[15] "… Die Berufung des Bekl. ist zulässig und begründet."

[16] Der Kl. steht wegen des Verkehrsunfalls vom 29.10.2014 gegen den Bekl. dem Grunde nach lediglich ein hälftiger Anspruch auf Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlung sowie Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht gem. §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB zu.

[17] Nicht zutreffend hat das LG den Bekl. unter Annahme einer vollen Haftung dem Grunde nach zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgelds und Schadensersatzes verurteilt sowie die Haftung auch hinsichtlich zukünftiger Schäden festgestellt. Die Ansprüche der Kl. sind wegen deren eigenen Mitschuldens zu kürzen, welches der Senat mit zumindest 50 % bemisst.

[18] 1. Die vom LG durchgeführte Beweisaufnahme hat zunächst ergeben, dass die Kl. aus der Innenstadt kommend bei für sie grün zeigender Lichtzeichenanlage die Fußgängerfurt überquert hat und in Richtung Bahnhofsvorplatz gegangen ist, während der Bekl. den Radweg befuhr und sich der Unfall sodann auf dem Radweg ereignet hat. Die entsprechenden Feststellungen werden um Berufungsverfahren von keiner Partei mehr angegriffen.

[19] 2. Ausgehend von diesem Umfallhergang hat der Bekl. die Kollision mit der Kl. schuldhaft herbeigeführt und diese damit in rechtswidriger Weise an der Gesundheit beschädigt.

[20] a) Dabei hat das LG zunächst zutreffend Bedenken hinsichtlich der Geltung der links des Radwegs befindlichen Lichtzeichenanlage für den nicht die Fahrbahn der C-Straße benutzenden Radverkehr geäußert.

[21] Einerseits gehören zu dem durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich der gesamte Kreuzungsbereich, also nicht nur die eigentliche Fahrbahn, sondern auch parallel verlaufende Rand- und Parkstreifen sowie Geh- und Radwege. Andererseits verletzt ein Umfahren außerhalb des durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereichs § 37 StVO nicht. Möglicherweise sind hierdurch andere Normen der StVO, insb. § 2 StVO, betroffen. Ein Verstoß gegen den Benutzungszwang der Fahrbahn gem. § 2 StVO ist aber ausgeschlossen, wenn zum Umfahren nur Fahrflächen benutzt werden (vgl. Hentschel, in: Hentschel/König/Dauer; Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 37 StVO, Rn 8 f.).

[22] Vorliegend hat der Bekl. den rechts neben dem Gehweg verlaufenden Radweg genutzt, der in einer Kurve von der C-Straße in den L-Ring übergeht. Dabei wird der Radweg gerade an dem Kreuzungsbereich und der Lichtzeichenanlage vorbeigeführt, um einen flüssigen Radverkehr für rechtsabbiegende Radfahrer zu ermöglichen, ohne dass für diese das Grünlicht der die Kreuzung überquerenden Fußgänger gilt. Ein Fußgänger, der die Fahrbahn überquert hat und sich dann auf dem direkt daran angrenzenden Gehweg befindet, kann diesem entlang der Fahrbahn gefahrlos folgen und auf diesem sicher stehen bleiben, sodass der Zweck der Lichtzeichenanlage, die zunächst eine sichere Überquerung der Fahrbahn und aller dazugehörigen Bereiche (s.o.) ermöglichen soll, erreicht ist. Beabsichtigt der Fußgänger im Anschluss daran aber die Überquerung eines weiteren bevorrechtigten Fahrbereichs – hier des Radwegs –, so hat er wieder die für diese neue Verkehrssituation geltenden Regeln einzuhalten. Mangels Fortgeltung des Grünlichts der Lichtzeichenanlage im Bereich des Radwegs kommt für den Bekl. deshalb kein Verschulden wegen eines Verstoßes gegen §§ 2, 37 StVO in Betracht.

[23] b) Der Bekl. wendet sich sodann mit seiner Berufung zu Recht gegen die Auffassung des LG, dass er unter den Anwendungsbereich des § 9 Abs. 3 S. 3 StVO falle und ihn als Abbiegenden somit die Pflicht treffe, auf Fußgänger besondere Rücksicht zu nehmen und ggf. zu warten. Aufgrund der von der Kreuzung losgelösten Rechtskurve des Radwegs handelt es sich nicht um ein “Abbiegen‘ i.S.d. Norm.

[24] “Abbiegen‘ i.S.d. StVO erfasst alle Richtungsänderungen im fahrenden Längsverkehr, also jede Fahrtrichtungsänderung, die aus dem gleichgerichteten Verkehr herausführt. Das bedeutet, dass die Fahrbahn seitlich verlassen oder in einem Bogen die Gegenrichtung oder die andere Straßenseite angesteuert wird. (…) Das Fahren bei abknickender Vorfahrt ist dagegen kein Abbiegen i.S.v. § 9 StVO (vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer; Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 9 StVO, Rn 16).

[25] Vorliegend verläuft der neben der Fahrbahn der C-Straße verlaufende Radweg nicht in gerader Linie weiter (vgl. Lichtbild, Bl. 98). Der Radweg macht stattdessen eine Rechtskurve an der Lichtzeichenanlage und der Kreuzung vorbei und verläuft sodann neben dem Gehweg und der Fahrbahn des L-Rings geradeaus weiter. Zur Überquerung der Kreuzung in Richtung Innenstadt muss man dagegen von dem Radweg am Ende von dessen Kurve nach links abfahren, um dann erst zu der streitgegenständlichen Lichtzeichenanlage und der Fußgängerfurt zu gelangen. Diese Wegführung ist ausweislich der in der Akte befindlichen Lichtbilder (Bl. 96–98) auch anhand der farblich unterschiedlichen Pflasterung deutlich zu erkennen.

[26] Insgesamt wird der Radweg damit in seinem natürlichen Verlauf in einer Rechtskurve von der C-St...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge