Die unterschiedlichen Ansätze von der sog. Bruttolohnmethode einerseits und der sog. modifizierten Nettolohnmethode andererseits führen allerdings nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen – auch nicht unter steuerlichen Gesichtspunkten. Dazu mag als Beispiel der dem BGH-Urteil vom 15.11.1994[56] zugrundeliegende Sachverhalt dienen – hier mit anderen Beträgen grob vereinfacht:

Es wird als "fiktives Bruttoeinkommen" ein Betrag i.H.v. 133.804 EUR (= 100.000 EUR netto zuzüglich 33.804 EUR Einkommensteuern) geltend gemacht. Dem Grunde nach hat sich der Geschädigte ein Mitverschulden von 50 % anrechnen zu lassen.

Kürzte man den Gesamtbetrag um die Hälfte, verblieben 66.902 EUR, kürzte man den Nettobetrag um die Hälfte, ergäbe sich ein Betrag i.H.v. 50.000 EUR zuzüglich 12.823 EUR Einkommensteuer, es verblieben also insgesamt 62.823 EUR.

Die aus dieser Progressionsentlastung folgende Differenz steht dem Geschädigten, so der BGH, nicht zu. Denn dem Steuerrecht lasse sich – darin ist dem BGH uneingeschränkt zuzustimmen – eben kein Rechtssatz entnehmen, nach dem der Geschädigte über seine tatsächliche steuerliche Belastung hinaus durch die Zuerkennung der Progressionsdifferenz auf Kosten des Schädigers steuerlich begünstigt werden soll. Das Steuerrecht macht hier keine materiell-rechtlichen Vorgaben; es ist nur Annexrecht. Bei dieser oben dargestellten Progressionsdifferenz handelt es sich um eine Folge, die wertungsneutral mit dem System des Steuertarifs verbunden ist. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass der Geschädigte im Beispielsfall neben den 50.000 EUR die darauf entfallende Einkommensteuer i.H.v. 12.823 EUR ersetzt erhält – und keinen geringeren Betrag wegen einer weiteren Progressionsentlastung, nämlich derjenigen, dass sein Durchschnittssteuersatz (das zu versteuernde Einkommen beträgt nicht mehr 100.000 EUR, sondern 50.000 EUR) von 34 % auf 26 % sinkt. So sieht es auch der BGH, wenn er als Probeüberlegung darauf abstellt, dass die Frage der Zuordnung einer Progressionsdifferenz ohnehin nicht auftritt, legte man hier der Berechnung des Verdienstausfallschadens das fiktive Nettoeinkommen zugrunde.

Die Frage der Zuordnung von Steuervorteilen dürfte sich übrigens auch kaum stellen, wenn es um steuerfreie Leistungen nach § 3 EStG geht. Das, was hier an Einkommensteuer nicht anfällt, verbleibt als Vorteil beim Geschädigten. Dafür ist vom Schädiger kein Ersatz zu leisten;[57] wenn und soweit Steuer eben nicht anfällt, gibt es auch keinen entsprechenden Schaden.

Der gleiche Effekt kann sich auch beim Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG (Vollendung des 55. Lebensjahres oder dauernde Berufsunfähigkeit) und bei der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG (Außerordentliche Einkünfte) einstellen.

Nach Ansicht des BGH[58] kann der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG dem Schädiger nicht zugutekommen. Dieser Freibetrag bezwecke, Gewinne aus der Veräußerung kleinerer Betriebe aus sozialen Gründen zu entlasten, und werde dem Steuerpflichtigen daher aus besonderen persönlichen Gründen gewährt. Zudem werde diese Steuervergünstigung dem Berechtigten nur einmalig gewährt. Dem Vorteil aus dem Freibetrag stünde daher der Nachteil aus dem Verlust dieser Steuervergünstigung für andere in Zukunft ggf. anfallende Veräußerungs- oder Aufgabegewinne gegenüber. Dem ist aus einkommensteuerrechtlicher Sicht zuzustimmen, geht es doch hier allein um die etwaige Besteuerung von Erwerbsschadensersatz bei einem konkreten Personenschaden und den Ersatz der entsprechenden Steuer. Andere Einkunftsquellen (z.B. Einkünfte aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung) stehen damit in keinem unmittelbaren Zusammenhang und haben deshalb außer Betracht zu bleiben, ebenso damit sonstige Einkünfte aus Gewerbebetrieb, etwa aus einer anderen gewerblichen Beteiligung, für die später der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG geltend gemacht werden könnte. Aus der Entscheidung des BGH folgt nur, dass es keine Obliegenheit des Geschädigten gibt, auf die Steuervergünstigung für andere in Zukunft ggf. anfallende Veräußerungs- oder Aufgabegewinne zugunsten des Schädigers endgültig zu verzichten. Das ist einkommensteuerrechtlich konsequent, weil dem Geschädigten ein Wahlrecht zusteht. Der Freibetrag wird nach § 16 Abs. 4 S. 1 EStG nur auf Antrag gewährt. Wird der Freibetrag jedoch gerade für Erwerbsschadensersatz aus Anlass eben des konkreten Personenschadens in Anspruch genommen, verringert sich die entsprechende Einkommensteuer eben hierfür. Dieser Vorteil bleibt beim Geschädigten, allerdings gibt es dazu vom Schädiger nichts zu ersetzen. Wenn und soweit Steuer nicht anfällt, gibt es eben keinen Schaden.

Vergleichbar verhält es sich bei der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Nach Ansicht des BGH[59] begründen rechnerische Vorteile, die sich daraus ergeben können, dass dem Geschädigten eine Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 und 3 EStG zugutekommt, keine außergewöhnlichen Steuervorteile, die den Schädiger von seiner Schadensersatzpflicht entlasten müssten. Schon ...

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