ZPO § 233

Leitsatz

1. Die Versäumung einer Frist ist unverschuldet und einer Partei ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die rechtzeitige Vornahme einer fristwahrenden Handlung wegen des wirtschaftlichen Unvermögens einer Partei unterbleibt.

2. Voraussetzung hierfür ist, dass die Partei bis zum Ablauf der Frist einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht und alles in ihren Kräften Stehende getan hat, damit über den Antrag ohne Verzögerung sachlich entschieden werden kann, und sie deshalb vernünftigerweise nicht mit einer Verweigerung der Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit rechnen musste.

3. Daran ändert sich nichts dadurch, dass die Partei rechtsschutzversichert ist, wenn sie ab Einreichung des Antrags auf Prozesskostenhilfe ohne vermeidbare Verzögerungen um Deckungsschutz nachsucht (i.A. an BGH VersR 1990, 1969; Senat VersR 2015, 597).

BGH, Beschl. v. 24.1.2017 – VI ZB 30/16

Sachverhalt

Der Kl. wurde durch einen Faustschlag des G schwer verletzt. G wurde unter Berücksichtigung einer Zahlung von 5.000 EUR zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 200.000 EUR und weiterer 12.000 EUR verurteilt. Über sein Vermögen wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Der Kl. nahm die Bekl. als Haftpflichtversicherer des G auf Zahlung und Feststellung der Ersatzpflicht des G in Anspruch. Das LG wies die Klage mit der Begründung ab, der Kl. könne sich nicht auf einen Direktanspruch nach § 115 VVG stützen. Das Urt. wurde dem Prozessbevollmächtigten des Kl. am 5.1.2016 zugestellt.

Mit einem am 4.2.2016 bei dem BG eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten beantragte der Kl. für die Berufung Prozesskostenhilfe. Er fügte dem Schriftsatz eine von seinem Betreuer unterzeichnete Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und eine Darlegung der beabsichtigten Berufungsbegründung bei. Der Prozessbevollmächtigte des Kl. trug dazu vor, dass die Angaben in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse von dem Betreuer ohne Rücksprache mit dem Kl. vorgenommen worden seien. Der Kl. befinde sich seit Anfang Januar 2016 bis voraussichtlich Mitte Februar 2016 in einer stationären psychiatrischen Rehabilitation.

Eine Kontaktaufnahme sei wegen der krankheitsbedingten Dekompensationsproblematik nicht gelungen.

Weiterhin führte der BGH zum Sach- und Streitstand Folgendes aus:

2 Aus den Gründen:

[4] "… Bereits mit Schreiben vom Vortag, dem 3.2.2016, hatte der Prozessbevollmächtigte bei der Rechtsschutzversicherung des Kl. unter Hinweis auf die ablaufende Berufungsfrist um Erteilung der Deckungszusage für die Durchführung der Berufung gebeten. Diese hat der VR am 19.2.2016 versagt, wobei er darauf hinwies, dass der Kl. eine begründete anwaltliche Stellungnahme veranlassen könne. Nachdem dieses Schreiben nach dem Vortrag des Kl. am 24.2.2016 bei seinem Prozessbevollmächtigten eingegangen war, hat dieser am gleichen Tag eine entsprechende Stellungnahme abgegeben, worauf die Rechtsschutzversicherung am 10.3.2016 eine Deckungszusage erteilt hat."

[5] Am gleichen Tag hat der Kl. Berufung eingelegt, diese begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat er unter anderem vorgetragen, er sei seit dem schädigenden Ereignis nicht mehr in der Lage gewesen, am ersten Arbeitsmarkt Arbeit aufzunehmen. Er sei fortan zur Sicherung seines Lebensunterhalts von öffentlichen Hilfen abhängig. Den bisherigen Rechtsstreit habe er nur aufgrund der für die erste Instanz erfolgten Deckungszusage seines Rechtsschutzversicherers führen können, weil eine Einzahlung der notwendigen Gerichtskostenvorschüsse ihm aus eigenen Mitteln nicht möglich sei.

[6] Am 30.3.2016 hat das BG den Prozesskostenhilfeantrag mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung zurückgewiesen. Mit dem angegriffenen Beschl. v. 20.6.2016 hat das BG den Antrag auf Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung des Kl. als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Kl. führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Wiedereinsetzung in die schuldlos versäumten Fristen zur Einlegung der Berufung und ihrer Begründung. …

[9] a) Das BG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der Kl. habe nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert gewesen sei, die Fristen zur Einlegung der Berufung und ihrer Begründung einzuhalten. Zur sachgerechten Behandlung dieser Fristen sei es erforderlich gewesen, sogleich nach Zustellung des Urteils den Kl. und dessen Betreuer über das klageabweisende Urteil in Kenntnis zu setzen, das weitere Vorgehen zu klären und die begründete anwaltliche Stellungnahme für den VR früher zu fertigen. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass die Fristen wegen des stationären Aufenthalts oder der wirtschaftlichen Situation des Kl. nicht hätten eingehalten werden können. Es sei nic...

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