Leitsatz

  1. Überwachung des Eingangsbereichs einer Wohnungseigentumsanlage durch Videokamera kann unter entsprechenden rechtlichen Einschränkungen im Einzelfall als ordnungsgemäße Verwaltungsmaßnahme zulässig sein
  2. Zwischen Schutzinteressen einer Gemeinschaft und den Eigentümerinteressen ist im Einzelfall eine Güterabwägung zu treffen (insbesondere unter Berücksichtigung des § 6b BDSG und des Art. 2 GG)
  3. Ein Beschlussinhalt auf Installierung einer solchen Videokamera erfordert insbesondere transparente Regelungen über Umfang von Aufzeichnungen, Dauer der Aufbewahrung und Zugriffe hieraus unter Hinweis auf eindeutig konkretisierten Überwachungszweck
  4. Ein Klageantrag auf Zustimmung zur Entfernung einer solchen Videoanlage (vorliegend verneint) kann als Minus im Sinne eines sofortigen Stilllegungsantrags ausgelegt und nach § 21 Abs. 8 WEG gerichtlich angeordnet werden
  5. Ein solcher Stilllegungsanspruch ist dann begründet, wenn sich die Geschäftsgrundlage für die Installierung der Videoanlage nach Willensentscheidung der Gemeinschaft geändert haben sollte, etwa im Sinne einer "schleichenden Erweiterung von Überwachungszwecken berechtigter oder unberechtigter Nutzung von Wohnungseigentum"
 

Normenkette

§§ 14 Nr. 1, 21 Abs. 4 und Abs. 8, 22 Abs. 1 WEG; § 6b BDSG; Art. 2 GG

 

Kommentar

  1. Leitsatz der Entscheidung:

    Der Eingangsbereich einer Wohnungseigentumsanlage kann mit einer Videokamera überwacht werden, wenn ein berechtigtes Überwachungsinteresse der Gemeinschaft das Interesse des einzelnen Eigentümers und von Dritten, deren Verhalten mitüberwacht wird, überwiegt und wenn die Ausgestaltung der Überwachung unter Berücksichtigung von § 6b BDSG inhaltlich und formell dem Schutzbedürfnis des Einzelnen ausreichend Rechnung trägt.

  2. Zum Sachverhalt:

    Am frisch renovierten Eingangsbereich eines Gebäudes kam es im Frühjahr 2008 zu einer Verunreinigung durch Farbanschlag. Im Mai 2008 beschloss die Gemeinschaft auch mit Zustimmung der Klägerseite, im Eingangsbereich eine Videoüberwachungsanlage zu installieren. Im Beschluss wurde bestimmt, dass "die Videodaten durch ein zertifiziertes Unternehmen ausgelesen werden, wenn 3 Eigentümer für ein- und denselben Vorgang mit Schadensfolge oder mit kriminellen Handlungen bei der Verwaltung oder direkt bei einem zugelassenen Unternehmen gemeldet werden". Laut Protokoll war es auch Wunsch der Gemeinschaft, die Anlage als "temporäre Lösung„ anzusehen. Anschließend kam es im Sommer 2010 zu einem aufgeklärten Fahrraddiebstahl; zu einem weiteren Diebstahl im Herbst 2010 wurden der Polizei Aufzeichnungen übergeben. In weiterer Versammlung im Mai 2010 wurde der klägerische Antrag, die Anlage abzubauen, mehrheitlich abgelehnt. Laut Protokoll der Versammlung wurde der Vorteil der Anlage darin gesehen, „einen Überblick wegen Prostitution und bordellartigem Betrieb zu haben". Der Negativbeschluss wurde angefochten; zusätzlich wurde klägerseits von den beklagten Eigentümern gefordert, der Entfernung der Anlage zuzustimmen.

    In den Vorinstanzen hatten die Anträge keinen Erfolg. Demgegenüber wurde im Revisionsverfahren vom BGH in einem entscheidenden rechtlichen Punkt eine andere Meinung vertreten.

  3. Zu Recht wurde allerdings vom Berufungsgericht der klägerische Anspruch auf Entfernung der Videoüberwachungsanlage verneint. Das bestehende Ermessen der Gemeinschaft war hier nicht darauf reduziert, nur eine Entfernung als ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechend anzusehen (vgl. BGH v. 9.3.2012, V ZR 161/11). Generell unzulässig ist der Einbau nicht, vielmehr grundsätzlich zulässig, wenn die Überwachung durch die Gemeinschaft erfolgt und auch die Voraussetzungen des § 6b BDSG eingehalten sind.

    Filmaufzeichnungen von Personen mit Videokamera können allerdings einen unzulässigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen darstellen, selbst ohne bestehende Verbreitungsabsicht. Die Frage rechtswidriger Eingriffe ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen; dabei sind die verfassungsrechtlich geschützten Positionen Beteiligter im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung zu berücksichtigen (vgl. BGH v. 25.4.1995, VI ZR 272/94). Insbesondere bei Videoüberwachung auf einem Privatgrundstück muss sichergestellt sein, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder gemeinsame Zugänge von Kameras erfasst werden, selbst wenn dem Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen ein überwiegendes Interesse des Betreibers der Anlage im Rahmen der Abwägung entgegenstehen kann (BGH v. 16.3.2010, VI ZR 176/09). Diese Rechtsprechung ist auch auf das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander zu übertragen (vgl. BGH, Urteil v. 8.4.2011, V ZR 210/10, ZMR 2011 S. 734 = NZM 2011 S. 512 sowie BGH, Urteil v. 21.10.2011, V ZR 265/10, NZM 2012 S. 239). Offengelassen wurde allerdings bisher, ob ein einzelner Wohnungseigentümer auch zur dauerhaften Bildaufzeichnung berechtigt wäre, was bisher instanzgerichtlich verneint wurde (vgl. KG, ZWE 2002 S. 409/412; OLG Köln, WuM 2007 S. 64...

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