aufgenommen werden, wonach die Ehe nicht mehr als ausschlaggebendes Kriterium bei einer Adoption minderjähriger Kinder gilt.

Die partnerschaftliche Kinderbetreuung soll gestärkt werden

Die Koalition will die rechtlichen Bedingungen für eine am Kindeswohl orientierte partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder auch nach Trennung und Scheidung der Eltern schaffen. Hierzu sind Änderungen sowohl im Sozial- und Steuerrecht als auch im Unterhaltsrecht geplant. Ergänzend sollen Kinder die Möglichkeit erhalten, ihre Abstammung in einem statusunabhängigen Feststellungsverfahren zu klären, ohne die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen.

Weinendes Baby in Bettchen

Modernisierung des Kindschaftsrechts

Die Koalitionäre planen verschiedene Änderungen im Kindschaftsrecht. Kinder sollen ein eigenständiges Recht auf Umgang mit ihren Großeltern und Geschwistern erhalten. Auch in familiengerichtlichen Verfahren soll der Schutz der Kinder durch eigenständige Rechtspositionen gestärkt werden.

Verbesserter Verbraucherschutz

Neue Verbraucherschutzstandards sollen den Verbraucherschutz erhöhen. In diesem Kontext soll

  • die Information der Verbraucher verbessert werden, bei Verbraucherkrediten soll das Schutzbedürfnis der Verbraucher besser berücksichtigt werden.
  • Der Schutz vor Überschuldung durch nicht marktgerechte Zinsen und Wucher
  • sowie der Schutz gegen irreführende Werbung soll verstärkt werden.
  • Die Schuldner-Insolvenzberatung soll ausgebaut werden.
  • Die Verbraucher sollen bei bestimmten Produkten ein Recht auf Reparatur erhalten.
  • Abo-Verträge müssen künftig immer auch mit einer Mindestlaufzeit von höchstens einem Jahr angeboten werden.
  • Für telefonisch geschlossene Verträge wird eine neue Bestätigungslösung eingeführt

Stärkung des kollektiven Rechtsschutzes

Der kollektive Rechtsschutz soll durch einen Ausbau der Instrumente für gemeinsame Verbraucherschutzklagen (Musterfeststellungsklage) verbessert werden.

Statue Justitia

Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems

Im Strafrecht steht besonders das Sanktionensystem im Fokus. Die Bestimmungen zum Maßregelvollzug, zu Bewährungsauflagen und zu den Ersatzfreiheitsstrafen sollen unter den Gesichtspunkten Prävention und Resozialisierung komplett überarbeitet werden. Änderungen im Strafprozessrecht sollen zu effektiveren und schnelleren Verfahren führen. Beschuldigte erhalten ein Recht auf Verteidigung mit Beginn der ersten Vernehmung.

400.000 neue Wohnungen jährlich

Die Koalition plant eine Offensive für bezahlbares und nachhaltiges Bauen und Wohnen. 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen sind das Ziel. Hierzu soll ein eigenständiges „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ gegründet werden.

Mehr Rechtsstaat und Stärkung der Demokratie

Die Demokratie soll insgesamt gestärkt werden. Das Parlament als Ort der Debatte und Gesetzgebung soll stärker in den Fokus rücken. Der Bürgerdialog soll über neue Instrumente wie Bürgerräte forciert werden, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben.

Modernisierung der Arbeitswelt

Die Koalition plant eine Flexibilisierung der Arbeitswelt unter Beibehaltung der historisch gewachsenen Sozialpartnerschaft. In der Praxis bedeutet dies die Einführung flexiblerer Arbeitszeitmodelle, eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, den Abbau gesetzlicher Regelungen, die die Aufnahme versicherungspflichtiger Beschäftigung erschweren. Die Einnahmegrenze für Minijobs wird auf 520 Euro erhöht.

Modernisierung des Unternehmensrechts

Gründungen von Gesellschaften sollen künftig erleichtert werden. Hierzu wollen die Koalitionäre die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts vorantreiben und Beurkundungen per Video-Kommunikation auch bei Gründungen und weiteren Beschlüssen gestatten. Auch Online-Hauptversammlungen sollen Aktiengesellschaften künftig unter noch zu definierenden Sicherheitsvorkehrungen erlaubt werden. Die Koalitionäre wollen umgehend die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel umsetzen.

Ausweitung von Legal-Tech

Die Koalitionäre wollen den Rechtsrahmen für Legal-Tech-Unternehmen erweitern. Hierzu sollen künftig klare Qualitäts- und Transparenzanforderungen definiert werden. Zum Zweck des Nachteilsausgleichs für Rechtsanwälte ist geplant, das Verbot von Erfolgshonoraren für die Rechtsanwaltschaft zu liberalisieren. Das Fremdbesitzverbot wollen die Koalitionäre überprüfen. Die Vorkehrungen gegen den Missbrauch von Kostenerstattungen bei Abmahnverfahren nach dem UWG sollen verbessert werden.

Künftig teilkapitalgedeckte Rentenversicherung

Die Rentensicherung soll generationengerecht erfolgen. Im Jahr 2022 wird der Rentenversicherung aus Haushaltsmitteln ein Kapitalstock von 10 Milliarden zugeführt, das bedeutet den Einstieg in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente. Die Koalitionäre schließen Rentenkürzungen und die Anhebung des Renteneintrittsalters aus.

Einführung des Bürgergeldes

Das Bürgergeld wird zukünftig die Grundsicherung ablösen. Die Einzelheiten, insbesondere die Bemessung sowie die erlaubten Zuverdienstmöglichkeiten werden noch geprüft.

Vorsorgeprinzip in der Gesundheitspolitik

In der Gesundheitspolitik sollen Vorsorge und Prävention zum Leitprinzip werden. Die Koalitionäre planen die Verbesserung einer verlässlichen gesundheitlichen Versorgung vor allem auf dem Land. Das System der Fallpauschalen zur Krankenhausfinanzierung soll weiterentwickelt werden. Außerdem wollen die Koalitionäre eine Offensive für mehr Pflegepersonal starten.

Corona-Bund-Länder-Krisenstab

Die Koalition will einen Corona-Krisenstab einrichten zur Bewältigung der Pandemie. Ein wissenschaftlicher Beirat soll der Regierung tägliche Berichte zur Lage der Pandemie erstatten. Die Impfkampagne soll ausgeweitet werden unter Einbeziehung der Apotheken. Daneben stellt die Regierung 1 Milliarde Euro für eine Bonuszahlung für Pflegekräfte zur Verfügung. Für Pflegeeinrichtungen soll eine einrichtungsbezogene Impfpflicht eingeführt werden. Eine mögliche Ausweitung der Impfpflicht soll geprüft werden.

Stopp der Kinderarmut

Kinderarmut soll gestoppt werden. Mittel hierzu sind eine Neujustierung der Familienförderung, die Einführung eines Kindergrundsicherungsmodells, eine bessere Förderung von Kitas und Schulen sowie die Digitalisierung des Bildungswesens.

Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft

Durch Digitalisierung, durch Startup- und Gründerförderung will die Koalition insbesondere mittelständische Unternehmen durch zukunftsorientierte Rahmenbedingungen fördern.

Umfangreiche Gesetzesänderungen geplant

Zu den geplanten, umfangreichen Gesetzesänderungen gehören

  • eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts,
  • die Reform des Familienrechts,
  • eine Reform des Abstammungsrechts,
  • eine Reform des Transsexuellengesetzes und
  • der Regelungen zur Reproduktionsmedizin.

Die Regelungen sollen der gesellschaftlichen Realität angepasst werden. Das Staatsangehörigkeitsrecht soll die Einwanderung von Fachkräften praxisnäher ausgestalten. Die Integrationsmöglichkeiten für Menschen mit Migrationshintergrund sollen verbessert werden. Integrierten Personen soll schneller ein rechtssicherer Aufenthaltsstatus eingeräumt werden.

3,5 % des Bruttosozialproduktes für Forschung und Entwicklung

Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung soll auch durch eine Erhöhung der Investitionen in Bildung und Forschung gestärkt werden. Das Ziel der künftigen Koalition wird es sein, einen Betrag in Höhe von 3,5 % des Bruttosozialproduktes in Forschung und Entwicklung zu stecken.

Stärkung der inneren Sicherheit

Mehr Sicherheit soll durch Verbesserung der Ausbildung der Polizei und durch bessere Strukturen zur Abwehr von Cyberrisiken erreicht werden. Ein weiterer Fokus gilt dem Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus Islamismus und Linksextremismus.

Mehr Gleichberechtigung

Die Koalition beabsichtigt die Benachteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt weiter zurückzudrängen. Das Prinzip der Lohngleichheit soll wirksam vorangebracht werden.

Wahlalter wird auf 16 Jahre gesenkt

Im Lastenheft der Koalition steht auch die bisher mehrfach gescheiterte Überarbeitung des Wahlrechts mit dem Ziel der Verhinderung des ungebremsten Anwachsens des Deutschen Bundestags. Das Wahlalter soll daneben auf 16 Jahre gesenkt werden.

Europapolitische Ziele

Die Handlungsfähigkeit und Demokratisierung der EU soll vorangetrieben werden. Hierbei gilt ein besonderer Fokus der Erreichung des Ziels der Klimaneutralität und der Umsetzung des Green Deal.

Reform des Einwanderungsrechts

Die neue Regierung will ihre humanitäre Verantwortung die sich aus dem Grundgesetz, der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der EMRK ergibt, wahrnehmen. Das Sterben und Leiden auf dem Mittelmeer sowie an den europäischen Außengrenzen soll beendet werden. Für Asylsuchende sollen legale Wege der Grenzüberschreitung geschaffen werden. Abkommen mit Drittstaaten sollen die Maßnahmen flankieren.

Verbesserung der Ausrüstung der Bundeswehr

Die Koalitionäre wollen die Ausrüstung der Bundeswehr verbessern und auf den neuesten Stand bringen. In diesem Kontext soll das Prinzip der inneren Führung gestärkt werden.

Legalisierung von Cannabis

Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen in den Medien viel diskutiert ist die beabsichtigte Legalisierung von Cannabis. Diese steht weiterhin auf dem Plan, die Umsetzung im einzelnen ist jedoch noch unklar.

Streichung des § 219a StGB

Die Streichung des § 219a StGB, der Norm, die die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, soll die missglückte Reform von 2019 abändern. Zum Thema informierende Ärzt:nnen wurden weiter kriminalisiert. Das sorgte für Rechtsunsicherheit, schwächte die ärztliche Berufsfreiheit und erschwerte Frauen den Zugang zu Informationen.

Die Parteien müssen noch zustimmen

Auf insgesamt ca. 170 Vertragsseiten hat sich die künftige Koalition eine Menge vorgenommen. Die einzelnen Vorhaben des Koalitionsvertrages werden zu ihrer Umsetzung umfangreiche Gesetzesänderungen sowie gesetzliche Neuregelungen erforderlich machen. Dies bedeutet nicht nur für den Gesetzgeber, sondern in der Folge auch für die Verwaltung und nicht zuletzt für die Justiz erhebliche Anstrengungen. Zur endgültigen Bildung einer Regierungskoalition ist jetzt nur noch die Zustimmung der Parteien erforderlich - und die erscheint als nicht unwahrscheinlich.

Der Koalitionsvertrag

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