"… II. [4] Die Beschwerde des Bekl. gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg und führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO in dem im Tenor bezeichneten Umfang zur Aufhebung der angegriffen Entscheidung und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das BG. Im Übrigen ist sie unbegründet."

[5] 1. Das BG ist der Auffassung, das Vorbringen des Bekl. zur Mangelhaftigkeit der Leistungen der Kl. in dem nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils eingegangenen Schriftsatz vom 14.8.2015 sei gem. § 531 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz nicht berücksichtigungsfähig. Es sei nicht zu beanstanden, dass das LG bereits am Schluss der Sitzung vom 15.7.2015 ein Urteil verkündet habe.

Das LG habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Vortrag zu den Mängeln und Gegenrechten nicht hinreichend substantiiert sei. Einen Antrag auf Gewährung einer Schriftsatzfrist auf den Hinweis habe der Bekl. nicht gestellt. Das LG sei nicht von Amts wegen gehalten gewesen, den Termin zu vertagen, ins schriftliche Verfahren überzugehen oder den Bekl. ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er eine Schriftsatzfrist beantragen könne. Eine Verpflichtung des Gerichts, die Verhandlung nicht ohne Weiteres zu schließen, sondern ggf. zu vertagen, bestehe nur, wenn eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden könne. Eine solche Situation sei vorliegend nicht gegeben. Dass an den Gewerken Mängel bestünden, was ein Zurückbehaltungsrecht rechtfertigen könnte, habe der Bekl. – wenn auch unsubstantiiert – bereits in der Klageerwiderung vorgebracht. Es sei nicht ersichtlich, warum er in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen sein sollte, auf der Grundlage seiner Akte die Mängel zu substantiieren, zumal er im Termin – sich selbst vertretend – anwesend gewesen sei. Soweit der Bekl. im Schriftsatz vom 14.8.2015 die Aufrechnung mit verschiedenen Schadenspositionen erklärt habe, sei der Aufrechnungseinwand gem. § 533 ZPO unzulässig. Denn der Bekl. stütze die Aufrechnung auf die erstmals zweitinstanzlich substantiiert vorgetragenen Mängel der von der Kl. erbrachten Leistungen und damit nicht auf Tatsachen, die das BG seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen habe.

[6] 2. Zu Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das BG das im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14.8.2015 enthaltene Vorbringen des Bekl. zu Mängeln der Werkleistung der Kl. und das darauf gestützte Zurückbehaltungsrecht sowie die hilfsweise erklärte Aufrechnung unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gem. § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen hat. Die Verfahrensweise des BG verletzt das Recht des Bekl. auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

[7] a) Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das BG dazu, neues Vorbringen dann zuzulassen, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht das Ausbleiben des Vorbringens oder von Beweisanträgen in der ersten Instanz mitverursacht hat. Ist im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen oder eine Partei als beweisfällig angesehen worden, ohne dass ihr durch einen nach der Prozesslage gebotenen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung gegeben war, stellt sich die Zurückweisung des neuen, nunmehr substantiierten Vortrags oder neuer Beweismittel im Berufungsrechtszug als eine offenkundig unrichtige Anwendung des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO dar. Ein solches Vorgehen des Gerichts kommt einer Verhinderung des Vortrags zu entscheidungserheblichen Punkten gleich und stellt daher einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs i.S.d. Art. 103 Abs. 1 GG dar. So liegt der Fall hier.

[8] b) Das LG ist seiner Hinweispflicht gem. § 139 ZPO nicht hinreichend nachgekommen. Das Gericht muss – in Erfüllung seiner prozessualen Fürsorgepflicht – gem. § 139 Abs. 4 ZPO Hinweise auf seiner Ansicht nach entscheidungserhebliche Umstände, die die betroffene Partei erkennbar für unerheblich gehalten hat, grds. so frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung erteilen, dass die Partei die Gelegenheit hat, ihre Prozessführung darauf einzurichten und schon für die anstehende mündliche Verhandlung ihren Vortrag zu ergänzen und die danach erforderlichen Beweise anzutreten. Erteilt es den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Das Gericht darf das Urteil in dem Termin erlassen, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, wenn die Partei in der mündlichen Verhandlung ohne Weiteres in der Lage ist, umfassend und abschließend Stellung zu nehmen. Ist das nicht der Fall, soll das Gericht auf Antrag der Partei Schriftsatznachlass gewähren, § 139 Abs. 5 ZPO. Wenn es offensichtlich ist, dass die Partei sich in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, so muss das Gericht – wenn es nicht in das...

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