[9] “ … 2. Die Revision des Bekl. hat keinen Erfolg. Entgegen der Ansicht der Revision muss die Kl. sich auf den Schadensersatzanspruch nicht gem. § 254 Abs. 1 BGB eine eigene Aufsichtspflichtverletzung oder eine solche ihres Ehemanns als Mitverschulden anrechnen lassen.

[10] a) Das BG hat die Anrechnung einer Aufsichtspflichtverletzung der Kl. oder ihres Ehemanns als Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB zu Recht nicht auf die Verschuldensvermutung des § 832 BGB gestützt.

[11] aa) Zwar soll eine Verschuldensvermutung nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung auch im Rahmen des § 254 BGB Anwendung finden. Bei den sog. Verschuldensvermutungen handele es sich um bloße Beweislastregeln und es sei nicht einsichtig, dem Kl. die betreffenden Beweiserleichterungen zwar im Rahmen der Haftungsbegründung zu gewähren, bei der Verteilung des Schadens im Rahmen des § 254 BGB aber zu versagen (vgl. Belling/Riesenhuber, ZZP 108 (1995), 455, 465 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., § 10 XII 3; Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 584 f.; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 254 Rn 122; Staudinger/Belling, BGB, Neubearb. 2008, § 831 Rn 40). Sinn und Zweck der Verschuldensvermutungen liege darin, dem Begünstigten über etwaige nicht in seine Zuständigkeit fallende Beweisschwierigkeiten hinwegzuhelfen (Looschelders, a.a.O.). Es vermöge nicht zu überzeugen, dass im Rahmen des § 254 BGB eine andere Beweislastregelung gelten solle als bei der Haftungsbegründung (Staudinger/Schiemann, a.a.O.). Ob eine Sphäre einer der Parteien zuzuweisen sei, hänge nicht von deren ‘Rolle’ als Schädiger oder Geschädigter ab (vgl. Lange/Schiemann, a.a.O.). Der Richter habe bei der Abwägung die höchste nicht ausgeschlossene Verschuldensintensität zu berücksichtigen (vgl. Belling/Riesenhuber, a.a.O.; Looschelders, a.a.O.).

[12] bb) Nach der st. Rspr. des erkennenden Senats können bei der Schadensabwägung nach § 254 BGB indes nur solche Umstände verwertet werden, von denen feststeht, dass sie eingetreten und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sind. Ein Verschulden, das nur gesetzlich vermutet wird, darf daher nicht berücksichtigt werden (vgl. Senatsurt. v. 16.10.1956 – VI ZR 162/55, NJW 1957, 99 f.; v. 8.1.1963 – VI ZR 35/62, VersR 1963, 285, 286; v. 23.11.1965 – VI ZR 158/64, VersR 1966, 164, 165; v. 10.1.1995 – VI ZR 247/94, VersR 1995, 357; v. 21.11.2006 – VI ZR 115/05, VersR 2007, 263 Rn 15; ebenso Erman/Ebert, BGB, 13. Aufl., § 254 Rn 84; MüKo-BGB/Oetker, 5. Aufl., § 254 Rn 110; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl., § 254 Rn 112; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 254 Rn 53). Wird ein Verschulden nur vermutet, so fehlt jeder Anhalt für das Maß dieses Verschuldens, das von der leichtesten Fahrlässigkeit bis zur gröbsten Sorgfaltspflichtverletzung reichen kann. Nur wenn das Maß der Verantwortlichkeit beider Teile feststeht, ist eine sachgemäße Abwägung möglich. Wollte man sie auf Unterstellungen und Vermutungen gründen, so würde man in unzulässiger Weise Gewisses mit Unbekanntem vergleichen und zu keinem gerechten Ergebnis gelangen (vgl. Senatsurt. v. 16.10.1956 – VI ZR 162/55, a.a.O., 100).

[13] Nach dieser Rspr. sind Verschuldensvermutungen nur für den Haftungsgrund relevant. Daran wird festgehalten. Auf die Frage, ob die Verschuldensvermutung des § 832 BGB bei einer Schädigung des Aufsichtspflichtigen durch den Aufsichtsbedürftigen überhaupt Anwendung findet, kommt es nicht an. Ein Mitverschulden des Aufsichtspflichtigen gem. § 254 Abs. 1 BGB kommt – wie vom BG angenommen – nur in Betracht, wenn eine Aufsichtspflichtverletzung feststeht und der Aufsichtspflichtige aus tatsächlichem Verschulden haftet, ohne dass eine entsprechende Anwendung des § 840 Abs. 2 BGB erforderlich ist.

[14] b) Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die insoweit getroffene Feststellung des BG, dass der Bekl. den Beweis einer Verletzung der vom BG zugrundegelegten Aufsichtspflicht der Kl. und ihres Ehemanns nicht geführt hat.

[15] aa) Die Würdigung der Beweise ist grds. dem Tatrichter vorbehalten. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht gem. § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Dieses kann nur nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. z.B. Senatsurt. v. 8.7.2008 – VI ZR 274/07, VersR 2008, 1126 Rn 7 m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen ist die Beweiswürdigung des BG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insb. ist die Rüge der Revision unbegründet, die Feststellungen des BG verstießen gegen § 286 ZPO, weil das BG das Beweisergebnis nicht ausgeschöpft habe.

[16] bb) Nach st. Rspr. des erkennenden Senats bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was den Aufsichtsp...

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