[5] "… Die Revision hat Erfolg. Die Auffassung des BG, die Ansprüche der Kl. auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens gem. §§ 7, 18 StVG – bzgl. der Bekl. zu 2) i.V.m. § 115 VVG – seien wegen Mitverschuldens gem. § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert, weil die Kl. keinen Fahrradhelm getragen habe, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand."

[6] 1. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB ist allerdings grds. Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob dieser alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurt. v. 12.7.1988 – VI ZR 283/87, VersR 1988, 1238, 1239; v. 5.3.2002 – VI ZR 398/00, VersR 2002, 613, 615 f.; v. 25.3.2003 – VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 785 f., und v. 28.2.2012 – VI ZR 10/11, VersR 2012, 772, Rn 6, jeweils m.w.N.; BGH, Urt. v. 20.7.1999 – X ZR 139/96, NJW 2000, 217, 219, und v. 14.9.1999 – X ZR 89/97, NJW 2000, 280, 281 f.). In erster Linie ist hierbei nach der st. Rspr. des BGH das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (Senatsurt. v. 20.9.2011 – VI ZR 282/10, VersR 2011, 1540 Rn 14 m.w.N.). Nach den vom BG getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen war das Nichttragen eines Fahrradhelms ursächlich für das Ausmaß der von der Kl. erlittenen Kopfverletzungen. Ein Helm hätte das bei dem Sturz erlittene Schädel-Hirn-Trauma zwar nicht verhindern können. Ein Helm habe aber die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. Die Kraft des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Im vorliegenden Fall hätte ein Fahrradhelm die Verletzungsfolgen deshalb zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.

[7] 2. Die durch das Nichttragen eines Fahrradhelms begründete objektive Mitverursachung hinsichtlich des Ausmaßes der von der Kl. erlittenen Verletzungen führt entgegen der Auffassung des BG jedoch nicht zu einer Anspruchskürzung gem. § 254 Abs. 1 BGB.

[8] a) Der Vorschrift des § 254 BGB liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat (vgl. BGH, Urt. v. 18.4.1997 – V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 240 m.w.N.). § 254 BGB ist eine Ausprägung des in § 242 BGB festgelegten Grundsatzes von Treu und Glauben (Senatsurt. v. 14.3.1961 – VI ZR 189/59, BGHZ 34, 355, 363 f., und v. 22.9.1981 – VI ZR 144/79, VersR 1981, 1178, 1179 m.w.N.). Da die Rechtsordnung eine Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung nicht verbietet, geht es im Rahmen von § 254 BGB nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung, also um die Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit (vgl. Senatsurt. v. 17.11.2009 – VI ZR 58/08, VersR 2010, 270 Rn 16 m.w.N.; BGH, Urt. v. 14.10.1971 – VII ZR 313/69, BGHZ 57, 137, 145; v. 18.4.1997 – V ZR 28/96, a.a.O., und v. 29.4.1999 – I ZR 70/97, VersR 2000, 474). Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Anspruchsminderung des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss (vgl. Senatsurt. v. 29.4.1953 – VI ZR 63/52, BGHZ 9, 316, 318 f.), weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert (vgl. Senatsurt. v. 14.3.1961 – VI ZR 189/59, a.a.O., und v. 22.9.1981 – VI ZR 144/79, a.a.O.; BGH, Urt. v. 14.5.1998 – I ZR 95/96, VersR 1998, 1443, 1445). Eine Anspruchskürzung gem. § 254 Abs. 1 BGB hängt nicht davon ab, dass der Geschädigte eine Rechtspflicht verletzt hat (vgl. MüKo-BGB/Oetker, 6. Aufl., § 254 Rn 3 m.w.N.). Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass er gegen eine gesetzliche Vorschrift (vgl. Senatsurt. v. 30.1.1979 – VI ZR 144/77, VersR 1979, 369 f. m.w.N.) oder eine andere Verhaltensanweisung wie etwa eine Unfallverhütungsvorschrift verstoßen hat (vgl. Senatsurt. v. 10.3.1970 – VI ZR 218/68, – VI ZR 86/69, VersR 1970, 469, 470; v. 25.1.1983 – VI ZR 92/81, VersR 1983, 440 und v. 10.3.1987 – VI ZR 123/86, VersR 1987, 781).

[9] b) Ein Mitverschulden des Verletzten i.S.v. § 254 Abs. 1 BGB ist bereits dann anzunehmen, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurt. v. 29.4.1953 – VI ZR 63/52, a.a.O., S. 318; v. 27.6.1961 – VI ZR 205/60, BGHZ 35, 317, 321; v. 18.4.1961 – VI ZR 166/60, VersR 1961, 561, 562; v. 22.6.1965 – VI ZR 53/6...

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