"Die vom AG zum Nachteil des Betroffenen aufgrund einer Auskunft aus dem Fahrerlaubnisregister vom 28.5.2015 verwerteten zwischen dem 12.7.2010 (rechtskräftig seit 9.11.2010) und dem 6.11.2013 (rechtskräftig seit dem 26.11.2013) ergangenen sechs Vorahndungen jeweils zu Geldbußen waren zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits getilgt; mithin unterlagen sie einem Verwertungsverbot (§ 29 Abs. 7 S. 1 StVG). Für den zuletzt ergangenen Bußgeldbescheid vom 16.9.2014 (rechtskräftig seit 3.10.2014) über 70 EUR wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h (Tatzeit 5.8.2014) gilt dies demgegenüber nicht."

1. Die bis zum 30.4.2014 ergangenen Bußgeldbescheide unterliegen hinsichtlich ihrer Tilgung der Vorschrift des § 29 StVG in der bis zum 30.4.2014 geltenden Fassung (§ 65 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 StVG). Danach beträgt die Tilgungsfrist zwei Jahre (§ 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVG a.F.); sie begann mit dem Tag der Rechtskraft (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG a.F.). Für alle Eintragungen gilt bis zur Höchstdauer von fünf Jahren (§ 29 Abs. 6 S. 4 StVG a.F.) jeweils die Ablaufhemmung wegen der nachfolgenden Entscheidungen (§ 29 Abs. 6 S. 1 StVG a.F.).

a) Angesichts dessen waren die Eintragungen betreffend die Bußgeldbescheide vom 12.7.2010 (rechtskräftig seit 9.11.2010) und vom 21.9.2010 (rechtskräftig seit 8.10.2010) ab dem 9.11.2015 bzw. 8.10.2015 wegen des Ablaufs von fünf Jahren am Tag der Entscheidung, dem 19.1.2016, bereits getilgt; sie unterlagen schon aus diesem Grund einem Verwertungsverbot.

b) Die anschließend ergangenen Bußgeldbescheide vom 5.1.2011 (rechtskräftig seit 25.1.2011), 23.5.2011 (rechtskräftig seit 10.6.2011), 19.10.2012 (rechtkräftig seit 7.11.2012) und 6.11.2013 (rechtskräftig seit 26.11.2013) durften ebenfalls nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden. Lässt man den Bußgeldbescheid vom 16.9.2014 (rechtskräftig seit 3.10.2014) außer Betracht, unterlagen die Eintragungen betreffend die vier aufgeführten Entscheidungen angesichts der zweijährigen Tilgungsfrist ab dem 26.11.2015 der Tilgung. Der Tilgung jener Eintragungen (“Altfälle’) könnte mithin nur eine Ablaufhemmung durch den – eine nach dem 30.4.2014 begangene Tat ahndenden – Bußgeldbescheid vom 16.9.2014 (rechtskräftig seit 3.10.2014) entgegen stehen (ggf. §§ 65 Abs. 3 Nr. 2 S. 1, 29 Abs. 6 S. 1 StVG a.F.). Soweit ersichtlich liegen zu dieser Rechtsfrage bislang noch keine obergerichtlichen Entscheidungen vor.

aa) Wenngleich die Fassung der Übergangsbestimmung in § 65 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 StVG beim ersten Anschein eine Ablaufhemmung bezüglich der Altfälle zu eröffnen scheint, ist der Senat im Wege der Auslegung und unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens gegenteiliger Ansicht. Die ursprünglich vorgesehene neue Fassung des § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG enthielt keine Regelung zur Ablaufhemmung in Bezug auf die Altfälle (Art. 1 Nr. 16 des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 6.3.2013 [BT-Drucks 17/12636]). Ausweislich der Begründung zum Gesetzesentwurf sollten durch § 65 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 StVG n.F. die alten Entscheidungen für eine Übergangszeit von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes weiterhin den bisherigen Tilgungsbestimmungen des § 29 StVG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes unterliegen. Dabei sollten insb. die Regelungen zur Tilgungshemmung fortgelten; auch neue Eintragungen nach Inkrafttreten des Gesetzes hätten so eine Tilgungshemmung für alte Entscheidungen auslösen können (BT-Drucks 17/12636, S. 49).

In der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages vom 13.5.2013 (BT-Drucks 17/13452) wurde eine Ergänzung des § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG n.F. um folgenden nach S. 1 eigefügten S. 2 vorgenommen: “Dabei kann eine Ablaufhemmung nach § 29 Abs. 6 S. 2 in der bis zum Ablauf des … [Tag vor dem Inkrafttreten dieses Änderungsgesetzes] anwendbaren Fassung nicht durch Entscheidungen, die erst ab dem … [Tag des Inkrafttretens dieses Änderungsgesetzes] im FaER gespeichert werden, ausgelöst werden.’ Mit der Einfügung dieses Satzes sollte die Weiterführung der Tilgungshemmung auf den bei Inkrafttreten der Reform vorhandenen Registerbestand und die bereits ausgelösten Ablaufhemmungen beschränkt werden. Eintragungen nach Inkrafttreten der Reform sollten unabhängig von Tattag und Entscheidungsdatum keine Tilgungshemmung mehr auslösen können. Bereits in der Übergangszeit sollte die abzuschaffende Tilgungshemmung soweit wie möglich reduziert werden (BT-Drucks 17/13452, S. 7).

Schließt man sich der in der ursprünglichen Gesetzesbegründung vertretenen Ansicht zum zunächst beabsichtigten Entwurf des § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG, der (lediglich) den später unverändert übernommenen § 65 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 enthielt (§ 29 StVG a.F. gilt für Tilgung und Löschung bei Altfällen fort), an, wäre zum Ausschluss jeglicher Ablaufhemmung durch Eintragungen nach dem 30.4.2014 zu erwarte...

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