StPO § 147; OWiG § 62

Leitsatz

Das Recht des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist nur gewährleistet, soweit das Akteneinsichtsrecht auch auf Beweismittel, die nicht unmittelbarer Aktenbestandteil sind, erstreckt wird.

AG Gießen, Beschl. v. 1.3.2016 – 510 OWi 5/16

1 Aus den Gründen:

"Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 OWiG ist begründet."

Dem Verteidiger ist die vollständige Messdatei samt Token und Passwort sowie die gesamte Messreihe entsprechend § 46 OWiG i.V.m. § 147 StPO zur Verfügung zu stellen. Andernfalls würde das Recht auf rechtliches Gehör verletzt werden. Denn bei der vorliegenden Messung handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren, sodass der Betroffene zur Verteidigung konkrete Einwendungen gegen die Messung vorzubringen hat. Hierzu ist er nur in der Lage, soweit eine Auswertung der Messung (ggf. durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen) erfolgen kann, die das Vorliegen der gesamten Messreihe voraussetzt.

Datenschutzrechtliche Gründe sprechen nicht gegen die Aushändigung der gesamten Messreihe sowie der Messdatei an den Verteidiger. Denn bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das Interesse des Betroffenen, das Recht auf rechtliches Gehör ausüben zu können. Dies ist nur gewährleistet, soweit das Akteneinsichtsrecht auch auf diese genannten Beweismittel, die nicht unmittelbarer Aktenbestandteil sind, erstreckt wird. Darüber hinaus dürften der Verwaltungsbehörde technische Mittel zur Anonymisierung der Daten auf der Messdatei zur Verfügung stehen. Weiter ist hier zu berücksichtigen, dass nicht dem Betroffenen, sondern dem Verteidiger im Rahmen des Akteneinsichtsrechts die Daten zur Verfügung gestellt werden, der als Person der Rechtspflege dem Datenschutz verpflichtet ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 OWiG i.V.m. § 467 StPO.

Der Anregung der Verteidigung das Verfahren nach § 69 Abs. 5 OWiG an die Verwaltungsbehörde zurückzuverweisen, war nicht nachzukommen.“

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Winand Koch, Stadtallendorf

2 Anmerkung:

Die Diskrepanz zwischen der Rechtsprechung der OLG und der AG in puncto Akteneinsicht und standardisiertes Messverfahren ist derzeit deutlich. In dieser Entscheidung sind wieder mehrere Aspekte enthalten, die der Verteidiger klar auseinanderhalten muss: Zunächst muss er sich – wie hier – alle seiner Ansicht nach erforderlichen Unterlagen zur Prüfung der Messung im Vorverfahren selbst organisieren. Das Gericht ist, sofern keine Zweifel an der konkreten Messung bestehen, nach durchgeführter Beweisaufnahme nicht einmal verpflichtet, weitere Akteneinsicht zu gewähren, Unterlagen beizuziehen oder gar ein Gutachten einzuholen. Des Weiteren besteht zunächst nur ein Anspruch auf die Daten der konkreten Messung. Es ist durchaus vertretbar, eben aus Gründen des Datenschutzes, die Gewährung von Einsicht in die restlichen Daten erst nach Gerichtsbeschluss zu gewähren. Der Verteidiger sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass Erkenntnisse aus dem restlichen Messfilm allenfalls ein Indiz sein können, um die konkrete Messung in Zweifel zu ziehen. Denn wenn diese beanstandungsfrei bleibt, kann das Gericht verurteilen, selbst wenn bei anderen Messungen Anhaltspunkte für ein Abweichen vom Standard gefunden werden. Theoretisch kann das Gericht deshalb den Antrag auch ablehnen und den Betroffenen auf das Befundprüfungsverfahren verweisen, um Zweifel am Messgerät – denn darum geht es – auszuräumen. Wichtig ist jedenfalls, dass sich das Akteneinsichtsrecht auch auf die Bestandteile der Beweisführung erstreckt, die nicht formal zur Akte genommen werden; dies hat das AG völlig zu Recht ausgeführt. Ich selbst hätte das Verfahren nach § 69 Abs. 5 OWiG zurückverwiesen, aber das steht im Ermessen jedes einzelnen Richters. Etwas unglücklich finde ich den Verweis auf Anonymisierungsmöglichkeiten der Behörde: Es ist ja gerade der Wunsch, nicht veränderte, also auch nicht anonymisierte Daten zu erhalten, um einen unverfälschten Einblick in die technischen Vorgänge zu bekommen.

RiAG Dr. Benjamin Krenberger

zfs 7/2016, S. 412 - 413

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