Der Zumutbarkeitsbegriff der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld nach dem SGB III und der nach dem SGB II für den Anspruch auf Bürgergeld sind nicht identisch. Sie haben unterschiedliche Strukturen und es sind andere Maßstäbe anzuwenden.

Bei der Grundsicherungsleistung gehört die Zumutbarkeit (anders als beim Arbeitslosengeld) strukturell nicht zu den zu prüfenden Voraussetzungen. So sind Arbeitslosigkeit und Verfügbarkeit keine Voraussetzungen beim Bürgergeld.

1.1 Wichtiger Grund

Erst bei der Ablehnung einer vom Jobcenter angebotenen Beschäftigung, der Beendigung einer Beschäftigung usw., ist unter dem Rechtsbegriff des wichtigen Grundes zu prüfen, ob der leistungsberechtigten Person die Beschäftigung möglicherweise nicht zumutbar war oder ein anderer wichtiger Grund für die Ablehnung oder Beendigung der Arbeit vorlag. Das Ergebnis dieser Prüfung kann grundsätzlich eine Sanktion sein.

Bis zum 31.7.2023 ist die Regelung zu den Sanktionen aber vollständig ausgesetzt.[1]

1.2 Kinderbetreuung

Deshalb muss beim Angebot einer Beschäftigung geprüft werden, ob diese angesichts der Betreuungspflichten zumutbar ist.

Nach der Formulierung in § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist im Regelfall eine Beschäftigung nicht zumutbar, wenn ein bis 3-jähriges Kind zu betreuen ist. Dies können eigene oder Kinder des Partners sein. Zu den Kindern zählen auch Adoptivkinder, Pflege- oder Enkelkinder.

Sind in einer Bedarfsgemeinschaft gleichzeitig 2 Partner hilfebedürftig, so können sich nicht beide gleichzeitig darauf berufen, wegen der Betreuung der Kinder nicht arbeiten zu können.

Während einer Schwangerschaft ist das Ausüben einer Beschäftigung im Rahmen der gesetzlichen Schutzvorschriften zumutbar.

 
Hinweis

Keine Leistungsminderungen, aber Einladung zur Beratung unbedingt folgen

Die Annahme von Beschäftigungen kann nicht mit der Androhung von Leistungsminderungen gefordert werden, wenn ein zu betreuendes Kind das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Allerdings kann in Beratungen darüber gesprochen werden, ob durch Kombination einer Beschäftigung mit gleichzeitiger Inanspruchnahme einer Betreuungseinrichtung für das Kind eine Beschäftigung möglich ist. Insbesondere soll sich um die berufliche Eingliederung nicht erst nach Ablauf der ersten 3 Lebensjahre des Kindes gekümmert werden. Gerade im Rahmen des Fachkräftemangels sollen auch diese Personen angesprochen und je nach Möglichkeit auf freiwilliger Basis aktiviert werden. Wenn das Jobcenter deshalb zur Beratung einlädt, muss dieser Einladung gefolgt werden. Sanktionen (10 % Kürzung des Regelbedarfs) sollen beim Bürgergeld vermieden werden. Eine Verpflichtung, ein entsprechendes Stellenangebot auch anzunehmen, ist damit nicht verbunden, soweit die Arbeit nicht zumutbar wäre.

Ist das Kind älter, so ist eine Beschäftigung zumutbar, die sich mit der möglichen Unterbringung des Kindes in einer Betreuungseinrichtung kombinieren lässt. Dies gilt beispielsweise für Halbtagsbeschäftigungen, wenn das Kind vormittags den Kindergarten oder die Schule besucht. Auch ganztags, wenn das Kind ganztägig in einem Hort untergebracht ist. Im Sinn des ganzheitlichen Lösungsansatzes, wie er vom SGB II zu bilden ist, wäre eine solche Beschäftigung zusammen mit dem entsprechenden Betreuungsplatz des Kindes anzubieten.

Gesetzliche Formulierungen "in der Regel" werden in der Anwendung manchmal als absolute Grenzen gesehen. Dies ist jedoch falsch. Ein verhaltensauffälliges Kind könnte beispielsweise auch länger betreuungsbedürftig sein.

 
Hinweis

Antrag auf Bürgergeld unabhängig von Ablehnung des Antrags auf Arbeitslosengeld

Wurde ein Antrag auf Arbeitslosengeld wegen fehlender Verfügbarkeit aufgrund der Betreuung von Kindern abgelehnt (wegen Kindererziehung kann keine Beschäftigung von 15-Wochenstunden ausgeübt werden), kann sehr wohl ein Antrag auf Bürgergeld Erfolg haben.

1.3 Entgelthöhe

Eine Beschäftigung zu untertariflichen Bedingungen ist für tarifgebundene Arbeitnehmer im Bereich des SGB III nicht zumutbar. Bei Beziehern von Bürgergeld gilt jedoch eine Beschäftigung auch mit einem Entgelt von 70 % des Tariflohns oder eines ortsüblichen Entgelts als zumutbar. Denn bis zu dieser Grenze gelten Entgelte noch nicht als sittenwidrig.

Seit dem Mindestlohngesetz (MiLoG) gilt für eine Regel-Beschäftigung der gesetzliche Mindestlohn (seit 1.10.2022 12 EUR). Aus Gründen der Gesetzmäßigkeit darf ein Jobcenter keine Beschäftigungen anbieten, die diese Regelung unterläuft. Gegen einen Arbeitgeber, der den Mindestlohn rechtswidrig nicht zahlt, könnten sich auch Anspruchsübergänge oder Ersatzansprüche[1] ergeben, weil sich die Hilfebedürftigkeit zwischen dem gezahlten Entgelt und dem Mindestlohn nur aus dem vorenthaltenen Entgelt ergibt.

Die in § 22 Abs. 1 bis 4 MiLoG genannten Ausnahmen von der Mindestlohnpflicht sind hiervon nicht betroffen.

Ein Nachteil aus der Zumutbarkeit eines noch nicht sittenwidrigen Entgelts (70 % des Tariflohns) könnte sich bei einer anschließenden Arbeitslosigkeit ergeben. Wurde wieder ein Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben (Anwartschaftszeit e...

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